„Krone“-Kolumne

Selbstliebe: „Ich komme alleine auch gut klar“

Kolumnen
20.12.2021 08:41

Soziologin und Sexualpädagogin Barbara Rothmüller über die Kunst, alleine zu sein und sich selbst zu lieben.

Menschen sind beschäftigt und gut darin, sich abzulenken. Da bleibt nicht immer Zeit für die Liebe. Eine junge Frau, nennen wir sie Hannah, hat meinem Forschungsteam erzählt, dass ihr die Pandemie geholfen hat, ihre FOMO abzulegen. Also ihre Angst, etwas zu verpassen oder nicht dazuzugehören, wenn sie nicht auf jede Party geht. Vor der Pandemie hat sie versucht, mit so vielen Menschen wie möglich Sex zu haben, weil sie flirten aufregend fand. Ihre eigenen Grenzen hat Hannah dabei zurückgestellt, wie sie sagt, um andere glücklich zu machen - nicht zuletzt die Männer, mit denen sie sich sexuell eingelassen hat. Aber was ist eigentlich mit ihren Bedürfnissen?

Zum Zeitpunkt des Gesprächs machte Hannah bereits eine längere Pause vom Dating - um sich auf sich selbst zu konzentrieren und herauszufinden, was ihre Bedürfnisse sind. Obwohl viele Singles einsam sind, ist es überraschend, wie viele Menschen in der Pandemie alleine gut klar gekommen sind. Und mehr noch: Es sogar super finden, mit sich selbst Zeit zu verbringen und sich etwas Gutes zu tun. Alleinsein hat durch die Distanzierung in der Pandemie einen neuen Aufschwung erfahren. Auch Kolleginnen aus Japan berichten: Aktivitäten alleine sind mit der Pandemie in Mode gekommen, vor allem bei jungen Frauen. Wurde auch Zeit! Warum sollen Frauen nicht alleine in ein Restaurant oder Campen gehen?

Wer glaubt, diese Menschen sind am Egotrip und werden sich bald ins Einsiedler-Leben verabschieden, täuscht sich. Die Fähigkeit zum Alleinsein ist sogar wichtig, um sich auf andere Menschen einlassen zu können, betont Gloria Watkins. Besser bekannt unter dem Namen ihrer Großmutter, bell hooks, schrieb die große Nachdenkerin über die Liebe: „Viele von uns suchen die Gemeinschaft nur, um der Angst vor dem Alleinsein zu entkommen. Zu wissen, wie man allein sein kann, ist für die Kunst des Liebens von zentraler Bedeutung. Wenn wir allein sein können, können wir mit anderen zusammen sein, ohne sie als Mittel zur Flucht zu benutzen.“

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Viele von uns suchen die Gemeinschaft nur, um der Angst vor dem Alleinsein zu entkommen. Zu wissen, wie man allein sein kann, ist für die Kunst des Liebens von zentraler Bedeutung.

Gloria Watkins (bell hooks)

Hooks, die letzte Woche gestorben ist, hat darauf hingewiesen, wie stark Liebe und Selbstliebe nicht nur von der Kindheit, sondern auch von der Gesellschaft geprägt sind. Für Menschen, die in der Gesellschaft verachtet werden, ist Selbstliebe richtiggehend revolutionär. Wer sich selbst, seinen Körper und sein Anderssein liebt, lässt sich nicht einreden, dass er nichts wert ist - und lässt sich auch nicht schlecht behandeln.

Junge Menschen wie Hannah haben sich in der Pandemie Freiräume geschaffen, um sich selbst etwas Gutes zu tun. Wie werden diese jungen Menschen in Zukunft ihre Liebesbeziehungen leben? Man weiß es nicht. Aber hoffentlich ohne ihre Partnerinnen und Partner als Mittel zur Flucht vor der Einsamkeit zu benutzen.

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