Schulmediziner fehlen

Ärztekammer: „Eier besser dokumentiert als Kinder“

Wien
24.09.2025 13:20

Chaos an den Schulen: Immer weniger Ärzte, immer mehr Schüler – und keine lückenlose Dokumentation. Österreich weiß exakt, wie viele Eier Hühner im Jahr legen – aber nicht, wie krank seine Kinder sind. In Wien teilen sich inzwischen 1900 Schüler einen Arzt.

Kinder haben ein Recht auf Gesundheit – eigentlich. Das Schulunterrichtsgesetz schreibt vor: Jedes Kind muss einmal im Jahr ärztlich untersucht werden. In Wien ist das längst Fiktion. Und wer glaubt, dass es eine saubere, einheitliche Dokumentation gibt, liegt ebenfalls falsch. Viele Schulen haben gar keine Aufzeichnungen, die Dunkelziffer ist hoch. Was niemand erfasst, kann niemand überprüfen.

Stadt widerspricht der Ärztekammer
Johannes Steinhart, Präsident der Wiener Ärztekammer, warnt: „Wir erleben derzeit eine ausgesprochen problematische Entwicklung.“ Denn die Zahlen sprechen für sich: An den Bundesschulen sitzen noch rund 90 Ärzte, an den Pflichtschulen sind es nur 42 – zuständig für 128.000 Kinder. Vor zehn Jahren gibt es noch 71 für 102.000 Schüler. Das Ergebnis: Ein einziger Schularzt für 1900 Kinder. 130 Volks- und Mittelschulen mit mehr als 35.000 Kindern müssen ohne regelmäßige Schulärzte auskommen. Stattdessen springen mobile Impfteams ein. „Nur notdürftig“, sagt Steinhart. Der Gesundheitsdienst widerspricht auf „Krone“-Anfrage: „Grundsätzlich decken unsere Schulärzte gemeinsam mit den mobilen Teams der Stadt alle schulärztlichen Leistungen in allen Pflichtschulstandorten der Stadt Wien ab. Dies schließt, im Gegensatz zu den Bundesschulstandorten, auch die Durchführung von Impfungen mit ein. Somit sind keine Schulen ohne schulärztliche Versorgung.“

Typisch Österreich: Ein Kompetenzwirrwarr
Die Wurzel des Problems liege im Zuständigkeits-Dschungel: Für Bundesschulen ist die Bildungsdirektion verantwortlich, für Pflichtschulen die Stadt Wien (MA 15). Unterschiedliche Dienstgeber, ungleiche Bezahlung, komplizierte Ausschreibungen. „Die Bezahlung in den Pflichtschulen ist sehr viel schlechter. Dazu kommt, dass Ärzte oft von Schule zu Schule hetzen müssen – ein unattraktiver Job“, erklärte Margit Saßhofer, seit drei Jahrzehnten Schulärztin und Leiterin des entsprechenden Referats in der Ärztekammer.

In vielen Schulen müssen jetzt mobile Teams einspringen.
In vielen Schulen müssen jetzt mobile Teams einspringen.(Bild: Antonio Diaz)

Tausende Schüler pro Mediziner
Während die Zahl der Ärzte sinkt, wächst die Verantwortung: Schulärzte beraten, impfen, kontrollieren Seh- und Hörvermögen, helfen bei Krisen. Immer öfter geht es um Bewegungsmangel, Übergewicht, psychische Erkrankungen. „Wir decken heute eine große Bandbreite ab – und sind oft die erste Anlaufstelle für Schüler, Lehrer und Eltern“, sagt Saßhofer.
Skandalös: Obwohl die jährliche Untersuchung gesetzlich vorgeschrieben ist, bleibt sie oft aus. Wo kein Arzt, da kein Check. Saßhofer gibt zu: „Es gibt Schulen, die überhaupt nicht betreut sind.“ Österreichweit sieht es noch düsterer aus.

Wissen nicht, wie krank unsere Schüler sind
Es klingt wie ein schlechter Scherz – ist aber Realität. Margit Saßhofer bringt es bitter auf den Punkt: „Wir wissen ganz genau, wie viele Eier im Jahr in Österreich gelegt werden. Aber wir wissen nicht, wie krank unsere Schüler sind“. Seit mehr als 20 Jahren werden die Gesundheitsdaten der Schüler nicht mehr ausgewertet. „Früher tat das das Statistische Zentralamt – dann wurde der Aufwand aus Geldmangel gestrichen. Seither stapeln sich Akten in Schränken, Daten bleiben ungenutzt. Gold, das auf der Straße liegt“, so Saßhofer.

Grundlegende Forderungen
Die Ärztekammer fordert ein Ende des Zuständigkeits-Wirrwarrs. Einheitliche Strukturen, bessere Bezahlung, Digitalisierung, Impfungen direkt an den Schulen – das ganze Paket. Steinhart warnt: „Wenn wir jetzt nicht handeln, gefährden wir die Gesundheit einer ganzen Schülergeneration.“

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