Wandern im goldenen Herbst – ein Vergnügen, das nicht allen offensteht. Hilfsorganisationen sind sich einig: Es tut sich zwar was in Sachen Barrierefreiheit, doch der Weg bleibt steinig.
Endstation Bergstation – für Menschen mit eingeschränkter Mobilität ist das oft bitterer Alltag. Aufwendige Bauten wie der barrierefreie Panoramarundweg am Schöckl sind die absolute Ausnahme, so enden viele Ausflugsvorhaben in einer Sackgasse.
Es sei denn, man greift auf ein neues Angebot zurück, das die Malteser gemeinsam mit dem Alpenverein auf die Beine gestellt haben. Als erste Institution in Österreich haben sie jüngst zwei geländegängige Wanderrollstühle vom Typ „Joëlette“ angeschafft – eine Entwicklung eines französischen Bergführers, dessen Neffe an Muskeldystrophie erkrankt ist.
Die „alpinen Sänften“ sind hierzulande noch kaum bekannt, und auch die Malteser sind nur per Zufall darauf gestoßen – als eine Mitarbeiterin in einer Wanderzeitschrift auf die einrädrigen Gelände-Rollstühle aufmerksam wurde. Nach einiger Recherche beschloss man, testweise eine „Joëlette“ anzuschaffen. „Der erste Versuch war mit der nicht-elektrischen Variante, bei der das Ziehen bergauf sehr beschwerlich ist“, berichtet Steiermark-Bereichsleiter Georg Muhri. So entschied man sich für zwei motorisierte Exemplare, mit denen man „sehr zufrieden“ sei.
„Elektro-Sänften“ werden auch privat vermietet
Nachdem die ersten „Gehversuche“ erfolgreich waren, können bergbegeisterte Menschen mit eingeschränkter Mobilität nun nicht nur an geführten Ausflügen der Malteser teilnehmen, sondern die Gefährte auch privat ausborgen – für eine Tagestour, ein Wochenende oder eine ganze Woche. Voraussetzung sind freilich zwei Begleitpersonen, die fürs Pilotieren eine gewisse Fitness mitbringen sollten. Die Einschulung auf die Geräte ist binnen weniger Minuten möglich, erklärt Muhri.
Wenn dich eine behinderte Person am Gipfel anstrahlt, entschädigt das für alle Mühen.
Georg Muhri, Obmann der steirischen Malteser
Bild: Malteser
Auch die Organisation LebensGroß, die seit Jahrzehnten Menschen mit Behinderung unterstützt, hat mit den „Joëlettes“ bereits Erfahrungswerte gesammelt. Die Rückmeldungen waren großteils positiv, berichtet Julia Spilauer, Teamleiterin der Freizeitassistenz-Schiene „Tumawas“. Doch natürlich gebe es noch viel Luft nach oben. So stellen etwa Weidezäune ein unüberwindbares Hindernis dar, die Touren müssen also genau geplant werden.
Das gilt auch, wenn die begleiteten Personen nicht auf den Rollstuhl angewiesen sind. Ein Klassiker im Grazer Umland ist die Ulrichsbergrunde beim Stift Rein, die nicht rollstuhltauglich ist, aber gut geebnete Wege aufweist. Was beileibe nicht immer der Fall sei, sagt Spilauer: „Viele Routen sind dann doch schwieriger als beschrieben. Wir betreten immer wieder Neuland.“
Jeder Mensch hat das Recht auf Aktivität und Teilhabe. In der Praxis könnten wir hier schon weiter sein.
Julia Spilauer, Teamleiterin beim Projekt „Tumawas“
Bild: LebensGroß
Auf den Hütten geht der Hürdenlauf weiter
Wenn man dann mit vereinten Kräften am Ziel angelangt ist, tun sich oft neue Hürden auf: Viele Hütten sind kaum behindertengerecht, es scheitert oft schon am Eingang. Auch Waschräume sind nur selten rollstuhltauglich. Bei Neubauten werde seit Längerem darauf Bedacht genommen, sagt Alpenvereins-Obmann Norbert Hafner. Anders sieht das naturgemäß bei den teils über hundert Jahre alten Hütten in entlegeneren Gebieten aus, wo ein Umbau kaum möglich ist. Inklusion sei dem Alpenverein aber ein wichtiges Anliegen, verweist Hafner etwa auf spezielle Kletterkurse, die seit Jahren angeboten und gut angenommen werden.
Die zwei „Joëlettes“ der Malteser tragen jedenfalls dazu bei, das Thema sichtbarer zu machen. Denn die „Rolli-Seilschaften“ stechen ins Auge. „Die meisten Wanderer, die uns erblicken, sind begeistert“, berichtet Malteser-Chef Muhri. „Manche Leute applaudieren, wenn wir des Weges kommen. Und einige wollen sogar spontan etwas spenden.“
Es begann mit Sturmtief „Paula“. Klaus Vennemann, jahrzehntelang als Hütten- und Wegewart ehrenamtlich im Alpenverein tätig, blickte hinab auf das Chaos und sagte zu seiner Gattin: „Wenigstens haben die Grazer noch ihren Hausberg.“ Ehefrau Ursula, die bei der Lebenshilfe tätig ist, konterte, dass beileibe nicht alle in diesen Genuss kämen. „Dann mach ma’s barrierefrei“, sagte Vennemann – und ließ seine Kontakte spielen. Als Brückenbau-Referent des Landes war er gerade in den Ruhestand getreten.
Die Grundidee: Rollstuhlfahrer konnten zwar bequem mit der Seilbahn aufs Plateau kommen, „aber wie gelangen wir zu den Gipfeln?“ Zunächst wurde der Ausstiegsbereich gepflastert. Die Pfosten für die Stege wurden bei der Lebenshilfe zugeschnitten, für die Feinarbeit konnte Vennemann einen Zimmerermeister aus Semriach gewinnen. „Alle waren mit Begeisterung dabei und haben mitgeholfen“, erinnert sich der 83-Jährige zurück.
Kilometerlanger Panoramaweg großteils spendenfinanziert
Insgesamt hat das Projekt, das seit 2013 Ost- und Westgipfel barrierefrei erreichbar macht, 250.000 Euro gekostet. Das Land steuerte rund 100.000 Euro bei, der Rest wurde rein aus Spendenmitteln lukriert. Inspiration hatte sich Vennemann in Norwegen und der Schweiz geholt, wo es ähnliche Anlagen gibt. In Österreich ist der gut drei Kilometer lange alpine Panoramarundweg weiterhin einzigartig.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.