Vor exakt einem Jahr erfand die Abtenauerin Anna Buchegger den Sound der heimischen Alpenland-Folklore auf ihrem Debütalbum „Windschatten“ neu. Auf ihrem Zweitwerk „Soiz“ vermischt sie Regionales mit Allgemeingültigen, befreit den Heimatbegriff von engstirnigem Denken und thematisiert auch unangenehme Dinge. So bleibt ihr ihr Alleinstellungsmerkmal in der Szene erhalten.
Wo fängt die Heimat an und wo hört sie auf? Was bedeutet Heimat eigentlich und warum lassen sich Begrifflichkeit und Bedeutung gar nicht ins Englische übersetzen? Wie kann man den Ausdruck von jeglichem Mief der Deutschtümmelei befreien und ihn in einem Kontext der Geborgenheit und Gemeinschaft betrachten? Schon vor einem Jahr befand sich Anna Buchegger auf der Suche nach Antworten. Als die Salzburgerin im Frühherbst 2024 ihr Debütalbum „Windschatten“ veröffentlichte, erfand sie die heimische Popmusik ein gutes Stück neu und positionierte sich damit klar für Offenheit in alle Richtungen. „Bei meinen Konzerten kamen sehr viele Menschen aus der queeren Welt und solche, die sich nicht als Teil des Grundkonzepts von Heimat sehen. Unsere Konzerte sind genau dieser Ort, wo sie dazugehören und wo sie sich daheim fühlen. Meine Musik ist für eine offene, tolerante Community gemacht - und die Leute haben sie genau so verstanden, wie ich sie gemeint habe.“
Beispiel für Ungehorsam und Aufbruch
Mit dem Rückenwind eines erfolgreichen Debüts war die Arbeit am Nachfolger gar nicht so leicht. Buchegger wollte sich nicht selbst kopieren, aber auch nicht den eingeschlagenen Weg verlassen. Die anfänglichen Ängste, sie könne mit neuen Liedern in den Schenkelklopfer-Dialektpop abrutschen, waren schnell ausgeräumt. Auf dem Zweitwerk „Soiz“ zeigt sich die Künstlerin nicht nur nachdenklich, sondern traut sich auch eine gewisse Leichtigkeit zu. So weist die erste Singleauskoppelung „Maria“ ein poppiges Arrangement auf und huldigt der großen Maria Augusta von Trapp, deren Leben nicht zuletzt durch die Musical-Verfilmung „The Sound Of Music“ zu Weltruhm gelangte. Trapp dient als Beispiel für Ungehorsam und für Ausbruch und Aufbruch nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren. „Die Flucht vor den Nazis und der Umzug in die USA – das passte einfach nicht in das Heimatfilm-Genre von damals und das finde ich großartig.“
Auf „Soiz“ zeigt sich die 26-Jährige standfester und noch klarer in ihren humanistischen Ansichten. „Ois is schwoaz oder weiß, dazwischen gibt’s nix mehr wos bleib, es geht bergåb und ois foaht schuss, dass de Sicht schlecht is, is jed’m wurscht“ besingt sie wütend und fordernd in „Teppich“. Es ist ein in Liedform gegossenes Manifest gegen Engstirnigkeit, Sturheit und die allumfassende Egozentrik der Gegenwart. „Mia håm nix mehr zu verlier’n, hiaz kimma uns ungeniert gegenseitig ohliag’n“ – was bleibt, wenn die Ehrlichkeit verschwindet und man sich von allen Problemen abwendet? Lüften wir den Teppich, bevor es zu spät ist. Oder das mit hymnischem Gesang veredelte „Mauer“, das mit Zeilen wie „I bau a Mauer in mein Goat’n, dass i de Berg neama siag“ unmissverständlich ausdrückt, wie es um die Dickköpfigkeit jener aussieht, die unerklärbare Phantomängste vor „dem fremden Mann“ haben, der ihnen Land und Familie wegschnappt. Eine Ode gegen die grassierende Fremdenfeindlichkeit und die Suche nach den simplen Antworten.
Blick hinter die Kulissen
Das balladeske „Schutt und Dreck“ hingegen befasst sich mit der Angst vor Kriegen. „Wenn ich am Land an Stammtischen höre, dass es wieder einmal einen ordentlichen Krieg oder den starken Mann braucht, dann wird mir ganz anders“, so die Künstlerin, „was ist das für ein Gedanke? Was passiert, wenn der Sohn einer Mutter einzogen wird und traumatisiert oder gar nicht mehr zurückkommt? Wenn man wichtige Menschen verliert? Patriotismus macht als solches keinen Sinn. Wir sollten uns lieber glücklich schätzen, dass wir in einem so friedlichen und schönen Teil der Welt hineingeboren sind – obwohl wir nichts dafürkönnen“. Buchegger schaut gerne hinter die Kulissen und befasst sich mit den schroffen, kurvigen und unbequemen Themen des Lebens. Etwa im intensiven „Es liegt an dir“, wo Machtmissbrauch und Gewalttätigkeit gegenüber Frauen in immer aggressiver werdendem Schreigesang projiziert werden. „Das Umkehren der Täter-Opfer-Rolle macht mich wütend. Und die Tatsache, dass die Opfer meist nicht ernst genommen werden.“
Neben all der Schwere gibt die Salzburgerin sich und den Hörerinnen aber auch Raum für Familiäres und Regionales. Das poppig-fröhliche „Draht“ reicht fast schon in die Epigenetik und entstand gedanklich bei einer Wanderung mit der geliebten Oma. Auf „Wos i nit bin“ huldigt Buchegger ihrer geliebten, aber in allen Bereichen anders entwickelten Schwester, deren gemeinsames Band unzertrennlich ist. Auf „Verwöhnt“ unterzieht die Künstlerin sich einem humorigen Realitätscheck, der, öfter eingesetzt, sehr viele Probleme und Vorurteile lösen oder im Keim ersticken würde: „Meine Fallhöhe ist nicht so hoch, das ist mir bewusst. Wenn ich falsche Entscheidungen treffe, dann wartet daheim noch immer mein Kinderzimmer mit der frisch gewaschenen Bettwäsche auf mich. Ich habe ein Zuhause und könnte mich wieder sammeln. Es geht aber auch darum, dass ich in meiner Wiener Blase locker über Sachen reden kann, die am Land aus vielen Gründen anders gesehen werden.“
Liebe zur Dialektmusik
Das mit einem treibenden Electro-Beat versehene „Soiz“ ist eine an Reggae angelehnte Beschreibung jenes Minerals, das Salzburg und all seinen Einwohnern eine gewisse Form der Identität verleiht. Salz ist gleichermaßen Freudenspender wie Foltermethode. Das Salz in der Suppe kann etwas erst so richtig spannend machen, streut man aber Salz in offene Wunden, führt das zu nachhaltigen Verletzungen – physisch und psychisch. „Soiz auf da Haut reibt oide Wunden auf“, singt Buchegger und stellt dabei seine Ambivalenz ins Zentrum des Geschehens. Das „Soiz“ in seiner Form als Konservierungsmittel dient ihr als Metapher für die eigene Liebe zur Konservierung – nämlich jene, den Dialekt zu pflegen, ihn mit verschiedenen Klangformen in Verbindung zu bringen und dabei stets neue Wege einzuschlagen. In ihrer Stimme wird das „Soiz“ zum Lebenselixier.
Livetermine in Österreich
Am 17. Oktober stellt Buchegger ihr zweites Album „Soiz“ bei der offiziellen Album-Release-Show im Wiener WUK vor. Weitere Livetermine in Österreich: 18. Oktober im Kronenkino Mistelbach, 23. Jänner im Alten Schlachthof in Wels, am 24. Jänner im Kulturlokal Stromboli in Hall in Tirol, am 28. Jänner bei der Kulturwelle in Wien, am 20. Februar im Freiraum St. Pölten, am 21. Februar im Festsaal Mauterndorf, am 14. März im Jazzclub Kammerlichtspiele Klagenfurt, am 3. April im Röda in Steyr, am 4. April im Grazer Orpheum, am 10. April beim Salzburger Jazzit und am 17. April auf der Stadtbühne Imst. Unter www.annabuchegger.com finden Sie alle Termine und erfahren, wie Sie zu Karten kommen können.
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