Pommers Feierabend

Liebe Politiker, alles richtig gemacht!

Pommer am Abend
19.11.2021 15:25

Einen schönen Freitagabend.

Österreich geht also wieder in den Lockdown, und ich kann mich noch sehr gut an den ersten erinnern. Das war damals der kleine Pickel auf der Infektionskurve, Sie wissen schon, der Wienerberg neben dem Mount Everest, auf dessen Gipfel wir jetzt panisch nach Luft ringen. Lockdown klang damals sehr spannend, etwas Kreatives nebenbei zu machen drängte sich auf. Ein Buch schreiben, einen Origami-Kranich falten, eine Bekannte empfahl mir Malen nach Zahlen, was mich heute noch abschreckt, weil ich weder zeichnen kann noch rechnen. Am Ende lag ich eine Mulde ins Sofa, schaute Netflix und stopfte Süßigkeiten oben rein. Es war die zweitsinnloseste Zeit meines Lebens, auf Platz eins rangiert nach wie vor das Bundesheer.

Von allen Lockdowns ist der kommende der sinnloseste, er wäre zu verhindern gewesen. Das neue Zusperr-Quartett verkündete die Maßnahmen heute bei einem Medientermin und das mit einem bemerkenswerten Enthusiasmus. Die Teilnehmer bedankten sich untereinander für ihr Scheitern, es fehlte nur die Torte, ein Feuerwerk und ein Ständchen der Tiroler Blasmusik. Das Glas vor Alexander Schallenberg war schon zu Beginn der Pressekonferenz ohne Wasser. Ein schönes Symbol, wie ich finde. Es war nicht halb voll, nicht halb leer, es war gleich gar nichts drinnen. Neugierig stierte ich auf den Fernsehbildschirm und versuchte herauszufinden, für welches Krawattentier der Kanzler sich entschieden hatte. Der Skorpion hätte mich erfreut. Ein Wesen, dem fälschlicherweise zugeschrieben wird, es könne sich bewusst selbst totstechen. Oder Lemminge, die sich mit seinen Worten vom Hals aus ins Nichts stürzen. Politisch hätte beides gut gepasst. Am Ende war es etwas Belangloses.

Vor Wolfgang Mückstein standen übrigens zwei Gläser, beide halb leer, über das halb voll sind wir längst hinaus. Man hätte den Inhalt beider Gläser in eines schütten können, aber der Gesundheitsminister mag es kompliziert. Sein Redetalent erinnert an mein erstes Referat in der Schule. Es ging damals um Schweine, und haben Sie gewusst, dass bei Altweltschweinen der Blinddarm links in der Bauchhöhle sitzt und nicht rechts wie bei den meisten Säugetieren? Wie auch immer, jedenfalls las ich meinen Text herunter, und meine Lehrerin, die als Frau Professorin angesprochen werden musste, obwohl sie keine war, pfauchte mich an: „Nicht ablesen! Frei sprechen!“ Das ging mir heute bei Mückstein durch den Kopf, immer wieder. Rede wie ein Mensch, nicht wie die Vorlese-Funktion meines Handys!

Wassergläser, Krawattentiere, Referate - haben wir denn keine anderen Sorgen? Mit der Konzentration auf Details versuche ich mich von der Wut abzulenken. Massensterben auf den Intensivstationen; Politlügen; Dauerlockdowns; die krachende Wirtschaft; Gastronomen und Händler, die wieder zusperren müssen; verzweifelte Mütter und Väter; Menschen, die alles verlieren. Wegen Zögerern und Zauderern, denen beim Impfen und denen im Parlament. Aber bedankt euch nur bei euch selbst, liebe Politiker, alles richtig gemacht!

Ich wünsche einen schönen Feierabend, so Sie einen haben.

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