Politiker und Experten

Kritik für Stöckls Aussagen zum Rettungsdienst

Salzburg
07.09.2022 08:00

Landesrat Christian Stöckl behauptete in einer schriftlichen Stellungnahme, dass das Bundesland Niederösterreich nur deshalb höhere Rettungsstandards habe, weil es dort nicht ausreichend viele Notärzte geben würde. Anlass dazu waren „Krone“-Recherchen zu den den niedrigen Standards im Salzburger Rettungswesen. In Niederösterreich sorgen Stöckls Aussagen bei Politik, Rettung und Notrufzentrale für große Verwunderung. Außerdem zeigen sich Experten überzeugt davon, dass ein gutes Notarzt-Netz alleine - entgegen der Argumentation des Salzburger Roten Kreuzes und der Landesregierung - kein Ersatz für hochqualifiziertes Personal auf den Rettungswagen ist.

Gesundheitslandesrat Christian Stöckl (ÖVP) zeigt sich trotz politischem Gegenwind überzeugt von der Qualität des Salzburger Rettungsdienstes. Wie berichtet sind in Salzburg standardmäßig Rettungssanitäter mit einem 100-Stunden-Theoriekurs und 160 Stunden Praxis auf den Rettungswagen unterwegs. Diese dürfen allerdings keinerlei Medikamente geben und sind laut der Einschätzung von Juristen eigentlich gar nicht für die Versorgung von Notfallpatienten zuständig. In Niederösterreich sind, nach Vorgabe des Landes, Notfallsanitäter auf den Rettungswagen für die Notfallrettung unterwegs. Sie sind deutlich besser ausgebildet, können Infusionen setzen und Medikamente verabreichen. Dieses System soll in den kommenden Jahren seinen Vollausbau erreichen.

Stöckl-Behauptung: In Niederösterreich gäbe es wenige Notärzte

Gesundheitsreferent Christian Stöckl (ÖVP) hält Notfallsanitäter auf den Rettungswagen, bessere Ausstattung und mehr Kompetenzen für nicht notwendig, weil man ein dichtes Notarzt-Netz habe. Außerdem wirft Stöckl Niederösterreich vor, kein flächendeckendes und hochwertiges Notarztwesen zu haben. Er schreibt in einer schriftlichen Stellungnahme: „Die Notfallversorgung im Bundesland Salzburg basiert im Gegensatz zu Niederösterreich auf einer sehr flächendeckenden und qualitativ hochwertigen notärztlichen Bereitschaft.“

Weiter heißt es: „Ein wesentliches Merkmal des Systems des Salzburger Rettungswesens ist, dass über die Notarztstützpunkte, die notärztlichen First-Responder in den Gemeinden und die Stützpunkte der Flugrettung im Land Salzburg ein flächendeckendes System an Notärzten eingerichtet ist, das rasche Einsatzzeiten und kurzfristig verfügbare notärztliche Hilfe gewährleistet. Daher ist ein Vergleich Salzburgs mit Niederösterreich, wo Notfallsanitäter dazu eingesetzt werden sollen, das notärztliche System zu entlasten, keinesfalls zutreffend.“ Salzburgs Rotes Kreuz betonte in einer Stellungnahme in der Vorwoche bereits, dass die personell und technisch besser ausgestatteten Rettungswagen in Niederösterreich lediglich das Notarztsystem entlasten sollen.

Notarzt-Fahrstrecken Salzburg (nachts/Schlechtwetter)

St. Koloman (HA): 35 Kilometer

Golling (HA): 36 Kilometer

Abtenau (HA): 53 Kilometer (allerdings ist nachts hier die ärztliche Erstversorgung sichergestellt)

Dorfbeuern (SL): 30,5 Kilometer

Fuschl am See (SL): 34 Kilometer

Hintersee (SL): 32,8 Kilometer

Anmerkung: Die zwei Notarztteams, die im Salzburger Uniklinikum stationiert sind, decken nachts die drei Bezirke Salzburg-Stadt, Salzburg-Land und Hallein alleine ab. Gesamt sind die beiden stationierten Fahrzeuge nachts für fast 400.000 Menschen und eine Fläche von 1738 km² zuständig. Nachts fliegt in Salzburg, im Gegensatz zu Niederösterreich, kein Hubschrauber.

Niederösterreichs Gesundheits-Landesrätin weist Vorwurf zurück

Den Vorwurf, dass es in Niederösterreich kein flächendeckendes und qualitativ hochwertiges Notarztwesen gäbe, lässt Stöckls niederösterreichische Amtskollegin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) nicht auf sich sitzen. Sie sagt:  In Niederösterreich gibt es ein qualitativ hochwertiges Notarztsystem, das derzeit um die Ebene der Notfallsanitäter erweitert wird. Ich lade Christian Stöckl gerne nach Niederösterreich ein, um ihm einerseits unser flächendeckendes System zeigen zu können und mich andererseits mit ihm auch über die generellen Herausforderungen auszutauschen.“

Laut Rettungsleitstelle Niederösterreich sehr wohl flächendeckende Notarzt-Abdeckung

Auch Philipp Gutlederer von der Leitstelle „Notruf Niederösterreich“ zeigt sich über Stöckls Aussagen verwundert: „Wir haben 32 Notarztfahrzeuge und drei Hubschrauber in Niederösterreich. Dazu kommen noch ein Intensivtransporthubschrauber und der Wiener Helikopter „Christophorus 9". Mir ist nicht bekannt, dass Notarztstützpunkte in letzter Zeit abgemeldet oder unbesetzt waren“. In Niederösterreich sei in aller Regel binnen weniger Minuten ein Notarzt vor Ort, so Gutlederer. Die Leitstelle ersetze also mit der Alarmierung von Notfallsanitätern keine fehlenden Notärzte, so der Leitstellenexperte.

Rotes Kreuz Niederösterreich: „Haben ein gutes und qualitatives Notarztwesen“

Zurückgewiesen wird Stöckls Behauptung auch vom Niederösterreichischen Roten Kreuz. Sprecher Andreas Zenker sagt: „Selbstverständlich haben wir ein hochwertiges und flächendeckendes Notarztwesen.  Aber wir setzen mit unseren Notfallsanitätern und dem RTW-C (Anmerkung: Rettungswagen für Notfälle), unserer Ausstattung und den umfangreichen Kompetenzen einen weiteren Schritt in Richtung bestmöglicher Versorgung.“ Zudem würden viele praktische Ärzte auch zusätzlich zu Notarzt und Rettungswagen alarmiert werden, um noch scheller und besser helfen zu können. In Niederösterreich werde keinem Notfallpatienten notärztliche Hilfe verwehrt. „Es braucht beides - gute und handlungsfähige Notfallsanitäter auf den Notfall-Rettungswagen und ausreichend Notärzte“, so Zenker.

Niederösterreich hat im Verhältnis sogar mehr Notärzte als Salzburg

Tatsächlich dürfte Niederösterreich laut „Krone“-Recherchen sogar ein besser ausgebautes Notarztwesen haben als Salzburg. Denn: Dort gibt es nachts pro 51.000 Einwohnern und 581,39 km² einen Notarzt. In Salzburg ist ein Notarzt für 70.000 Einwohner und 894,5 km² zuständig. Zudem fliegt in Niederösterreich auch nachts ein Notarzt-Hubschrauber. Das gibt es in Salzburg nicht, dort müssen in der Nacht alle Notarzteinsätze per Fahrzeug bewältigt werden. Trotzdem setzt Österreichs größtes Bundesland auf höhere Standards bei Sanitätspersonal, Kompetenzen und Ausstattung. Zum Wohle des Patienten und um zukunftsfit zu sein, wie es aus dem Büro der Landesrätin heißt.

Notärzte in Niederösterreich und Salzburg

Tagsüber ganzjährig:

Niederösterreich:

  • 32 Notarztfahrzeuge, fünf Notarzt- bzw Intensivtransporthubschrauber (Anm: Christophorus 9 steht zwar in Wien, übernimmt aber viele Einsätze in Niederösterreich)
  • Ein Notarzt für 48.571 Menschen und 581,39 km²

Salzburg:

  • 3 Notarzthubschrauber, 2 Notarztwagen (teils auf Bereitschaft/mit Vorlaufzeit) und 5 Notarztfahrzeuge
  • Ein Notarzt für 56.000 Menschen und 894,5 km²

Nachts ganzjährig:

Niederösterreich:

  • 32 Notarztfahrzeuge, ein Notarzthubschrauber
  • Ein Notarzt für 51.515 Menschen und 581,39 km²

Salzburg:

  • 6 Notarztfahrzeuge, 2 Notarztwagen (teils auf Bereitschaft/mit Vorlaufzeit)
  • Ein Notarzt für 70.000 Menschen und 894,5 km²

Anmerkung: In der Sommer- und Wintersaison sind bis zu fünf Notarzthubschrauber in Salzburg stationiert. Allerdings werden diese vor allem für Ski- und Freizeitunfälle gebraucht. An diesem Punkt sind auch die rund 30 Millionen jährlichen Nächtigungen in Salzburg hervorzuheben. (Quelle: Salzburger Landesstatistik - letztes normales Tourismusjahr 2018/2019) Niederösterreich hat jährlich im Vergleich dazu nur rund ein Sechstel der Salzburger Nächtigungen.

Renommierter Rettungsexperte: „Es braucht Notfallsanitäter und Notärzte“

Zu Wort meldet sich in der aktuellen Diskussion auch der Gesundheitswissenschaftler und FH-St.Pölten-Professor Christoph Redelsteiner, der auch an der Donau-Uni Krems Rettungsdienstmanagement unterrichtet. Er sagt: „Niederösterreich hat ein gut aufgestelltes Notarztwesen.“ Wichtig zu betonen ist dem langjährigen Notfallsanitäter und Lehrbuchautor zudem: „Das ist kein Entweder-oder. Es braucht gut ausgebildete Notfallsanitäter auf dem Rettungswagen und Notärzte gleichermaßen.“ Man dürfe nicht den Fehler machen zu glauben, dass ein dichtes Netz an Notärzten ein Ersatz für hochqualifiziertes Personal auf den Rettungswagen sei, so Redelsteiner. 

Zitat Icon

Notärzte machen Notfallsanitäter auf dem Rettungswagen nicht obsolet. Diese sind oft zuerst da und die Besatzung muss schnell mit einer medikamentösen Therapie beginnen können. Das ist ganz klar ein Recht der Patienten.

Christoph Redelsteiner, Gesundheitswissenschaftler, FH-Professor und Notfallsanitäter

Selbst wenn ein Notarzt vor Ort ist, bräuchte dieser ein Team aus Notfallsanitätern, um adäquat arbeiten zu können, ist Redelsteiner überzeugt. Zwar wird der Notarzt in der Regel von einem Notfallsanitäter mit einem Auto zum Notfallort gebraucht. Beim Transport im Rettungswagen ist dieser Notfallsanitäter aber selten dabei, weil er das Notarztfahrzeug ins Spital lenken muss. Das kann problematisch sein, wenn die Besatzung des Rettungswagens nur aus Rettungssanitätern besteht. Denn: Die Assistenz des Notarztes ist alleinig die Aufgabe von Notfallsanitätern, die dafür auch ausgebildet werden.

Außerdem könnten sich laut Redelsteiner die Notärzte bei Einsätzen mit Notfallsanitätern im Regelfall schnell wieder für den nächsten Patienten freimelden. Die Begründung: Notfallsanitäter könnten Patienten in vielen Fällen nach notärztlicher Erstbehandlung - im Gegensatz zu Rettungssanitätern - auch alleine ins Spital bringen und dabei versorgen.

Generell wünscht sich Redelsteiner für die Zukunft mehr Qualität im Rettungsdienst und verweist darauf, dass in vielen europäischen Ländern die Sanitäter-Ausbildung ein Bachelor-Studium sei. Gerade in diesem Lichte sei es, so Redelsteiner, dringend geboten zumindest jene Möglichkeiten, die das Gesetz jetzt schon bietet, auch in allen österreichischen Regionen voll auszunützen. In den vergangenen 20 Jahren seit Bestehen des Sanitätergesetzes hätten die Rettungsorganisationen genügend Zeit gehabt, ausreichend viele Notfallsanitäter auszubilden, erläutert Redelsteiner.

Für Chef der Wiener Berufsrettung braucht es hoch qualifizierte Sanitäter

Auch der Chef der Wiener Berufsrettung, Rainer Gottwald, meldete sich auf „Krone“-Anfrage zu Wort. Wiens Rettung ist als Magistratsabteilung eine Einrichtung der Stadt und ist in nationalen und europäischen Fachkreisen für ständige Qualitätssteigerung und Innovation im Rettungsdienst bekannt. In Wien sind neben der Berufsrettung auch Hilfsorganisationen wie Rotes Kreuz, Samariterbund, Malteser, Johanniter, Sozialmedizinischer Dienst und Grünes Kreuz unterwegs. Dabei gelten für alle Organisationen und damit auch für ihre ehrenamtlichen Mitarbeiter die gleichen Regeln. Heißt beispielsweise: Notfallsanitäter, Medikamente und EKG-Gerät am Rettungswagen sind Pflicht.

Gottwald sagt: „Nur eine gute Ausbildung aller am Rettungseinsatz beteiligten Einsatzkräfte garantiert die beste Versorgung für die Patienten.“ So müssten etwa bei einem Herz-Kreislaufstillstand ein Venenzugang gelegt, Medikamente verabreicht und der Atemweg gesichert werden. „Besteht das Rettungsteam aus Rettungssanitätern und einem Notarzt, so kann alle lebensnotwendigen Schritte nur der Notarzt durchführen“, kommt der Abteilungsvorstand auf ein großes Problemfeld zu sprechen. Wenn das Team vom Rettungswagen als Notfallsanitäter höhere Kompetenzen habe, könne man auch besser zusammenarbeiten und die verschiedenen Aufgaben zum Wohle des Patienten verteilen, so Gottwald. Deswegen seien bei den Notarzt-Fortbildungen der Berufsrettung auch Sanitäter dabei, um dem realen Einsatzgeschehen so nahe wie möglich zu kommen.

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