Manfred Weber ist mächtiger Chef der Europäischen Volkspartei und wird auch immer wieder als EU-Kommissionspräsident gehandelt. Der „Krone“ gewährte er im Rahmen des EU-Gipfels in Brüssel ein Interview und sprach über Migration, das Verbrenner-Aus, Naivität gegenüber dem Kreml und einen unbeantworteten Anruf der Schweizer Präsidentin im Weißen Haus.
„Krone“: Herr Weber, der deutsche Kanzler Friedrich Merz und Österreichs Regierungschef Christian Stocker fordern eine „Wirtschaftswende für Europa“. Weniger Bürokratie, einfachere Entscheidungsstrukturen – ist das auch in Ihrem Sinn?
Manfred Weber: Ja, der Weckruf kommt zum richtigen Zeitpunkt. Wir Europäer spüren, dass wir in der Defensive sind. Deswegen volle Unterstützung für die Initiative von Merz und Stocker. Europa muss jetzt an drei Punkten ansetzen: Erstens bei der Bürokratie – das ist das, was die Unternehmen am meisten nervt. Zweitens beim Binnenmarkt – Österreich hat in der Mittellage stark davon profitiert, dass die Grenzen offen sind. Und drittens beim fairen Welthandel. Nur wenn wir offen bleiben, können wir unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze sichern. Wettbewerbsfähigkeit ist das Top-Thema unserer Zeit, insbesondere angesichts der 15-prozentigen Zölle der USA.
Thema Zölle – warum lässt sich Europa von den USA das gefallen?
Wir können uns den amerikanischen Präsidenten nicht aussuchen. Trump liebt Zölle, das hat er oft genug gesagt. Aber Europa hat im Abkommen durchgesetzt, dass unsere Standards gelten – ob bei digitalen Regeln oder Lebensmitteln. Es ist kein perfektes, aber eines der besten Handelsabkommen mit Trump weltweit. Weil wir geeint aufgetreten sind. Die Schweiz zahlt 39 Prozent Zölle, Trump hat beim Anruf der Schweizer Präsidentin nicht einmal abgehoben und sie müssen das amerikanische Chlorhühnchen schlucken. Das zeigt, wie viel schlechter es laufen kann.
Warum spielt Europa seine wirtschaftliche Stärke nicht aus?
Weil wir militärisch noch immer nicht auf eigenen Füßen stehen. Trump war der erste US-Präsident, der militärische Macht zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen nutzte. Europa war nicht souverän genug. Wir müssen endlich in der Lage sein, uns selbst zu verteidigen – das entscheidet über unsere Zukunft.
Wie lange dauert es, bis Europa militärisch souveräner wird?
Es beginnt jetzt. In Brüssel werden erstmals gemeinsame europäische Verteidigungsprojekte beschlossen – Drohnenabwehr, Satellitenschutz, Raketenabwehr. Auch neutrale Länder wie Österreich leisten ihren Beitrag. Wenn wir gemeinsam beschaffen, sparen wir Milliarden. Wir haben 17 Panzerarten in Europa, die USA eine – das zeigt, wo wir besser werden müssen.
Wie kann man die militärische Zersplitterung Europas überwinden?
Europa hat keine eigenen Militärkompetenzen – die liegen bei den Mitgliedstaaten. Aber bei Themen wie Cyberabwehr, Satelliten oder Drohnen macht gemeinsame Planung Sinn. Hier liegt der europäische Mehrwert: gemeinsam investieren, Abhängigkeiten reduzieren, Sicherheit erhöhen. Hier machen wir jetzt den ersten Schritt zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigung.
Kritiker sagen, wer mehr Aufrüstung fordert, sei ein Kriegstreiber.
Das ist Unsinn. Wer Feuerwehrfahrzeuge anschafft, hofft ja auch, dass sie nie ausrücken müssen. Sicherheit bedeutet Vorsorge. Wer glaubt, man müsse Putin nur freundlich begegnen, ist naiv. Die Putin-Freunde in Europa sind ein Sicherheitsrisiko.
Europa wird oft vorgeworfen, zuzusehen statt zu handeln – etwa in der Ukraine-Frage.
Europa ist handlungsfähiger geworden. Es gibt direkte Kanäle zu Washington, und auch Trump hat zuletzt die Unterstützung für die Ukraine bekräftigt. Das Verhältnis ist stabiler, als viele denken.
Sie fordern einen „Wirtschaftsbooster“ für Europa. Was bedeutet das konkret für Bürgerinnen und Bürger?
Wir müssen Wachstumsbremsen lösen – etwa das Verbrennerverbot. Hunderttausende Jobs hängen daran. Die Entscheidung der linken Mehrheit im Europaparlament war falsch. Der Markt, nicht der Staat, soll entscheiden, welche Technologie sich durchsetzt. Europa braucht weniger Dirigismus, mehr unternehmerische Freiheit. Der Binnenmarkt ist der Schlüssel zu Wachstum und Wohlstand.
Müssen Entscheidungen in der EU schneller gehen?
Ja, in dringenden Fragen schon. Demokratie braucht Zeit, aber sie darf nicht lähmen. Europa sollte sich auf Bereiche konzentrieren, wo gemeinsames Handeln echten Mehrwert bringt – etwa beim Binnenmarkt. Andere Themen wie Sozial- oder Pensionssysteme gehören in nationale Verantwortung.
Ein zweites Dauerthema ist Migration. Sie sagen: Illegale Migration soll bekämpft werden, legale Zuwanderung sei aber notwendig.
Europa hat Fortschritte gemacht: Die illegalen Einreisen nach Italien zum Beispiel sind um 80 Prozent gesunken, in Österreich haben sie sich 2024 im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Gleichzeitig brauchen wir legale Zuwanderung – vor allem auch dort, wo es im Arbeitsmarkt benötigt wird. Es sollen die kommen, die uns helfen, aber nicht die, die uns ausnutzen.
Aber Abschiebungen in Länder wie Afghanistan oder Syrien sind hoch umstritten. Wo liegt der Mittelweg?
Entscheidend ist: Gibt es ein Bleiberecht oder nicht? Wenn jemand nach rechtsstaatlichem Verfahren keines hat, muss er gehen. Nur so bleibt legale Migration gesellschaftlich akzeptiert. Dafür brauchen wir eine europaweit verbindliche Rückführungsverordnung – ein Vorschlag von EU-Kommissar Magnus Brunner liegt bereits auf dem Tisch.
Dänemark will Asylverfahren in Drittstaaten wie Kosovo oder Albanien auslagern. Unterstützen Sie das?
Ja, wenn dort EU-Recht gilt. Das albanische Modell sieht Verfahren unter europäischem Recht mit europäischen Beamten vor. Ziel ist, das Schlepper-Geschäft zu zerstören. Wenn sich das Geschäftsmodell nicht mehr lohnt, sinkt die Zahl der illegalen Überfahrten drastisch.
Und wenn diese Länder später selbst der EU beitreten?
Dann muss man neu bewerten. Beide Länder übernehmen aber schon jetzt EU-Recht schrittweise. Entscheidend bleibt: Europa muss Migration steuern, nicht erdulden. Unsere Regierungen – in Griechenland, Italien, Finnland – zeigen, dass Ordnung an den Außengrenzen möglich ist, wenn der politische Wille da ist.
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