Was geschah nach Carmens Tod? Die Neuinterpretation des Stoffes an der Volksoper Wien setzt dort an, wo Bizets Oper aufhört. Die schwungvolle Premiere von „Killing Carmen“ wurde am Mittwoch heftig bejubelt. Hier stimmt einfach alles – zumindest beinahe.
Die Neuinterpretation eines weltberühmten Opernhits wie Georges Bizets „Carmen“ ist ein Wagnis – die Volksoper ist es eingegangen und hat damit einen durchschlagenden Erfolg erzielt. Das Dreierteam Nils Strunk, Lukas Schenk und Gabriel Cazes hat den Klassiker neu erzählt und weitergedacht – und dabei bemerkenswertes Musiktheater kreiert. Lebendig und klug, schwungvoll und berührend: bei „Killing Carmen“ stimmt so gut wie alles.
Der Ausgangspunkt: Die (überlebenden) Figuren der Oper treffen sich 14 Jahre nachdem Don José Carmen aus Eifersucht getötet hat. Nun soll er hingerichtet werden. In geschickten Rückblenden lassen Micaëla, Moralés und Escamillo die Geschehnisse von damals lebendig werden.
Das Libretto springt leichtfüßig zwischen drei Sprachen, ist auf Französisch, Englisch und Deutsch geschmeidig und voller Sprachwitz. Musikalisch ist die Produktion ein unkonventioneller Stilmix: Hier verschmelzen Musical und Oper, Chanson und Kabarett zu einer schwungvollen Revue. Dazu gibt es herbes Western-Flair und zarte Disney-Romantik.
Eine große Liebe und der Preis der Freiheit
Die neuen Arrangements für eine sechsköpfige Band sind schwungvoll – und greifen immer wieder die berühmten Melodien von Bizet auf. Gabriel Cazes leitet den Abend dynamisch am Klavier – selbst in der Rolle des Barbetreibers Lillas Pastia. Das Regieteam Strunk und Schenk braucht kein Bühnenbild und kaum Requisiten, um stimmungsvolle Szenen zu bauen. Die (teils wilden) Assoziationsketten funktionieren ohne Brüche, machen die Zeitsprünge logisch und erzählen unprätentiös eine tragische Geschichte von großer Liebe und dem Preis der Freiheit.
Die Darsteller sind ein gleichwertiges Team präsenter Singdarsteller, die alle ihre besonderen Talente einbringen können. Katia Ledoux ihre vokale Kraft und das Flair der Operndramatik als Carmen, Anton Zetterholm als Don José die zarten Nuancen und das große Gefühl aus dem Musical oder Florian Carove als Moralés seine feine Schauspielkunst und die Kraft des Chansoniers. Julia Edtmeier zeigt in einer Doppelrolle ihren unglaublichen Facettenreichtum von der lyrisch mädchenhaften Micaëla bis zum coolen Gangsterboss Dancaïro. Auch der volltönende Escamillo von Stefan Cerny bereichert den Abend. Ein Glücksfall von einem Ensemble.
Lautstärke mit Intensität verwechselt
Einzig die Tontechnik vertraut diesem Füllhorn an Talent nicht restlos – und verwechselt Lautstärke mit Intensität. So viel Verstärkung haben weder die Musik noch die Musiker nötig. Im Gegenteil, hier wäre weniger oft mehr. Vor allem die musikalischen Feinheiten der Band gehen unter.
Das schmälert die Wirkung dieses herausragenden Abends jedoch nur minimal. Hier steht lebendiges, zeitgenössisches Musiktheater auf der Bühne, das sich gekonnt und kraftvoll allen Schubladen verweigert. Es ist eine Freude zu sehen, dass Wien seinen Ruf als Hauptstadt der Musik nicht nur aus der Pflege seiner großen Vergangenheit bezieht.
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