"Döner-Morde"

Behörde im Visier: Welche Rolle spielte der “kleine Adolf”?

Ausland
16.11.2011 13:16
Die Affäre um die Neonazi-Mordserie der deutschen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" nimmt immer groteskere Züge an. Jener Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, der sich als "stiller Zeuge" zumindest an einem der "Döner-Mord"-Tatorte befand, soll selbst der rechtsradikalen Szene angehört haben. Deutsche Zeitungen berichten, er habe in seiner Heimatgemeinde den Spitznamen "Kleiner Adolf" getragen.

Der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes habe sich als Rechtsradikaler entpuppt, schreibt etwa die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Berliner Sicherheitskreise. Die Wohnung des Mannes sei im Zuge der Ermittlungen nach dem Mord in einem Kasseler Internetcafé im Jahr 2006 durchsucht worden. Er war in Verdacht geraten, weil er sich als einziger von mehreren Tatzeugen nicht auf einen Aufruf der Polizei gemeldet habe (siehe Infobox).

Nazi-Propaganda in Wohnung entdeckt
Unter anderem hätten die Fahnder bei der Durchsuchung Abschriften von Propaganda-Material aus dem Dritten Reich, von Adolf Hitlers "Mein Kampf" und ein Buch über Serienmorde entdeckt. "Er hatte einzelne Schriftstücke, die das Dritte Reich betrafen", bestätigte Behördensprecher Götz Wied gegenüber deutschen Medien, "es war aber nicht so, dass wir dachten, jetzt stehen wir in der Wohnung eines Neonazis." Man habe sehr breit recherchiert und versucht, das Umfeld des Verdächtigen auszuleuchten. Verbindungen zu rechten Kreisen habe man dabei nicht gefunden, so der Staatsanwalt.

Das Verfahren gegen den Mann wurde aber 2007 eingestellt. "Was da war, hat nicht dazu geführt, dass er verdächtig war", rechtfertigt Wied die Entscheidung der Behörden. Ob der Mitarbeiter der Extremismusabteilung das Material aus dem Dritten Reich privat oder dienstlich lagerte, wurde jedoch nie endgültig geklärt, gibt etwa der "Spiegel" zu bedenken. Viele Fragen bleiben in dem Fall somit offen.

"Hundertprozentiges Alibi" für vier Morde
So endete die Mordserie 2006 genau nach den Ermittlungen gegen den Verfassungsschützer. Auch die Begründung des Mannes, er habe sich nach dem Mord nicht gemeldet, weil ihm die ganze Sache peinlich gewesen sei, bleibt weiter zweifelhaft. Er gab an, in dem Internetcafé Kontakt zu Frauen gesucht zu haben, ohne dass seine eigene davon etwas mitbekommen sollte.

Andererseits gebe es Details, die bezweifeln lassen, dass der frühere Verfassungsschützer etwas mit den Morden zu tun hat, schreibt die "Süddeutsche". So konnte er für vier Taten der "Döner-Morde" ein "hunderprozentiges Alibi" vorweisen, wie die Staatsanwaltschaft nun bestätigte. Die "Bild" hatte zunächst berichtet, der Mann sei bei sechs der neun Morde in der Nähe der Tatorte gesehen worden. Für weitere Taten habe er laut Staatsanwaltschaft Alibis vorgelegt, die sich nicht endgültig belegen ließen. Eine Überprüfung seiner Handy-Daten blieb damals ohne Erfolg.

Außerdem habe der Verfassungsschützer an jenem Tag im Internetcafé im Netz seine private Telefonnummer angegeben. Das tue gewöhnlich kein erfahrener Sicherheitsbeamter, der seine Spuren verwischen will, so die "Süddeutsche". Und bei den Schusswaffen, die er laut "FAZ" in seiner Wohnung lagerte, dürfte es sich um legale Sportwaffen gehandelt haben, heißt es im "Spiegel". Nachdem sich das Landesamt von dem Beamten getrennt hatte, arbeitet er mittlerweile übrigens wieder für den hessischen Staat.

Affäre hat Deutschland fest im Griff
Mit möglichen Verstrickungen des Verfassungsschützers in der rechtsextremen Szene wird sich in den kommenden Tagen die Kontrollkommission des hessischen Landtags beschäftigen. Die deutsche Innenpolitik hat die Affäre um die Mordserie jedenfalls fest im Griff. Innenminister Hans-Peter Friedrich will gefährliche Neonazis in einem neuen Zentralregister erfassen lassen. In der Datei sollten "Daten über gewaltbereite Rechtsextremisten und politisch rechts motivierte Gewalttaten zusammengeführt werden", sagte Friedrich der "Süddeutschen". Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger steht den Plänen jedoch skeptisch gegenüber. Die Bundesregierung plant am Freitag einen Krisengipfel der zuständigen Ministerien und Behörden von Bund und Ländern.

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