Filzmaier analysiert

Was bleibt vom talentierten Herrn Kurz?

Politik
05.12.2021 20:34

Kaum ist ein Politiker nicht mehr im Amt, wird nach seinem politischen Erbe gefragt. Anhänger und Gegner schwanken dabei zwischen Verherrlichung und Verteufelung. Gerade Sebastian Kurz wurde wechselweise als Messias oder Gottseibeiuns dargestellt. Wie aber lässt sich sein politischer Erfolg oder Misserfolg messen?

1. Zunächst ist es verwunderlich, dass von einer Ära Kurz gesprochen wird. Rein zeitlich waren jeweils die Hälfte der schwarz-türkisen und roten Parteimenschen als Bundeskanzler, nämlich je sieben Männer - die parteifreie Expertin Brigitte Bierlein also ausgenommen -, länger oder kürzer im Amt als Kurz. Von der Dauer seiner Amtszeit her war dieser somit Durchschnitt und nichts Besonderes.

2. Kurz regierte in zwei Phasen - 2019 wurde er ja durch ein Misstrauensvotum im Parlament für rund sieben Monate abberufen - insgesamt 1169 Tage. Das klingt viel, war aber kaum länger als der eher unbeholfene Fred Sinowatz in den 80er-Jahren als Kanzler der SPÖ. Bruno Kreisky war hingegen 4781 Tage oder knapp mehr als 13 Jahre Bundeskanzler. Ihm sehr nahe kam seitens der ÖVP Leopold Figl mit zwölf Jahren. Nach 1955 saßen Julius Raab, Josef Klaus und Wolfgang Schüssel allesamt sechs bis sieben Jahre im Kanzlerbüro.

3. Apropos Figl, Raab, Schüssel & Co. Diese waren in der ÖVP etwas, das Kurz letztlich nicht schaffte: Langzeitbundesparteiobmänner. Was für ein Wortungetüm. Doch eine Seltenheit in der einst schwarzen Partei, wo es eine Zeit lang oft am Dreikönigstag eine Art Volkssport war, den eigenen Obmann abzusägen. Die vorübergehende Idealisierung von Kurz hatte neben Machtwünschen viel mit der Sehnsucht nach einer Führungspersönlichkeit zu tun. Wofür Kurz freilich nichts kann: Warum gab es als Chef der ÖVP nie eine Frau?

4. In den Wahlergebnissen und Umfrageständen führte Sebastian Kurz die ÖVP als Parteichef von rund 20 Prozent auf 37 Prozent in der Nationalratswahl und rund 45 Prozent bald nach Ausbruch der Pandemie zurück auf knapp über 20 Prozent. Das war eine Berg-und-Talfahrt sondergleichen. Nachhaltig geblieben ist nichts. Die ÖVP steht am Ende von Kurz dort, wo sie zu seinen Anfängen war.

5. Selbstverständlich lässt sich der Wert eines Spitzenpolitikers weder am Geschlecht noch allein anhand von Stimmenprozenten oder seiner Zahl von Tagen oder Jahren in einer Funktion messen. Hat Kurz Pflöcke eingeschlagen, welche die österreichische Politik über Jahrzehnte bestimmen, obwohl er selbst politisch nicht mehr ist? War er ein herausragender Staatsmann, der das Land gestaltete, oder bloß eine Sternschnuppe als sprachlich begabter Blender?

6. Unterstützer des Ex-Politikers Kurz sagen an dieser Stelle, dass er mit einer strikten Zuwanderungspolitik und sozialpolitischen Akzenten wie dem Familienbonus oder auch für die Wirtschaft durch die geplante Steuerreform bleibende Akzente gesetzt hätte. Wir werden vermutlich nie erfahren, ob er da Überzeugungstäter aufgrund seiner Werte und Standpunkte war. Oder aus taktischem Kalkül handelte, um beispielsweise der FPÖ Stimmen abzunehmen.

7. Ein Standardvorwurf aller Kritiker gegenüber Kurz lautete, dass er sich nie nach dem Motto des früheren deutschen Bundespräsidenten Walter Scheel richtete. Dieser sagte: „Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe der Politiker ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.“ Kurz hätte demzufolge gar kein Programm mit inhaltlicher Tiefe gehabt, sondern vor allem gut klingende Überschriften kommuniziert.

8. Schwerwiegend und jede Kurzbilanz beeinflussend ist dieser Vorwurf in der Corona-Pandemie. Als Kanzler hielt Sebastian Kurz an seiner Erzählung vom schönen Sommer, einer coolen Zeit und dem Ende der Pandemie für Geimpfte fest. Das war falsch. Die Warnungen medizinischer Experten wurden ignoriert. Der Preis dafür war hoch. Er wurde in den Krankenhäusern und auf den dortigen Intensivstationen bezahlt.

9. Letztlich ist eine Bilanz der Ära Kurz vorerst unmöglich, da die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn und sein Umfeld offen sind. Unabhängig von der eigenen Schuld oder Unschuld, ist es in politischer Hinsicht genauso entscheidend, ob seine Mitarbeiter der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit schuldig sind oder nicht. Hinzu kommt das Sittengemälde in den Chats, man hätte - Stichwort Kinderbetreuung - Sachpolitik nicht gewollt, weil Kurz Reinhold Mitterlehner keinen Erfolg gönnte.

10. Ein Roman von Patricia Highsmith heißt „Der talentierte Mister Ripley“. Der Titelheld ist ein ehrgeiziger Hochstapler und gibt sich als von ihm getöteter Freund aus. Was mit Herrn Kurz nichts zu tun hat, obwohl sein Vorgänger Mitterlehner die Kurz‘schen Intrigen gegen ihn als eine Art politischen Mord ansehen könnte. Machen wir Schluss mit solchen Emotionen! Kurz selbst sagt, er war weder Heiliger noch Verbrecher. Nüchtern betrachtet war er schlicht ein begnadetes Kommunikationstalent, das als Sachpolitiker sehr durchschnittlich war.

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