Autor Robert Schneider traf Elfi Thaler, die ihm von den Glanzzeiten des Kirchenchors erzählte. Singen, so scheint es, ist heute nicht mehr stark im Leben der Menschen verankert.
Sechzig Jahre lang hat Elfi Thaler im Kirchenchor Dornbirn-Rohrbach mit ihrem Sopran die liturgischen Hochfeste verschönt. Im Jahr 1964 zählte sie zu den Gründungsmitgliedern des Vereins, war 22 Jahre lang für die Finanzen zuständig, organisierte die Jahresausflüge ins Südtirolische, ist beim Kulturamt der Stadt Dornbirn betteln gegangen, wenn es darum ging, Geld für die Instrumentalisten aufzutreiben, denn eine Orchestermesse war immer etwas ganz Besonderes und kostete eben Geld. Selbst hat sie alles ehrenamtlich gemacht, sozusagen zur höheren Ehre Gottes. Darum standen ihr auch die Tränen in den Augen, als im vergangenen Herbst der arg zusammengeschrumpfte Chor zum letzten Mal eine Orchester-Messe aufführte. „Am Schluss waren wir noch fünfzehn Leute, die da gesungen haben. Zwei Bässe, zwei Tenöre, acht Altstimmen und drei Soprane. Junge kamen keine mehr nach, obwohl wir im Blättle inseriert haben. Dann war einfach Schluss.“
Vorarlberg hatte bis in die Zehner-Jahre eine große, blühende Laienchortradition. Nahezu in jedem größeren Dorf fanden sich Sängerinnen und Sänger zusammen, die an weltlichen wie kirchlichen Festen gemeinsam musizierten. „Es war ja nicht nur das Singen allein“, erzählt Elfi Thaler, „es ging um das gesellschaftliche Miteinander. Man hat sich irgendwie durchs Leben begleitet, durch alle Höhen und Tiefen, konnte in die einzelnen Familien hineinschauen, Anteil nehmen, stand in guten wie in schlechten Tagen zusammen.“
Das rasante Schrumpfen der katholischen Kirche einerseits, aber auch die zunehmende Spezialisierung im Chorwesen andererseits haben dem Laienchor als solchem den Dolchstoß versetzt. „Man wurde fast belächelt, wenn man im Kirchenchor sang und nicht in einem semiprofessionellen Chor“, sagt Elfi.
Zwischenzeitlich haben aber auch besagte semiprofessionelle Singvereinigungen die allergrößten Schwierigkeiten, ihre Mitglieder zu halten. So ringt die „Chorakademie Vorarlberg“ von Saison zu Saison regelmäßig ums Überleben. Ein Fehlgriff in der Repertoirewahl – etwa das Aufführen unbekannter Chorliteratur, und das Finanzloch ist fast nicht mehr zu stopfen. Nur durch Erhöhung der Mitgliedsbeiträge. Eine Messe von Anton Bruckner ist schon ein enormes Wagnis. Es muss eben immer Händels „Messias“ oder Bachs „Weihnachtsoratorium“ sein.
Elfi hat die sechzig Jahre, die sie im Rohrbacher-Kirchenchor gesungen hat, genossen und ist dankbar für diese „herrliche Zeit“, wie sie erzählt. Durch eine heimtückische Borreliose-Erkrankung fällt der alten Dame das Sprechen merklich schwer. Dennoch ist sie voller Esprit und voll von wachen Erinnerungen an ihr „Leben“ im Kirchenchor.
Im „irdischen“ Leben war sie Schuhverkäuferin, bewerkstelligte später den Einkauf von insgesamt drei Verkaufsfilialen. „Ich habe 25 Jahre lang bei den Misswahlen den jungen Damen die Schuhe anprobiert“, sagt sie und lächelt dabei.
Auf die Plakette samt Urkunde für den jahrzehntelangen, unentgeltlichen Dienst an der Kirche, welche ihr von Bischof Benno verliehen wurden, ist sie schon stolz, auch wenn sie meint: „As ischt nix Bsundrigs.“ Vor ihr auf dem Tisch liegt die Chormappe mit den Sopran-Noten. Die übliche Chorliteratur ist darin versammelt. Ernst Titels „Kleine Festmesse“ oder Mozarts „Spatzenmesse.“ Was sie jetzt mit diesen Noten mache, frage ich. „Ich behalte sie als Andenken für mich rein persönlich auf.“
Was ihr von diesen vielen Jahren Chorsingen noch lebendig in Erinnerung geblieben sei, möchte ich wissen. Ein Highlight sei der Festakt anlässlich der „100-Jahre Stadterhebung Dornbirn“ gewesen. Da seien vier Chöre zusammengekommen. Ein unvergesslicher Eindruck sei das für sie geblieben. „Eine lustige Geschichte gibt es aber auch noch zu erzählen“, fügt sie schnell hinzu. „Ganz am Anfang, das war noch in den sechziger Jahren, da durften wir Frauen nach den Chorproben nicht mit den Männern einkehren gehen. Der Chorleiter wollte das nicht. Das ging so sechs bis sieben Jahre lang. Dann haben wir Frauen einfach beschlossen, selber wegzugehen. Es waren eben noch ganz andere Zeiten.“
Ins Schwärmen kommt sie, wenn sie von den jährlichen Ausflügen erzählt. „Wir fuhren immer gemeinsam ins Südtirol, weil unser Chorleiter Südtirol-Fan war. Wenn man dann am Abend bei einem guten Wein zusammensaß und plötzlich vierstimmig gesungen hat, ohne Noten, dann haben die Leute schon gestaunt. Das war herrlich.“ Elfi gerät ins Räsonieren. Es sei wirklich jammerschade, dass man nicht mehr zusammenkommt und miteinander singt. Früher war das in jedem Gasthaus üblich. Jemand habe eine Gitarre genommen und ein Lied angestimmt. Den Text habe jeder auswendig gekannt, Strophe um Strophe. „Aber diese Zeiten sind leider vorbei“, seufzt sie.
Ob sie eine Erklärung dafür habe, weshalb die Tradition des gemeinsamen Musizierens so den Bach runtergegangen sei, frage ich Elfi zum Schluss unseres Gesprächs. Sie denkt lange nach und sagt, dass sie dafür auch keine Erklärung habe. „Aber, wer weiß, vielleicht kommt das wieder einmal, und die jungen Leute entdecken das Singen wieder. Man weiß ja nie, was sein wird.“
Sie ist eine Optimistin geblieben. Was für sie persönlich zählt und bleibt, sind die schönen Erlebnisse, die vielen Proben, die feierlichen Hochämter, die beglückenden Aufführungen und nicht zuletzt die jahrzehntelange Gemeinschaft des Rohrbacher-Kirchenchors, die persönliche Verbundenheit mit den Sängerinnen und Sängern. Dafür sei sie unendlich dankbar.
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