Die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Hall in Tirol platzt aus allen Nähten. Nun wurde ein Pilotprojekt gestartet, das sogenannte Home Treatment. Behandelt wird die Jugend dabei in den eigenen vier Wänden von einem multiprofessionellen Team.
Wie eine Löwin kämpft die Direktorin der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kathrin Sevecke, bereits seit Jahren für dieses Pilotprojekt. Seit 1. November läuft es nun, das sogenannte Home Treatment, also die Behandlung von psychisch kranken Kindern und Jugendlichen zwischen fünf und 18 Jahren in den eigenen vier Wänden. Bei diesem alternativen Therapieangebot kommt das ärztliche Team zum Patienten heim.
Im Home Treatment sind sehr viele Anmeldungen schulassoziiert: Schulangst und Depressionen. Es gibt Hunderte entschuldigte Fehlstunden. Da muss sich das System bewegen.
Kathrin Sevecke, Direktorin Kinder- und Jugendpsychiatrie
Bild: MUI/C. Simon
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie platzt nämlich aus allen Nähten: 70 stehen derzeit auf der Warteliste, natürlich werde triagiert. Die jungen Patienten decken dabei fast die gesamte Palette der psychischen Krankheiten ab: von Essstörungen über Ängste und Depressionen bis hin zu suizidalem Verhalten. Der fehlende Platz für die erkrankte Jugend kann aber auch durch das Pilotprojekt nicht ausgeglichen werden: auch für das Home Treatment gibt es bereits eine Warteliste.
„Kein Schnellschuss, sondern Zeitlupenschuss“
Trotzdem ist jeder weitere Schritt zu einer besseren Versorgung ein Schritt in die richtige Richtung. Dass das Pilotprojekt für zwei Jahre genehmigt wurde, kann bereits als Erfolg verbucht werden – „das war kein Schnellschuss seitens des Landes, sondern ein Zeitlupenschuss“, macht LR Cornelia Hagele deutlich, wie lange auf das Herzensprojekt von Sevecke gewartet wurde.
Nun ist das engagierte Team aufgestellt: Fachärztin, Psychologe, Psychotherapeut, Sozialpädagoge, Pflege, Sekretärin, Ernährungsberatung, Ergotherapeut. Das multiprofessionelle Team kommt aber nicht gleichzeitig. In der Woche gibt es zwischen drei und fünf Terminen.
Sas war kein Schnellschuss seitens des Landes, sondern ein Zeitlupenschuss.
LR Cornelia Hagele
Bild: Birbaumer Christof
Traum von Teams tirolweit von Reutte bis Unterland
Das Home Treatment kann dabei auch (aber nicht nur) als Übergangslösung verstanden werden, während die Kinder oder Jugendlichen auf einen Platz im Spital warten (oder auch umgekehrt). Durch das Home Treatment könnten Kinder und Jugendliche früher entlassen werden. Die alternative Therapieform steht dem Aufenthalt im Krankenhaus dabei um nichts nach: „Die Effektivität des Behandelns zu Hause ist wissenschaftlich erwiesen und gleich gut, teilweise sogar besser“, erklärt Sevecke. Für sie ist ihr Herzensprojekt aber noch lange nicht abgeschlossen.
Radius: 30 Minuten von Hall entfernt
Die Direktorin träumt von mehr Teams. „Ein eigenes Team nur für Kinder und Jugendliche mit Essstörung“, erzählt sie von einer ihrer Visionen oder jeweils ein Team für das Unterland, für das Oberland, für Reutte und Osttirol. Derzeit bewegt sich der Radius des Teams innerhalb von 30 Fahrminuten rund um Hall. Das große Ziel wäre natürlich, aus dem Pilotprojekt eine fixe Einrichtung zu machen: „Wir machen unsere Hausaufgaben“ erläutert Sevecke - das Pilotprojekt sei auch wissenschaftlich begleitet. „Sinkt der Stress in der Familie durch das Home Treatment?“ ist eine Fragestellung, an der geforscht wird.
Wichtig ist das Projekt auch, weil Platz fehlt: Um alle zu behandeln, müsste das Krankenhaus doppelt so groß sein. „Meine Vision ist, dass wir in zwei Jahren alle so überzeugt sind - mein Team und ich sind es jetzt schon -, dass wir die fehlenden Ressourcen durch das Home Treatment auffüllen können“, sagt Sevecke. Und sie betont erneut: Niemand muss sich wegen psychischer Krankheiten schämen, Körper und Psyche sind gleichberechtigt.
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