Verlässlich wird in jedem Nationalratswahlkampf eine Leitkultur für Österreich gefordert. Diese soll das Rohrstaberl sein, mit dem bei Fehlverhalten gewachelt werden kann.
Allerdings: Wir haben bereits eine Leitkultur. Und die hat der Bundeskanzler ganz sicher auf seinem Schreibtisch. Der Verfassungsgerichtshof hat sie gemeinsam mit den beiden anderen Höchstgerichten im Jahre 2020 als Buch herausgegeben: unter anderem das Staatsgrundgesetz 1867, das Bundesverfassungsgesetz, den Staatsvertrag 1955, die Europäische Menschenrechtskonvention. Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht sind Teil dieser Leitkultur. All dies definiert unser Verständnis vom Wesen der Demokratie, vom Verhalten des Staates und seiner Institutionen. Es garantiert ihr Funktionieren im Alltag, vom Parlament bis hinein in die Familien. Verstöße gegen diese Leitkultur werden bekanntlich gerichtlich geahndet.
Was der Bundeskanzler nicht gesagt, aber vielleicht gemeint hat, ist, dass wir zum Verfassungsbogen auch einen Ethikbogen über die ganze Gesellschaft spannen müssen. Es geht um Normen, Regeln, Werte und Haltungen, die wir als Energiezufuhr für den Gemeinsinn unserer Gesellschaft brauchen. Damit unser Land nicht ins Schlingern kommt.
Einzelne prägen Ethik mit
Die Ethik für das Zusammenleben wird auch durch das religiöse, humane und kulturelle Sinngehäuse jedes und jeder Einzelnen mitgeprägt. Das brauchen wir täglich: familiär, nachbarschaftlich, im Beruf, in den mehr als 100.000 Vereinen, die es in Österreich gibt. Im öffentlichen Leben. In den Medien.
Messlatten? Respekt vor der Meinung anderer. Kritik ohne Schaum vor dem Mund. Anstandsgrundlagen in den sozialen Medien. Das Zur-Kenntnis-Nehmen von Mehrheitsentscheidungen. Der verantwortungsvolle Umgang der jeweiligen Mehrheit mit andersdenkenden Minderheiten. Handwerkszeug sind Solidarität, Pflichtbewusstsein, Fairness, Gemeinsinn. Die Anwendung dieses Ethikbogens ist - logo - Aufgabe aller in Österreich Lebenden. Ob einheimisch, zugewandert, ob Flüchtling oder urlaubend.
Verhaltensregeln für Untersuchungsausschüsse
Papst Franziskus hat seinen Kardinälen in einer Weihnachtsansprache eine Ethik der Verantwortungsausübung vorgelegt: „Eignung und Scharfsinn, Vorbildlichkeit und Treue, Vernünftigkeit und Liebenswürdigkeit, Unerschrockenheit und Regsamkeit, Vertrauenswürdigkeit und Nüchternheit.“ Jene Personen, die bei uns im Kleinen oder im Großen Verantwortung haben, sind fast nie Kardinäle. Aber ein Scheibchen von diesen Eigenschaften und Haltungen kann sich jede und jeder abschneiden.
Zum Beispiel könnten die Parlamentsparteien für die kommenden Untersuchungsausschüsse Verhaltens- und Kommunikationsregeln festlegen. Damit man öffentliche Debatten bedacht und klug führen kann. Ohne Untergriffigkeiten und Winkelzüge. Die Parlamentarier zählen zur Elite unseres Landes. Sie geben den Ton vor, wie im Land debattiert, um Ergebnisse gerungen wird, zum Wohle aller. Das wäre verständliche Ethik als Dienst an der Demokratie.
Franz Küberl
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