Ein Dasein auf der Straße kann im Winter lebensgefährlich sein. In Linz sind die Notschlafstellen und Wärmestuben überfüllt. Und dieser Tage drückt die Weihnachtsstimmung noch zusätzlich auf das Gemüt vieler Obdachloser. Auch Felix lebt auf der Straße, er erzählt der „Krone“ von seinem Schicksal.
Die Linzer Innenstadt strahlt im weihnachtlichen Lichterglanz, es duftet nach Punsch und Maroni. Szenenwechsel an den Busterminal: Null Grad zeigt das Thermometer, es ist windig und nasskalt. Wir treffen Felix (25), einen großgewachsenen, jungen Mann, gepflegte Kleidung. Was man auf den ersten Blick nicht sieht: Felix ist obdachlos. In seiner Jugend konsumiert er Gras, später immer härtere Drogen. Während eines Entzugs lernt er eine Frau kennen, zieht zu ihr. Es folgt die Trennung und er landet auf der Straße.
Seit zwei Jahren auf der Straße
Zwei Jahre ist das jetzt her, seitdem verbringt er seine Nächte oft am Busterminal. Alltagskleidung, Handschuhe, Haube, dicke Jacke und Schuhe trägt er, wenn er abends in zwei Schlafsäcke kriecht. „Trotzdem ist es kalt“, berichtet er. „Wenn du obdachlos bist, hast du dich schon mit allem abgefunden“, erzählt Felix weiter - und dass Weihnachten für ihn keine besondere Bedeutung hat.
Wie er den Heiligen Abend verbringen wird? „Vielleicht bei meiner Mutter“, meint er, aber das Verhältnis ist angespannt, beim letzten Telefonat hatte er hörbar wieder zu viel getrunken. Falls das nicht klappt, wird er sich mit anderen Obdachlosen am Busterminal treffen, trinken, Zeit totschlagen.
In kalter Jahreszeit mehr denn je gefordert
Dass sich die Stimmung vor den Feiertagen ändert, bestätigt Thomas Niedermayr, Streetworker beim Verein B37. „Bei vielen kommt jetzt hoch, was sie alles verloren haben: Familie, Freunde, das Zuhause“. Die Sozialarbeiter sind in der kalten Jahreszeit mehr denn je gefordert. Menschen, die sie nicht an die Notschlafstellen vermitteln können, werden mit dem Nötigsten ausgestattet: Isomatten, Schlafsäcke.
Rund 50 bis 70 Obdachlose leben in Linz ausschließlich auf der Straße, scheuen das Alkoholverbot in der Notschlafstelle oder halten aufgrund psychischer Probleme das Zusammensein auf engem Raum nicht aus. Aber die Bereitschaft steigt im Winter deutlich an.
Durch eine Meldung bei der Kälteschutz-Hotline des Vereins B37 können besorgte Passanten Hinweise zu Obdachlosen geben: 0 732/77 67 67-560 Di, Do, Fr, 10 bis 12 Uhr oder per E-Mail: kaelteschutz@b37.at. Sachspenden für die Caritas Wärmestube in der Dinghoferstraße 54, 4020 Linz: Dringend gebraucht werden Schlafsäcke, Isomatten und Campingkocher. Abgabe zu den Öffnungszeiten: Mo, Di, Do, Fr, Sa, So, 11 bis 18 Uhr; Mi 14.30 bis 18 Uhr.
Andrang auf Wärmestube
Auch in der Wärmestube der Caritas ist ein erhöhter Andrang spürbar. „Die Menschen bleiben im Winter länger“, weiß Leiter Klaus Schwarzgruber. Sei es, um sich aufzuwärmen oder Zeit beim Kartenspiel zu verbringen. Bis zu 100 Klienten täglich suchen die Wärmestube auf, „bei 70 bis 80 Personen wird es eng, da gehen die ersten freiwillig“.
Weihnachten drückt auf Gemüt
Auch er merkt, dass die Weihnachtsstimmung auf das Gemüt der Obdachlosen drückt. Deshalb wird bewusst auf allzu viel Deko verzichtet. Am Heiligen Abend gibt es aber dann doch ein besonderes Essen, die Sozialarbeiter nehmen sich viel Zeit für ihre Klienten.
Hat Felix einen Wunsch ans Christkind? „Mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.“
„Der Krebs rettete mich“
Sonja T. (43) ist 19, als sie 1998 von ihrer Mutter vor die Tür gesetzt wird und auf der Straße landet. Seit 2018 hat sie eine Wohnung, arbeitet als Reinigungskraft und bei der Straßenzeitung „Kupfermuckn“.
„OÖ Krone“: Wie war der Moment, auf der Straße zu landen?
Sonja T.: Beschissen! Die ersten Tage hatte ich noch Geld für Essen und Trinken. Dann war das Geld weg, ich wusste nicht wohin. Nachts schlief ich unter einem Baum und wurde von der Polizei aufgegriffen und in die Notschlafstelle gebracht. Dort wurde ich über die Möglichkeiten für Obdachlose aufgeklärt.
Hatten Sie Angst?
Ja, als Frau noch mehr. Ich habe mir aber eine Elefantenhaut zugelegt, mir nie etwas gefallen lassen.
Was ist das Schlimmste an der Obdachlosigkeit?
Du musst den ganzen Tag herumirren, von einer Wärmestube zu anderen, bist nie daheim, kommst nie zur Ruhe.
Wie haben Sie damals den Ausstieg geschafft?
Durch meine Krebserkrankung. Als ich diese überstanden hatte, sagte ich mir, dass sich etwas ändern muss. Es war meine letzte Chance, relativ unbeschadet herauszukommen.
Sie wohnten dann in WGs, bekamen 2018 Ihre erste eigene Wohnung. Wie war das Gefühl?
Es war zwar noch nicht alles fertig, aber ich dachte mir nur: „Endlich Ruhe!“
Was sagen Sie Menschen mit der Einstellung, Obdachlose seien selbst schuld an ihrer Situation?
Scheidung, Trennung und Arbeitsverlust sind meist die Ursachen. Nach Jahren auf der Straße resignieren viele. Es braucht oft ein einschneidendes Erlebnis, um herauszukommen.
Treffen Sie noch manchmal Bekannte von früher?
Natürlich, im Park oder am Bahnhof. Mit den guten Ratschlägen habe ich aber aufgehört. Man unterhält sich wie mit allen anderen Bekannten auch.
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