Mila Meusburger:

„Die Wahrheit liegt immer in der Mitte“

Vorarlberg
30.07.2023 15:25

Die Musikerin Mila Meusburger ist in Bulgarien geboren. In Vorarlberg hat sie sich vom ersten Tag an willkommen gefühlt. Dennoch hat sie den Kontakt zu ihrer alten Heimat nie abreißen lassen.

Der Ort ihrer Kindheit war die Stadt Razgrad in Nordostbulgarien, eine gute Stunde vom Schwarzen Meer entfernt. Eine weite, sanft hügelige Landschaft umgibt die Stadt, deren höchste Erhebung gerade mal 270 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Die Region wird als „Ludogorie“ bezeichnet und ist Teil der Donautiefebene. Raue Winde brausen im Herbst über die Hügel und rasant dahineilende Wolkenformationen, die bizarre Bilder an den flachen Horizont werfen. Wolken, in denen sie als Kind Tiere, Drachen, Ungeheuer und Engel zu erkennen meinte. Mila war glücklich als Kind, erzählt sie, und das politische System, das sie umgab - der Kommunismus -, spielte keine Rolle, weil es ja nichts anderes gab. Sie kam später nicht als Flüchtende nach Vorarlberg. Sie kam als freier Mensch nach dem großen Tauwetter, nach Gorbatschows radikaler Umgestaltung der Sowjetunion, nach der Perestroika, was wörtlich „Umbau“ heißt.

Robert Schneider: Frau Meusburger, wie hießen Sie mit Mädchennamen?
Mila Meusburger: Kulowa.

Was haben Ihre Eltern in Bulgarien gearbeitet?
Mein Papa war Ausbilder für militärische Transportfahrzeuge, und meine Mama Buchhalterin in ein einem großen, staatlichen Betrieb.

Im Vorgespräch mit Ihnen habe ich festgestellt, dass Sie eigentlich ein ganz fröhliches Kind des Kommunismus waren. Stimmt das wirklich? Die Sowjetunion hatte Bulgarien besetzt. Sie waren doch sehr eingeschränkt und hatten wenig, oder?
Wir haben es damals ja nicht als wenig betrachtet, weil wir gar nicht wussten, was es alles gab. Das kam erst viel später. Es gab nicht diesen Konkurrenzkampf, wie ich ihn später im Westen kennengelernt habe. Andererseits stagnierte natürlich alles. Es gibt immer zwei Seiten. Ich muss allerdings dazu sagen, dass ich am Ende des Regimes Schiwkow sozialisiert wurde, also zu einer Zeit, als schon alles zu bröckeln begann. Ich werde nie vergessen, wie ich im Jahr 1990 am musikpädagogischen Gymnasium maturierte. Wir hatten ein Fach, das hieß „Moral und Recht“. Dort sollten wir eine Prüfung zum Thema „Die Nachteile des Kapitalismus“ ablegen. Natürlich waren wir alle sehr indoktriniert und hörten andauernd, dass der Kapitalismus schlecht sei, der Kommunismus hingegen das einzig Wahre. Heute, mit Abstand, würde ich übrigens sagen, dass die Wahrheit immer in der Mitte liegt. Jedenfalls sollten wir diesen Test schreiben. Einige Tage davor kam im Radio die Meldung, dass unser Präsident Todor Schiwkow gestürzt worden sei. Am Tag der Prüfung sagte dann unser Lehrer, ein sehr netter junger Mann: „Kinder, der Test hat sich erledigt.“

Spielte damals die Religion in Ihrem Leben eine Rolle?
Nein, gar nicht, obwohl meine Mama noch getauft worden war. Die Kirchen in Bulgarien waren ja mehr Museen als Kirchen. Die waren höchstens von kunsthistorischem Interesse. Wir feierten natürlich Ostern mit gefärbten Eiern, aber zuhause. Weihnachten kannten wir auch, wurde aber bei uns nicht gefeiert. Der höchste Feiertag war für mich als Kind der Silvestertag und die darauffolgenden Winterferien. Ich habe mich übrigens viel später, mit 23 Jahren, taufen lassen, einfach um zu sehen, wie sich das anfühlt. Ich kann nicht behaupten, dass mir die Kirche sehr gefehlt hätte, oder dass dadurch etwas in mir kaputtgegangen wäre. Aber ich bin Agnostikerin.

Wie kamen Sie nach Vorarlberg?
Ich kam im Jahr 1990 in die Schweiz und 1991 dann nach Vorarlberg. Ich war gerade 18 Jahre alt. Es war eine turbulente Zeit. Eine in Bulgarien sehr bekannte Band erhielt ein einmonatiges Engagement in einem Lokal in der Schweiz. Die Band suchte eine Sängerin. Ich bewarb mich, alles passte, und so kam ich zuerst in die Gegend um Chur und schließlich nach Vorarlberg.

Erinnern Sie sich noch an dieses erste Ankommen im Westen? Wie war das?
Das war wie Alice im Wunderland. Alles war unglaublich sauber, die Luft so klar. Ich konnte zwar kein Wort Deutsch, aber dafür Englisch. Bei uns in Bulgarien lernte man Fremdsprachen nach einem Numerus-clausus-System. Ich war eine gute Schülerin und entschied mich für Englisch als Fremdsprache.

Sie blieben dann in Vorarlberg hängen.
Ja, hier lernte ich meinen Ex-Mann kennen, der Musikpädagoge ist, und durch ihn erhielt ich auch eine Anstellung für elementare Musikerziehung an der Musikschule am Hofsteig in Wolfurt.

Hatten Sie am Anfang nicht schreckliches Heimweh?
Und wie! Aber mein Glück war, dass ich in Vorarlberg wirklich mit offenen Händen aufgenommen wurde. Ich hatte wunderbare Schwiegereltern, eine unglaublich liebevolle Familie, mit der ich noch heute sehr eng befreundet bin. Ich muss es im Nachhinein immer wieder sagen: Ich war ein Glückskind. Die Menschen haben mich sofort akzeptiert, angenommen, so wie ich bin. Natürlich half mir sehr, dass ich sofort Deutsch gelernt habe. Aber ich wollte die Sprache so gut beherrschen, dass ich auch zwischen den Zeilen lesen konnte. Mein Glück war auch, dass ich grundsätzlich ein sehr offener Mensch bin. Ich bin von mir aus auf die Menschen zugegangen.

Mit Ihrem ersten Mann haben Sie zwei Buben, durch ihren zweiten Mann kamen noch einmal vier Buben dazu. Und gemeinsam haben Sie noch einen Nachzügler - wieder einen Jungen. Viel Lärm in der Bude?
Die ersten sechs bis sieben Jahre waren natürlich laut, machten aber auch viel Freude. Ich war ja die einzige Frau mitten im Testosteron-Geschehen! Alle sieben Buben sind wirklich „unsere“ Buben geworden.

Da erübrigt sich die Frage, ob sie je wieder nach Bulgarien zurückkehren werden.
Ich habe den Kontakt zu meiner alten Heimat nie abreißen lassen. Ich bin stolz darauf, Bulgarin zu sein. Ich fahre jedes Jahr nach Razgrad, um meine alten Freunde und Bekannten zu besuchen. Aber meine wirklich tiefe, innere Heimat, da haben Sie Recht, ist hier bei meinem Mann und den sieben Buben. Da gehöre ich einfach hin.

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