Bei einem Gipfel präsentierte die Bundesregierung Zahlen, Fortschritte und neue Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen. Doch Anwälte und Frauenhäuser sehen weiterhin gefährliche Lücken im System.
Ein Femizid bedeutet die Tötung einer Frau, weil sie eine Frau ist – meist durch (Ex-)Partner, die Kontrolle, Macht oder Besitzansprüche ausüben. Eine vom Frauenservice Wien beauftragte Studie zeigt, dass kein einziger Femizid oder Mordversuch ohne deutliche Warnsignale verübt wurde: Eifersucht, Kontrolle, psychische Gewalt baut sich oft über lange Zeit auf und wird dennoch häufig zu spät erkannt.
Trotz klarer rechtlicher Grundlagen bleibt Gewalt an Frauen also ein strukturelles Problem. Frauenhäuser sind vielerorts nicht verlässlich finanziert, im ländlichen Raum schwer erreichbar, spezielle Angebote für ältere Gewaltopfer fehlen, und die Kooperation zwischen Polizei, Justiz und Gewaltschutzzentren ist unzureichend. Ein gefährlicher Fleckerlteppich, der im schlimmsten Fall tödlich endet.
„Femizid“ ist ein umstrittener und emotional aufgeladener Begriff.
Ursprünglich bekannt wurde der „Femizid“ 1976 durch Soziologin Diana Russell. Er definierte den Mord einer Frau durch einen Mann.
Viele feministische Organisationen definieren „Femizid“ als Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts, also aus patriarchaler Kontrolle, Macht oder Besitzdenken heraus.
Manche wissenschaftliche Arbeiten zählen nur Partnerschaftstötungen dazu (z.B. durch Ehemann/(Ex-)Partner).
Andere fassen auch strukturelle Femizide (z.B. mangelnder staatlicher Schutz, systemische Gewalt) darunter.
Der Begriff „Femizid“ wird heutzutage also nicht immer einheitlich verwendet – weder in Medien noch in Politik, Wissenschaft oder Rechtsprechung.
So zählen die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser im Jahr 2025 bis jetzt 15 Femizide.
Die „Krone“ hingegen geht von 16 Femiziden aus und zählt den Mord an einer Mutter, die von ihrer Tochter getötet wurde, bei der Liste dazu.
Regierung zieht Bilanz am Gewaltschutzgipfel
Vor diesem Hintergrund fand im Innenministerium der 6. Gewaltschutzgipfel statt. Innenminister Gerhard Karner, Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner, Justizministerin Anna Sporrer, Sozialministerin Korinna Schumann und Bildungsminister Christoph Wiederkehr präsentierten Maßnahmen und Zahlen. Karner betonte die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justiz und Zivilgesellschaft: „Gewaltschutz ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“ Die Regierung verwies auf Fortschritte wie verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings, ein obligatorisches Waffenverbot, gestärkte Fallkonferenzen und die Erhöhung der Polizei-Präventionskräfte auf rund 1300. Auch die Zahlen zeigen die Dimension der Arbeit: 2024 wurden über 14.500 Annäherungs- und Betretungsverbote ausgesprochen, 2025 bereits rund 13.000. Gewaltpräventionsgespräche liegen weiterhin über 10.000 pro Jahr.
Kritik: Gesetze werden nicht konsequent umgesetzt
Doch während die Politik Fortschritte betont, schlagen Experten Alarm. Die Wiener Anwältin Clara Abpurg, die regelmäßig Frauen in akuten Gewaltlagen begleitet, kritisiert vor allem die mangelnde Umsetzung bestehender Gesetze. „Wir haben gute Gewaltschutzinstrumente – sie werden nur nicht konsequent genug genutzt“, sagt sie. Rund 15.000 Betretungsverbote pro Jahr zeigten, wie real die Gefahr sei. Laut AÖF zählt Österreich im Jahr 2025 15 Femizide, die „Krone“ geht von 16 (Tochter tötet Mutter) aus. Gleichzeitig erlebt Abpurg bei Polizei und Behörden Überlastung, Personalmangel und manchmal auch fehlendes Problembewusstsein. „Ich habe WhatsApp-Drohungen vorgelegt ,Ich mache dein Leben zur Hölle‘ und dann fragt ein Beamter ,Wo liegt da die Drohung?‘“ Das System funktioniere oft, aber eben nicht zuverlässig genug.
Politische Verantwortung und notwendige Weiterentwicklung
Die Politik räumt ein, dass Gewaltschutz ein dynamischer Prozess ist. „Wir dürfen uns nicht zurücklehnen“, sagte Karner. „Vieles ist erreicht, aber Gewaltschutz muss ständig weiterentwickelt werden.“ Frauenministerin Holzleitner betonte die Bedeutung des nationalen Aktionsplans gegen Gewalt, Justizministerin Sporrer verwies auf Gewaltambulanzen, die helfen, die Gewaltspirale frühzeitig zu durchbrechen.
Täterarbeit, Resozialisierung und gefährliche Lücken
Abpurg kritisiert auch, dass Täter häufig ohne Resozialisierung aus dem Gefängnis entlassen werden und gefährliche Situationen erneut eskalieren. „Das System ist überlastet – und das kann tödlich enden.“ Sie erinnert an einen Fall, bei dem alle warnenden Signale für einen bevorstehenden Femizid erkennbar waren, die Polizei jedoch wegen Überlastung kaum reagieren konnte. Besonders problematisch sei, dass Verstöße gegen Betretungsverbote meist nur mit Geldstrafen geahndet werden: „Frauen bleiben dadurch extrem angreifbar.“
Braucht Österreich einen eigenen Femizid-Paragrafen?
Für viele Experten ist jedoch klar: Österreich braucht nicht strengere Paragrafen, sondern mehr Geld, mehr Personal und eine konsequente Umsetzung bestehender Maßnahmen. Ein eigener Femizid-Paragraf, wie ihn Italien eingeführt hat, sei Symbolpolitik, sagt Abpurg: „Ein neues Gesetz löst kein einziges Problem. Mord ist Mord und der ist schon jetzt hart genug bestraft.“ Entscheidend sei Prävention: in Schulen, in der Täterarbeit, in der psychosozialen Unterstützung. Und für Betroffene: Hilfe suchen, auch mehrfach, nicht aufgeben. „Man spürt oft, wenn etwas nicht stimmt“, sagt Abpurg. „Hinhören, unterstützen und nicht urteilen. Wenn es so einfach wäre, würden Frauen ja gehen“.

Während die Bundesregierung weitere Maßnahmen ankündigt, kämpfen Frauenhäuser, Beratungsstellen und die Polizei weiterhin um ausreichende Ressourcen. Die Anwältin bringt es auf den Punkt: „Ein Femizid-Paragraf ändert gar nichts. Wir brauchen Ressourcen – nicht Schlagzeilen“.
Katharina Braun ist Anwältin in Wien und fordert einen echten Diskurs zum Thema Gewalt. Grundsätzlich sei dies eine politische Aufgabe. Sie war Mitorganisatorin einer Veranstaltung, die das Skandalurteil im Fall des Missbrauchs der 12-jährigen Anna im Fokus hatte. Dabei kam Kritik sogar von Opfervertretungen selbst oder von Rechtsgelehrten, dass man nicht mehr über die Fälle aus den Medien reden solle – dies führe zu einer Retraumatisierung der Opfer.
Weiters wurde vor einer Anlassgesetzgebung gewarnt. Zudem würden solche Veranstaltungen Rassensentiments schüren. Der Tenor war also: „Schweigt!“ Selbst ein patriarchal geprägtes Land wie Spanien scheint eine effizientere Vorgangsweise als Österreich im Kampf gegen die Gewalt an Frauen zu haben. Dort gilt seit 2004 ein strenges Gesetz. Anlass gab die Ermordung von Ana Orantes durch ihren Ex-Mann zwei Wochen nach einem Fernsehauftritt, in welchem die elffache Mutter über ihr Ehemartyrium berichtete. Danach hat er sie verbrannt.
Anlassfälle zeigen Schwächen des Systems auf und dürfen nicht als Einzelfälle abgetan werden.

Mag. Katharina Braun, Rechtsanwältin
Bild: DORISMITTERER
Der spanische Kongress war einstimmig für ein umfassendes Gesetz zum Schutz gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Auf der Iberischen Halbinsel gibt es Gerichtsabteilungen, welche darauf spezialisiert sind. Die Polizei setzt zur Einstufung des Risikos von Gefährdern ein Computerprogramm ein, das über 30 Indikatoren enthält. Eine Gefahrenstufe kann erhöht, aber nicht herabgesetzt werden.
Während bei uns das Schutzalter für Sex bei 14 Jahren liegt, sind es dort 16. Nur Ja ist Ja zum Sex. Aber auch Frankreich hat im Zuge des Anlassfalles Gisèle Pelicot das Sexualstrafrecht verschärft. „Genug der Schweigekultur. Opfer haben ein Recht, dass ihrem Leid eine Stimme gegeben wird“, so Braun.
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