Carolin Hutter:

„Ich will nicht mehr von hier weg“

Vorarlberg
22.10.2023 09:55

Carolin Hutter ist noch in die ehemalige DDR hineingeboren worden. Doch hier im Ländle, genauer gesagt in Hohenweiler, hat die junge Mutter von drei Kindern ihr großes Glück gefunden.

Die Sonne steht tief und vermittelt schon etwas von dem bald kommenden, so typischen Winterlicht, das einen aggressiv durch die schmutzige Windschutzscheibe anfällt. In jeder Kurve justiere ich die Sonnenblende neu, weil die Strahlen hart auf mein Gesicht fallen. Ich fahre in die nördlichste Gemeinde Vorarlbergs, nach Hohenweiler. Die Ortschaft könnte genau so gut Hergensweiler heißen. Wie der benachbarte Flecken jenseits der österreichischen Grenze.

Die Landschaft mit ihren sanften, tiefgrünen Hügeln ist schon das Allgäu. Landschaften scheren sich bekanntlich nicht um Grenzen. Sie behalten ihren Charakter und verleugnen ihre Mentalität nicht. Im Gegensatz zu uns Menschen. In Hohenweiler treffe ich Carolin Hutter zum Gespräch darüber, was es heißt, sich in einem fremden Land vollkommen neu zu erfinden, die Kindheit und ihre Landschaft kompromisslos zurückzulassen.

Robert Schneider: Hohenweiler, Frau Hutter, ist ja fast schon wieder Deutschland, wo Sie ursprünglich herkommen. Nämlich aus dem Erzgebirge. Wollten Sie sicherheitshalber grenznah bleiben, für den Fall, dass es mit der neuen Heimat nicht klappt?
Carolin Hutter: Gar nicht. Der Grund war eigentlich meine um fünf Jahre ältere Schwester, die ungefähr drei Jahre nach der Wende nach Lindau übersiedelte, um dort eine Ausbildung zu machen. Darum hat es mich auch hierher verschlagen. Ich möchte überhaupt nicht mehr weg aus Hohenweiler, aus Vorarlberg. Und ich will österreichische Staatsbürgerin werden.

Sie sind eine gebürtige Sächsin, waren noch ein Kind, als die Mauer fiel. Wie war eine Kindheit in der DDR auf dem Land?
Ich stamme aus der Nähe von Chemnitz, früher Karl-Marx-Stadt, und zwar aus der kleinen Gemeinde Thalheim. Das liegt im Erzgebirge, wo die weihnachtlichen, so typischen Drechselarbeiten herkommen. Die Nussknacker, Räuchermännchen und Christstollen.

Was haben Ihre Eltern beruflich in der ehemaligen DDR gearbeitet?
Meine Mutter ist gelernte Einzelhandelskauffrau und hat ihre Ausbildung noch in einem ganz kleinen „Konsum“ gemacht...

Konsum gab es auch in Österreich. Wussten Sie das?
Nein, habe ich nicht gewusst. Später, als dann die Discounter kamen, wurde sie zur Marktleiterin. Und mein Vater, der leider vor zwei Monaten gestorben ist, war Textilmaschinenmechaniker. So hieß dieser Beruf damals. Nach der Wende arbeitete er als Lkw-Fahrer bei einem Verwandten, der eine Schrottfirma hatte. Ich komme also aus ganz einfachen Verhältnissen.

Also würdige Genossen des Arbeiter- und Bauernstaats?
Nicht ganz. Mein Vater ist immer zu den Montagsdemonstrationen nach Leipzig gefahren und wurde auch, was ich allerdings erst viel später erfahren habe, bespitzelt.

Er hat also Einsicht in seine Stasi-Akte beantragt?
Meine Eltern hatten zwei Mal Akteneinsicht beantragt, jedoch hieß es damals, dass über unsere Familie nichts vorhanden sei. Die Stasi hatte nach dem Mauerfall angefangen, Akten zu vernichten. Wir vermuten, dass auch unsere Akte geschreddert wurde.

Sie haben nach der Wende eine Ausbildung zur Hotelfachfrau in Nonnenhorn gemacht. Wie war das Ankommen in einem Land, wo es überall nur von Kapitalismus glitzerte?
Ich hatte wahnsinniges Heimweh. Ich stand oft in der Küche, und mir liefen einfach die Tränen runter. Aber meine Eltern sagten immer: „Carolin, halte durch!“ Dafür bin ich heute noch so dankbar, nämlich, dass ich gelernt habe, durchzubeißen. Genau das hat mich nämlich ein Stück weit selbstbewusster gemacht.

Wenn ich Ihnen so beim Reden zuhöre, höre ich kaum noch Ihren sächsischen Dialekt. Sie machen einen weltläufigen, welterfahren Eindruck auf mich.
Vielleicht, weil ich einige Jahre in der Sterne-Gastronomie gearbeitet habe, wo ich es mit sehr bekannten Menschen zu tun hatte. Das war auch eine wichtige Erfahrung für mich. Je berühmter die Persönlichkeit war, mit der ich es zu tun hatte, desto weniger habe ich vergessen, wo ich herkomme, wo meine Wurzeln sind.

Wie kamen sie nach Vorarlberg?
Ich habe mich auf eine Stelle in einem Restaurant in Dornbirn beworben, und das klappte auf Anhieb. Das Erste, was mir auffiel, war, dass ich meinen Chef duzen durfte. Sowas gibt es in Deutschland nicht. Dort habe ich auch meinen Mann kennen gelernt, der in diesem Restaurant als Koch arbeitete. Es stammt aus Hohenweiler. Ja, und dann wurde ich Mutter, zwei Mädchen, neun Jahre, Zwillinge, und einen Buben mit elf. Da war ich sozusagen außer Gefecht gesetzt. Für mich steht und stand die Familie an allervorderster Stelle.

Sie haben einen beruflichen Neueinstieg gewählt, arbeiten jetzt nicht mehr in der Gastronomie, sondern in der zentralen Telefonvermittlung im Landhaus. Lief Ihnen der Landeshauptmann über den Weg und sagte: „Sie könnten wir brauchen?“
Nein, ich habe mich ganz klassisch für diesen Job beworben. Klar war jedenfalls, dass ich nicht mehr in die Gastronomie zurückkehren wollte.

Warum nicht?
Weil sich dieser wunderschöne Beruf sehr gewandelt hat. Ich konnte beobachten, dass der Zusammenhalt immer weniger wurde. Auch hat die Respektlosigkeit zugenommen. Es macht keinen Spaß, von einem Gast den ganzen Abend lang runderneuert zu werden. Niemand ist mehr bereit, mehr zu tun als nötig. Die Grundmotivation ist verloren gegangen. Außerdem müsste die Arbeit in der Gastronomie einfach besser honoriert werden.

Jetzt nehmen sie Anrufe aufgebrachter Bürgerinnen und Bürger entgegen, nehme ich an. Muss man da nicht ausgebildete Psychologin sein?
Es rufen viele Menschen an, die ihr Herz ausschütten und durchaus aufgebracht sind, aber der überwiegende Teil ist sehr freundlich. Außerdem habe ich gelernt, wie man mit Menschen reden muss und wie man sie abholen kann.

Sie fühlen sich also rundherum wohl?
Ich kann nur Eines sagen: Ich bin hier in Vorarlberg wirklich angekommen.

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