Unlängst beschlich „Krone“-Kolumnist Robert Schneider das Gefühl, alt zu sein. Der Grund dafür: Er kannte noch jemanden, der einst Kaiser Franz Josef persönlich getroffen hatte.
Immer zum Jahreswechsel packten die Eltern uns vier Kinder in den doppelkabinigen VW-Pritschenwagen und fuhren in den Bregenzerwald, die lieben Tanten und Onkel väterlicherseits besuchen. Dort zuckelten wir von Dorf zu Dorf. Weil die Verwandtschaft so groß war - es konnten unmöglich alles Tanten und Onkel meines Vaters sein -, kehrten wir oft erst nach Mitternacht zurück. In meiner Erinnerung bestand diese Verwandtschaft aus lauter uralten Menschen. Als zehnjähriges Kind kommt einem ein Mensch mit zwanzig Jahren alt vor. Aber Vaters Tanten und Onkel waren steinalt. Methusalems.
Bei Tante Gerlinde, die ein lahmes Augenlid hatte, bissen wir uns die Zahnkronen an den Zimtsternen vom Vorjahr aus. Im Haus des uralten Onkel Ludwig machten wir uns heimlich über seinen Eierlikör her, während er wie jedes Jahr die Geschichte seiner Begegnung mit Kaiser Franz Josef erzählte, der am 10. August 1881 den ersten „Bell’schen Sprechtelegrafen“ der Monarchie in Dornbirn in Betrieb genommen hatte. Onkel Ludwig sei damals noch ein kleiner Bub gewesen und habe dem Kaiser in einer Matrosenuniform ein Gedicht aufsagen dürfen, worauf jener „Schön, schön!“ gesäuselt habe. Wenn Onkel Ludwig zu der Stelle mit dem „Schön, schön!“ kam, begann er zu weinen. Das war das Stichwort für meinen Vater, weiterzuziehen, weil nach dem „Schön, schön!“ nur noch tiefste Bitternis kam. Wir dackelten ins nächste Dorf, nach Langen bei Bregenz, zu Onkel Ludwigs Bruder, der Pepi hieß und wie jedes Jahr von seinen Marienerscheinungen erzählte.
Diese Geschichten kommen mir heute so fern vor und erinnern ich selbst ans Altwerden. Ich habe tatsächlich noch jemanden gekannt, der Kaiser Franz Josef begegnet ist - vorausgesetzt, der Onkel Ludwig hat uns damals nicht das Blaue vom Himmel erzählt und wirklich dem Kaiser ein Gedichtlein aufgesagt. Im Matrosenkostüm.
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