Endgültiges Aus?

EU glaubt nicht mehr an Gas aus Nord Stream 1

Ausland
19.07.2022 13:17

Die Europäische Union geht offenbar davon aus, dass künftig kein Gas mehr aus der in Wartung befindlichen Pipeline Nord Stream 1 nach Europa fließen wird. Davon hängt auch ab, ob Österreich seine Speicher rechtzeitig füllen kann - dies könnte die ohnehin schon so schwere Wirtschaftskrise noch weiter befeuern. Russland gibt sich zum Fortschritt der Arbeiten weiterhin bedeckt.

Seit Tagen bangt man in den EU-Staaten vor Nachrichten aus Russland, ob die reparaturbedürftige Gasleitung ihren Betrieb wieder aufnehmen kann oder nicht. „Wir gehen davon aus, dass die Pipeline nicht wieder in Betrieb genommen wird“, zitiert das „Wall Street Journal“ nun jedoch den österreichischen EU-Kommissar Johannes Hahn am Rande einer Konferenz in Singapur.

Gas als politisches Druckmittel
Die Arbeiten hätten eigentlich bereits am kommenden Donnerstag abgeschlossen werden sollen. Nachdem am Montag bekannt wurde, dass sich die dafür notwendige Ersatzturbine aus Kanada aber erst in Deutschland befindet, scheint der Stichtag aber mehr als fraglich zu sein - der Weitertransport dauert nämlich zumindest fünf Tage.

Indessen versucht Russland weiterhin in der Gas-Krise politischen Druck auf die EU auszuüben. So stellte der Kreml zuletzt etwa in den Raum, dass ein weiterer Export von den EU-Sanktionen abhängig gemacht werde. Darüber hinaus betonte das Unternehmen Gazprom mehrfach, dass eine Aufnahme des Betriebs von Nord Stream 1 trotz Wartungsarbeiten nicht garantiert werden könne.

Geringere Gaslieferungen wegen „höherer Gewalt“
Russland nutzt die europäische Abhängigkeit von seinem Erdgas immer unverhohlener als Druckmittel. Seine geringeren Gaslieferung will Gazprom jetzt auch mit „höherer Gewalt“ erklären. Der deutsche Energiekonzern Uniper erhielt ein Schreiben von Gazprom Export „in dem das Unternehmen rückwirkend höhere Gewalt für die bisherigen und aktuellen Fehlmengen bei den Gaslieferungen geltend macht“, erklärte das Unternehmen am Montag. Auch gegenüber dem Gasversorger RWE begründete Gazprom so geringere Lieferungen.

Das Regime in Moskau steht schon lange im Ruf, seine Energie als geopolitische Waffe zu nutzen. Gleichzeitig hat Russland laut Experten kein Interesse daran, im aktuellen Konflikt als die Seite dazustehen, die Verträge bricht. Der Verweis auf höherer Gewalt kommt dabei offenbar gerade recht: Mit dem Verweis auf ein unvorhersehbares Ereignis - etwa Krieg, Naturkatastrophen oder Pandemien - welches außerhalb der Kontrolle der Vertragsparteien liegt, können Unternehmen versuchen, sich vor juristischen Klagen von Kunden auf ihre Haftung aus Lieferverträgen zu schützen.

Inflation könnte sich verdoppeln
Die mögliche weitere Verknappung könnte nicht nur zu ernsthaften Energieengpässen in der gesamten Region führen, sondern die ohnehin schon so schwere Wirtschaftskrise - in Österreich kletterte die Inflation zuletzt auf 8,7 Prozent - weiter befeuern. Wie der Chef des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts, Gabriel Felbermayr, zuletzt mehrfach betonte, könnte sich die Inflation jedoch sogar noch verdoppeln.

„Im Falle eines Erdgaslieferstopps bzw. eines Embargos würde die europäische Wirtschaft in eine Rezession schlittern“, stelle der Wirtschaftsforscher klar. Sollte Russland die Rohöllieferungen von Kasachstan nach Österreich dauerhaft behindern bzw. gänzlich unterbinden, würde das die Rohölversorgung verteuern.

Österreich besonders stark betroffen
Der Anteil Russlands an den gesamten Erdgasimporten sei in Österreich deutlich höher als z. B. in Deutschland (2021: Österreich 86 Prozent, Deutschland knapp 40 Prozent). Für ein Binnenland, das stärker von Pipeline-Lieferungen abhängig ist, sei es schwieriger Versorgungsengpässe durch andere Bezugsquellen zu kompensieren.

Auch eine Kompensation von Erdgas durch andere Energieträger gestaltet sich in Österreich schwieriger, da der in Gaskraftwerken erzeugte Strom kaum durch eigene Kohle- und vor allem nicht durch Atomkraftwerke ersetzt werden könne. Damit ist in der heimischen energieintensiven Industrie und in der Strom- und Fernwärmeerzeugung im Falle eines Lieferstopps mit einem stärkeren wirtschaftlichen Einbruch zu rechnen als in Deutschland.

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