Quo vadis, Bundesheer? Zwei Rekruten schildern der „Krone“ haarsträubende Missstände im Grundwehrdienst. Ein Generalstabsoffizier analysiert - und nimmt sich kein Blatt vor den Mund.
„Ich habe mich eigentlich auf die Zeit beim Heer gefreut. Aber es war eine bittere Enttäuschung. Viele von uns waren psychisch am Ende“, zieht ein 18-jähriger Niederösterreicher wenige Tage nach dem Abrüsten vom Grundwehrdienst Bilanz. Er will anonym bleiben, weil er mögliche Konsequenzen befürchtet, aber auch stellvertretend für die „Generation Krise“ Bewusstsein schaffen und gemeinsam mit einem gleichaltrigen Kameraden aus demselben Zug die Fehler im System aufzeigen.
„In der Kaserne in Niederösterreich, die sich auf Pionierausbildung spezialisiert hat, gab es einen Unteroffizier, der uns extrem eingeschüchtert hat“, so der junge Mann. „Er ist in der Vergangenheit durch Gewaltdelikte aufgefallen und hat uns offen gedroht.“ Die Burschen fragen sich: „Warum lässt man solche Leute auf junge Menschen los?“
„Das Kaderpersonal ist demotiviert“
Eine mögliche Antwort kommt von einem international tätigen Generalstabsoffizier des Heeres, der verständlicherweise seinen Namen auch nicht preisgeben möchte. Der Familienvater mit Kärntner Wurzeln erklärt: „Das Kaderpersonal ist demotiviert. Das zieht sich leider durch alle Ebenen. Der Frust wird nach dem Motto verarbeitet: Den Letzten beißen die Hunde.“
Woher kommt dieser Frust?
„Wir Soldaten sind seit zwei Jahren die ,Hilfsschackln‘ der Nation. Corona-Teststraßen, Contact-Tracing, Botschaftsbewachung oder Post-Aushilfe - die Kameraden müssen ständig neue Aufgaben erfüllen, für die sie nicht ausgebildet wurden.“ Der Insider verweist auf die angespannte personelle Lage: „Beim Kader gab es einen regelrechten Aderlass. Österreichweit fehlen zumindest 100 Unteroffiziere. Gleichzeitig gibt es immer mehr Anforderungen und Begehrlichkeiten, speziell seitens der ÖVP.“ Es werde keine Rücksicht auf die Belastung der Truppe genommen. Folge: „Die planmäßig vorgesehenen Infanteriekompanien gibt es nur noch auf dem Papier.“
Besonders gefährlich wird die Situation offenbar beim Grenzschutz, zu dem Rekruten herangezogen werden. Abgesehen von der schlechten Versorgung („verschimmelter Streichkäse, verdorbene Spaghetti, abgelaufene Produkte“) werde der Faktor Psyche völlig unterschätzt. „Nach drei Monaten Ausbildung steht man plötzlich mit scharfer Munition nachts in unbekanntem Gelände. Es gibt gar keine mentale Vorbereitung“, kritisieren die beiden.
Aufgrund der Dauerbelastung („bis zu 87 Stunden Dienst pro Woche“) gepaart mit seelischen Problemen komme es öfters zu tragischen Zwischenfällen. Diese werden auch von unserem Fachmann leider bestätigt. Manöverkritik zum Schluss: Egal, ob Grundwehrdiener oder General: Die Probleme werden von beiden Seiten erkannt. Was fehlt, sind die Lösungen.
Kommentar: Ein Schuss in den Ofen
Die russische Invasion in der Ukraine hat gezeigt, wie wichtig effektive Landesverteidigung ist - und wie weit Österreich davon entfernt ist. Pseudo-Neutralität und eine schwache Armee sind eine explosive Mischung. Im Fall des Falles steht man alleine da. Wie das Kaninchen vor der Schlange. Ministerin Tanner hat angesichts der Bedrohung im März ein Milliardenpaket versprochen. Bisher ist das Unterfangen ein weiterer Schuss in den Ofen während ihrer Amtszeit. Große Worte, denen keine Taten folgen. Taktisches Stichwort zur Erinnerung: „Airbus wird mich noch kennenlernen.“ Geld alleine wird die Probleme übrigens nicht lösen. Zunächst müsste die ÖVP einsehen, dass das Heer weder Selbstbedienungsladen noch parteipolitische Personalreserve ist. Dann wäre eine Grundsatzentscheidung gefragt. In Kurzform: Aufrüsten oder Abschaffen? Auf eine dahinsiechende Wach- und Schließgesellschaft wartet nur noch eine Perspektive - der letzte Zapfenstreich.
Georg Brandl
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