Der Kanadier Cliff Stevens gehört zu den profiliertesten Blues-Gitarristen Nordamerikas, doch der Teufel Alkohol hätte beinahe seine Karriere zerstört. Mittlerweile ist längst trocken, geläutert und kommt in wenigen Tagen live in den Wiener Reigen. Ein Gespräch über Versuchungen, Rückschläge und die Kraft der Musik.
Aktuell trägt er das Haar ein bisschen kürzer, doch wenn Cliff Stevens üblicherweise des Weges schreitet, ist die optische Ähnlichkeit zu Eric Clapton frappant. Der Fünftagebart, die leicht rötlich verspiegelte Sonnenbrille und ein Outfit der Marke Germanistik-Professor lassen auf eine gewisse Entfernung zumindest vermuten, dass es „Mr. Slowhand“ himself sein könnte. Was die beiden auf jeden Fall gemein haben, ist die unerschütterliche Liebe zum Blues. Beim Thema Karriereerfolg speist sich die Strecke dann doch deutlich in zwei Gabelungen, doch auch der 67-jährige Stevens kann auf eine durchaus bewegte Vita zurückblicken. Die Begeisterung für die Musik und die Gitarre begann früh. 1968 besuchte er im heimatlichen Montreal ein Cream-Konzert und war schnell begeistert, 1970 folgte ein Gig von Johnny Winter und fortan war Stevens nicht mehr von der elektrischen Streitaxt zu trennen.
Früher Absturz
Stevens entwickelte sich vor allem in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren zu einem gut gebuchten Gitarristen in der kanadischen Szene, der sich bei verschiedenen Bands verdingte, oft durch die Weltgeschichte tourte und nebenbei memorable Momente wie etwa Auftritte beim „Montreal International Jazz Festival“ erlebte. Doch den lichten Höhen folgten allzu schnell schmerzhafte Tiefschläge. „Ich hatte ein schweres Trink- und Drogenproblem, das zuweilen wirklich eskaliert ist“, erzählt er uns im „Krone“-Interview, „mein Leben war damals eine einzige Party. An sechs Tagen die Woche stand ich auf der Bühne und es gab Backstage gratis Alkohol. Wir haben gespielt und gefeiert. An meinem einzig freien Tag ging ich in die nächste Bar, um mit Leuten zu feiern.“ Der überbordende Alkoholismus war freilich nicht nur bei Stevens selbst ein Problem, das Bewusstsein für die Gefahren, die damit einhergehen, bei weitem nicht so gegeben, wie es heute der Fall ist.
„Damals hat jeder gesoffen und Drogen genommen, das war im Rock’n’Roll Usus. Ich hätte gar nicht gewusst, was ich sonst tun soll, die Szene war extrem hedonistisch.“ Das Alkoholproblem bei Stevens uferte so aus, dass er seine Musikerkarriere im zarten Alter von 26 Jahren das erste Mal an den Nagel hängt. Während sich viele Künstler bei Misserfolgen oder Rückschlägen heute in Online-Jammereien und völlig absurden Spendenaufrufen ergehen, packte Stevens sich selbst beim Scheitel und wurde nach dem Entzug Taxifahrer. „Die ersten sechs Wochen als trockener Alkoholiker waren brutal. Ich konnte nicht schlafen und auch keine Beziehungen aufbauen, weil ich zu schüchtern war. Ich verzweifelte, aber manchmal muss man Geduld haben. Zuerst war ich sieben Jahre trocken, hatte dann aber einen Rückfall und fiel drei Jahre vom Wagen. Das zweite Mal war es noch schwieriger, aber ich habe mich herausgekämpft.“
Tag für Tag
Während Cliff sich aus dem Sumpf des Suffs zurückkämpfte, musste er den Absturz seines Bruders verfolgen, der vor drei Jahren an den Folgen übertriebenen Alkoholkonsums verstarb. „Er hatte schlichtweg nicht das Glück, das ich hatte“, erinnert er sich zurück, „ich hatte eben zweimal die Erleuchtung, dass es so nicht weitergehen kann. Er hatte sie nicht. Oft entscheiden Nuancen. Am 23. Dezember 1998 habe ich das erste Mal nichts mehr getrunken und seitdem schaue ich von Tag zu Tag, dass es so weitergeht. Ich kann also stolz behaupten, dass ich in diesem Jahrhundert noch keinen Tropfen angerührt habe“, fährt er lachend fort, „außerdem habe ich 2001 meine letzte Zigarette geraucht. Ich taste mich weiter vor und freue mich über jeden Tag, an dem ich nicht zur Kippe oder zum Bierglas greife.“
Mit dieser eisernen Disziplin hat Stevens seine Karriere als profunder Blues-Gitarrist seit einem guten Vierteljahrhundert gefestigt. Leben und Musik haben eine ganz andere Qualität. „Ich trommle die Band zusammen, wir gehen ins Studio und spielen alles ein. Es gibt keine Verspätungen und keine Ausreden, das hätte ich früher nie geschafft.“ In puncto aktivem Sport könnte er mehr machen, wie Stevens zugibt, „vor allem die Touren in Europa sind gefährlich. Ich liebe Knoppers, die esse ich andauernd. Und vom Ein- und Ausladen des Equipments bleibst du auf Tour nicht fit.“ Stevens spielt für gewöhnlich jährlich eine sechs- bis siebenwöchige Frühjahrstour, vornehmlich in Mittel- und Osteuropa. Reisen und Schleppen ist mit 67 kein Zuckerschlecken, die zwei Stunden pro Abend auf einer Bühne entschädigen ihn aber auch heute noch für jede Mühsal. „Natürlich frage ich mich manchmal, wieso ich mir das noch antue, aber die Band hat viel Energie und wir spielen gut. Das merken auch die Leute.“
Alles mit der Ruhe
Mit „Better Days“ veröffentlichte Stevens 2022 sein bislang letztes Studioalbum. Pläne in Richtung eines neuen gedeihen länger, aber Stress macht sich der Musiker im Herbst seiner Karriere keinen mehr. „Wenn es nicht um die Liebe zur Musik gehen würde, hätte das doch alles keinen Sinn“, lacht er, „wir verkaufen ja auch keine Alben mehr. Man muss touren und das ist für kleine Acts wie uns schwierig. In Kanada gibt es auch kein großartiges Fördersystem, das mich dahingehend unterstützen würde.“ Die Touren in Europa machen ihm besonders viel Spaß. „Ich habe schottische und irische Wurzeln und ich spüre, dass die Menschen den Blues hier verinnerlicht haben. In Tschechien hatte ich letztes Jahr auch mal ein ungewohnt junges Publikum, weil auch die sich für echte Musik interessieren.“ Ist Stevens gerade nicht in Europa, bleibt er gerne in Montreal und spielt Gigs in der Heimatstadt. „Ich muss nicht mehr alles machen. Das ist der Luxus, den ich mir gönne.“
Live im Reigen
Am 8. Mai kommt Cliff Stevens im Zuge seiner aktuellen Europatour auch wieder mal in Wien vorbei, um im Reigen zu konzertieren. Unter www.reigen.at gibt es noch Karten und alle weiteren Informationen zum Auftritt des leidenschaftlichen kanadischen Gitarristen.
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