Es sind Bilder, die sinnbildlich für den Zustand der Ukraine stehen: Während eines Interviews mit Präsident Wolodymyr Selenskyj im Marijinskyj-Palast in Kiew fällt gleich zwei Mal der Strom aus. Genau das sind derzeit die Lebensbedingungen für Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer aufgrund der gezielten russischen Angriffe: Dunkelheit, Kälte, künstliche Lichtinseln per Generator – und sonst nichts.
Seit dem Wochenende müssen große Teile der Ukraine bis zu 16 Stunden täglich ohne Strom auskommen. Der staatliche Netzbetreiber Ukrenergo kündigt geplante, stundenweise Abschaltungen an – die Kapazitäten sind massiv reduziert. Die Energieministerin Svitlana Grynchuk sprach von einem der „größten direkten ballistischen Angriffe auf Energieanlagen“ seit Kriegsbeginn. Die staatliche Kraftwerksgesellschaft Centrenergo warnte laut „Guardian“, die Erzeugungskapazität sei „auf null“.
Putin will Ukrainer frieren lassen
Auslöser ist eine neue Angriffswelle Russlands auf Strom-, Heiz-, Gas- und Verteilnetze. Wie schon in den Jahren zuvor häufen sich kurz vor dem Winter die Angriffe der Russen auf kritische Infrastruktur. Laut „Guardian“ wurden etwa am Wochenende Hunderte Drohnen auf Energieanlagen gestartet, laut CNN begannen die Attacken, als die Temperaturen in der Ukraine bereits auf einstellige Plusgrade gesunken waren.
In Dnipro traf eine Drohne ein neunstöckiges Wohnhaus, mindestens eine Frau starb, mehrere Menschen wurden verletzt. Präsident Selenskyj sprach von 45 Raketen und 458 Drohnen allein in einer Nacht – laut Angaben ukrainischer Behörden wurde ein Teil davon abgefangen, aber zahlreiche Anlagen dennoch getroffen.
Die Folgen: Strom, Heizung, Warmwasser – vielerorts fällt alles gleichzeitig aus. Besonders betroffen sind Regionen wie Charkiw, Poltawa, aber auch Kiew selbst. Laut Behörden waren am Sonntag rund 100.000 Haushalte in der Oblast Charkiw ohne Strom, Wasser und Wärme.
Sogar Evakuierung Kiews steht im Raum
Die Ukraine arbeitet unter Hochdruck an Reparaturen. Selenskyj betont in seiner Ansprache am Sonntagabend: „Die Reparaturarbeiten halten an“ – rund um die Uhr in fast allen Regionen. Doch Expertinnen und Experten warnen seit Wochen: Die Sicherheitsreserven der Netze sind begrenzt. Der Energie-Forscher Oleksandr Kharchenko hatte etwa im Vorfeld gewarnt, dass ein längerer Totalausfall der Heizkraftwerke in Kiew bei Minusgraden eine Evakuierung der Hauptstadt erfordern könnte.
Bessere Luftverteidigung verschlafen
Indessen hat Europa nach Einschätzung westlicher Beobachter und ukrainischer Stimmen in den vergangenen Monaten keine entscheidende Ausweitung der Luftverteidigung vorgenommen – obwohl seit Längerem bekannt war, dass Russland massenhaft Geran-2-Drohnen für den Winter produziert und einsetzt. Genau das Ergebnis ist jetzt sichtbar: Die ukrainische Energie-Infrastruktur wird erneut schwer getroffen, es entsteht humanitäre Not in der Ukraine und die daraus resultierenden Schäden.
Das verursacht auch zusätzliche Kosten für Europa. Zudem wird international registriert, dass die europäischen Ankündigungen zur Unterstützung Kiews nicht im gleichen Maß durch konkrete militärische Maßnahmen unterlegt wurden.
Selenskyj: „Das ist unser Alltag“
Selenskyj fordert daher erneut mehr Patriot-Systeme und mehr weitreichende Raketen. „Es ist nie genug“, sagt er gegenüber dem „Guardian“ – genug sei es erst, wenn der Krieg endet. Und während im Palast das Notstromaggregat wieder anspringt und das Licht aufblinkt, sagt Selenskyj nur einen Satz, der beschreibt, was in diesem Winter Normalität ist: „Das ist unser Alltag.“
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