Bewegende Geschichte

Najmeh Rezazadeh ist aus reiner Liebe geflüchtet

Vorarlberg
07.05.2023 14:15

Najmeh Rezazadeh und ihr Mann sind aus dem Iran geflüchtet, damit ihre Töchter in die Schule gehen können. Für das Leben in Freiheit und Sicherheit musste sie ihr Leben im Wohlstand aufgeben und in einem anderen Land von null an wieder neu anfangen. Autor Robert Schneider besuchte die Familie in ihrer kleinen Wohnung.

An der Wand im Wohnzimmer, das auch gleichzeitig das Schlafzimmer der beiden Töchter der Familie Rezazadeh ist, hängt ein schmuckloses, rundes Holztäfelchen. Darauf steht: „Lächle, und die Welt lächelt mit dir.“ Das Mobiliar ist aus diversen Caritas-Sammlungen zusammengestückelt. Alles ist reinlich und aufgeräumt. Auf dem Couchtisch liegen Süßigkeiten, liebevoll ausgebreitet. Teetassen stehen bereit. Frau Rezazadeh empfängt mich herzlich in ihrer viel zu kleinen Wohnung. Ihr Mann begrüßt mich nur ganz kurz, legt die Hand auf die Brust, verneigt sich leicht und lässt uns dann allein. Er möchte bei dem Gespräch nicht dabei sein.

Im Jahr 2016 ist die Familie aus dem Iran geflüchtet, hat lange auf das Bleiberecht in Österreich hoffen müssen und wartet seit bald sieben Jahren darauf, Arbeit zu finden. „Für meinen Mann ist das sehr schwer“, erzählt die 35-jährige Iranerin Najmeh Rezazadeh, die in ihrer Heimat Sozialwissenschaft studiert hat. „Er möchte doch etwas tun, etwas leisten. Für Männer, besonders junge, ist diese Untätigkeit ein ganz großes Problem.“ Najmeh ist eine gläubige Muslima, wenn auch nicht allzu streng, wie sie mir versichert, trägt aber einen Hidschab und wirkt souverän und selbstbewusst.

Robert Schneider: Was mir auffällt, ist, dass Sie vorzüglich Deutsch sprechen. Wie kommt das?
Najmeh Rezazadeh: Ich habe versucht, mich so schnell wie möglich zu integrieren, habe einen Deutschkurs nach dem anderen besucht, und wenn der vorbei war, habe ich wieder einen Deutschkurs besucht. Ich möchte diese Sprache verstehen und beherrschen.

Sind Sie ein politischer Flüchtling?
Nein, gar nicht. Wäre ich mit einem Iraner verheiratet, würde ich heute vermutlich im Iran leben. Aber ich habe einen Afghanen geheiratet. Wir lebten auch nicht in Teheran, das Afghanen gegenüber aufgeschlossener ist.

Das müssen Sie mir erklären.
Wir wohnten in einer Kleinstadt auf der Insel Queschm. Diese liegt am Ostende des Persischen Golfs. Mein Mann handelte mit Bekleidung und war immer zwischen Queschm und Schiras unterwegs. Nun hat die Polizei afghanische Männer einfach von der Straße weg verhaftet und nach Afghanistan abgeschoben. Ich lebte in andauernder Angst, wenn mein Mann auf Reisen war, wusste nie, ob er wieder zurückkehren wird. Außerdem hätten unsere beiden Töchter keine Ausweise bekommen und daher auch keine Schulen besuchen dürfen. Ich wollte aber nicht, dass meinen Kindern der Zugang zur Bildung verwehrt wird, dass sie Analphabeten bleiben. Das wäre für mich unerträglich gewesen. Also sind wir geflüchtet. Die Große war vier Jahre alt, die Kleine eineinhalb.

Sie sind also hauptsächlich der Kinder wegen geflüchtet?
Ja, weil ich sie liebe und sie im Iran keine Zukunft gehabt hätten.

Wollen Sie über Ihre Fluchterfahrung sprechen?
Wir sind via Teheran in die Türkei geflüchtet, haben zuvor alles verkauft, was wir hatten. Ich kann sagen, dass wir zwar nicht reich, aber wohlhabend waren. Das meiste Geld ging für die Flucht drauf. An der Grenze zur Türkei mussten wir einen Tag ausharren. Da waren noch viele andere Flüchtlinge. In der Nacht sind wir über die Grenze gegangen. Es war die unendlichste Nacht meines Lebens. Meine vierjährige Tochter hat ununterbrochen geweint, den ganzen Weg lang. Sie spürte offensichtlich, dass wir alle Angst hatten. Überall patrouillierte die iranische Polizei. Ich dachte, jede Minute werden wir gefasst. Dann ging es nach Istanbul und Izmir. Schließlich kam ein Mann und teilte uns mit, wir sollten uns an einem bestimmten Abend am Strand einfinden. Meine Mädchen hatten so große Freude, das Meer zu sehen. Sie ahnten ja nicht, was uns für eine Nacht bevorstehen würde. Es hieß, ein Schlauchboot würde kommen und dreißig Leute mitnehmen. In Wirklichkeit saßen dann über achtzig Menschen im Boot. Wir konnten uns keinen Zentimeter bewegen, saßen ganz hinten. Das Schlauchboot hatte so viel Tiefgang, dass wir die ganze Zeit bis über den Bauch im Wasser saßen. Zum Glück war das Meer ganz ruhig und glatt, denn das Boot hätte jeden Augenblick kentern können. Ich hatte meine kleine Tochter auf dem Arm und lauschte immer, ob sie noch lebt, sich nicht am Wasser verschluckt hätte. Der Schlepper sagte: „Rudert immer geradeaus, dort wo die Lichter sind.“ So kamen wir schließlich nach Griechenland, wo wir vom Roten Kreuz sehr gut behandelt wurden. Sie brachten uns trockene Kleider, zündeten ein Feuer an, damit wir uns wärmen konnten. Ja, und dann ging es offiziell per Schiff nach Athen. Von dort nach Nordmazedonien und schließlich nach Slowenien an die österreichische Grenze, wo wir von der privaten Flüchtlingshilfe ORS betreut wurden.

Wie fühlte sich die neue Freiheit in Österreich an?
Die ersten beiden Jahre waren für mich die schrecklichsten Jahre meines Lebens. Wir mussten mit elf Menschen in einem Zimmer leben. Die hygienischen Bedingungen waren sehr schlecht. Meine Kinder hatten immer irgendwelche Krankheiten. Der Kleinen fielen nach und nach die Finger- und Zehennägel aus. Dann hatten sie andauernd Läuse und Hautekzeme. Ich war das nicht gewohnt. Ich stamme aus einem bürgerlichen Umfeld, war mit einer gewissen Privatsphäre aufgewachsen. Ein großes Problem waren auch die vielen jungen Männer, die nicht wussten, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollten. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin heilfroh, in Österreich sein zu dürfen.

Wie lange mussten Sie auf das Bleiberecht warten?
Ich habe eines gelernt. In Österreich geht alles ganz langsam. Sieben Jahre haben wir gewartet.

Und durften nicht arbeiten in dieser langen Zeit?
Ja. Darum hat mein Mann auch die ganze Motivation verloren. Am Anfang hat er gut Deutsch gelernt. Aber als der Bescheid so lange nicht kam, fiel er in große Depressionen. Er sagte immer: „Das geht nicht gut. Wir müssen wieder zurück.“

Und Ihre beiden Mädchen? Die gehen doch zur Schule?
Das ist mir das Allerwichtigste. Die Kleine geht in die Volksschule und die Große, die jetzt 11 Jahre alt ist, in die Mittelschule. Sie lernen gerne und haben gute Noten.

Werden Sie in den Iran zurückkehren, wenn sich die politischen Verhältnisse bessern?
Darüber denke ich oft nach. Ich habe keine Antwort darauf. Ich liebe meine Kultur, meine Sprache, meine Stadt. Niemand geht freiwillig weg. Aber nach sieben Jahren hier in Vorarlberg, wird für mich die Frage immer schwieriger zu beantworten. Meine Kinder wachsen hier auf, bewegen sich in dieser Kultur. Für mich ist Österreich die zweite Heimat, aber für die Kinder ist es die erste.

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