Stille Legende

Al Cook: Wiener Purist der alten Blues-Lehre

Wien ist leiwand
14.11.2021 16:00

Seit den frühen 60er-Jahren ist der Wiener Al Cook der amerikanischen Musik verfallen, ohne jemals in Amerika gewesen zu sein. Zuerst dem Rock ‘n‘ Roll und später dem Delta-Blues der klassischen Prägung. In seinem Studio in der Streichergasse sprachen wir über Missverständnisse, seinen offen zur Schau gestellten Purismus, verpasste Karrierechancen und eine Liebe und Beharrlichkeit, die ihresgleichen sucht.

In den zarten Ausläufen der Streichergasse im 3. Wiener Gemeindebezirk hat Al Cook in einem unscheinbaren Keller sein Studio eingerichtet. Gezeichnete Selbstporträts und Bilder von Blues-Legenden wie Robert Johnson hängen an der Wand. Dazu ein Piano, diverse Gerätschaften, ein Heizstrahler, ein Computerrechner und beim Eingang zur Linken gleich ein Schild mit der Aufschrift „Al Cook - The Best“. Wenn man sich in Österreich mit der Historie von Rock ’n’ Roll und dem traditionellen Country-Blues befasst, kommt man nicht am gebürtigen Bad Ischler vorbei, der im Februar 2022 seinen 77. Geburtstag feiert. Cook heißt eigentlich Alois Koch und ist seit vielen Dekaden ein Zankapfel der einheimischen Musikszene. Die einen bewundern ihn für seine sture Beharrlichkeit, die Tradition des Mississippi-Blues entgegen aller Trends am Leben zu erhalten, die anderen sehen in ihm einen eigenbrötlerischen Puristen mit Überhang zum Wiener Grant. Doch findige PR-Strategen wissen: Nichts ist fader als biederer Durchschnitt, was Cook zeit seines Lebens zugutekam.

Markante Frustentscheidung
Alois Koch wuchs in den kargen Nachkriegswirren Wiens auf und unternahm schon früh mit dem Opa Kulturreisen durch die Stadt. „Wir gingen auf die Mariahilfer Straße, und da gab es ein Besatzungscafé, wo immer die Tür offenstand. Ich drückte mir an der Scheibe die Nase platt, während ein schwarzer Besatzungssoldat Boogie-Woogie spielte.“ Im amerikanisch kontrollierten Sender „Rot-Weiß-Rot“ hörte klein Alois Chuck Berrys „Maybellene“, doch bis zum lebensverändernden Erweckungserlebnis dauerte es noch ein paar Jahre. Koch wollte nicht Musiker, sondern Wissenschaftler oder Astronom werden. Da die Familie in kargen Verhältnissen aufwuchs, war kein Geld da und Koch begann eine Mechanikerlehre. Aus Frust kaufte er sich nach seinem ersten Arbeitstag um fünf Schilling eine Karte für den Elvis-Presley-Film „Gold aus heißer Kehle“ im damals existenten Beatrixkino, wodurch sich sein Leben um 180 Grad veränderte.

„Diese Persönlichkeit, diese Erscheinung. Ich selbst war ein schüchterner Jüngling und meine ärmlichen Annäherungsversuche an Gleichaltrige endeten damals desaströs. Als ich Elvis sah wusste ich, ich muss selbst ein Star werden, denn dann kommen die Frauen von selbst“, lacht er im „Krone“-Gespräch. Nachdem er den Film insgesamt elf Mal gesehen hat, bettelt er den Vater um eine Budgeterhöhung an und kauft sich im angrenzenden Musikgeschäft sämtliche verfügbare Elvis-Platten. Drei Jahre später, 1963, folgt die erste Gitarre und erste Übungsschritte. Koch, der bis heute nicht Notenlesen gelernt hat, bringt sich alles autodidaktisch bei. Die Akkorde, die Skalen, die Griffe, die Posen und - genährt von einer alten Elvis-Platte, auf der nur Interviews mit ihm zu hören sind - auch den Memphis-Dialekt, den er sich in fast schon manischer Akkuratesse über fünf Jahre eintrichtert. Auf einem alten Magnetophon nimmt er auf einer Spur Elvis-Nummern auf, auf der anderen singt er sie ein und vergleicht sie dann. Aus Alois Koch wird endgültig Al Cook.

Richtungswechsel
1964 steht Cook mit 19 bei einer SPÖ-Parteiveranstaltung das erste Mal auf der Bühne. Vor ihm präsentiert eine ältere Dame in Tracht den „Erzherzog-Johann-Jodler“, Cooks drei Elvis-Songs werden mit tröpfelndem Höflichkeitsapplaus quittiert. Der bekennende Nichttrinker erhält als Trostpreis einen Karton Wein und bekommt von seinen Arbeitskollegen das vernichtende Feedback: „Heast, was willst mit dem Elvis? Weißt du nicht, dass es die Beatles gibt?“ Cook spornt diese Niederlage an, über einen Nachbarn hört er zufällig das erste Mal alten Blues. Robert Johnsons „King Of The Delta Blues Singers“ verändert sein Leben, der Rock’n’Roll war ja Ende der 50er-Jahre sowieso ausgestorben. 1967 lernt Cook den österreichischen Blues-Urvater und -Archivar Johnny Parth in Hinterbrühl kennen und findet damit einen Gleichgesinnten. Doch was damit anfangen? „Man kann in Österreich an jeder Hand zehn Finger haben und die größten Stars an die Wand spielen, aber als Österreicher wirst du international nichts.“

Das Folk-Revival und die Woodstock-Bewegung brachten das Interesse an Blues wieder zurück. 1970 veröffentlichte Cook seine erste Platte „Working Man Blues“ und wurde damit in der „Musicbox“ von Ö3 gespielt. Über einen damaligen Musikjournalisten landeten seine Aufnahmen in London bei Alexis Korner, dem englischen Ur-Vater der Blues-Connection, um den ehrfürchtig Legenden wie John Mayall, Eric Clapton und die Rolling Stones kreisten. „Korner war von meinen Aufnahmen begeistert und meinte, ich könnte als Frontmann spielen. Cream hatten sich gerade aufgelöst, so war Eric Clapton frei und ich sollte mit ihm und Mayall eine Platte machen.“ Cooks ausufernder Purismus trat erstmals markant zutage - er lehnte die Chance ab. „Ich wusste, dass wenn ich nach London gehe, würde ich meine Musik nicht in Rock-Arrangements verwursten. Die wollten keinen erdigen Blues spielen, ich schon. Ich weiß, dass ich nie reich geworden bin und mir die Chance auf die internationale Szene ruiniert habe, aber ich habe diese Entscheidung bis heute nie bereut.“ In der jüngeren Vergangenheit wollte Cook mit dem ein Monat jüngeren Clapton immer wieder Kontakt aufnehmen, wenn der gerade in Österreich konzertierte, kam aber nie an ihn ran.

Mississippi-Reblaus
Cook verzichtete auf britische Meriten, währenddessen wurde die Heimat von der Austropop- und Dialektwelle überschwemmt. „Ich mag es überhaupt nicht, wenn man amerikanischen Blues mit Wiener Texten vermischt“, betont er vehement, „das ist so, als würde man einer Kuh einen Schweinskopf aufsetzen. Meine damalige Plattenfirma Bellaphon wollte genau das und meinte, damit könnte ich größer werden als der Woiferl Ambros. Ich habe dann gegengefragt, ob sie sich Hans Mosers ,Reblaus‘ im Mississippi-Dialekt vorstellen könnten. Das Gespräch war dann schnell beendet.“ Mitte der 70er-Jahre kamen die letzten noch lebenden Legenden des klassischen Blues für Konzerte nach Österreich und Cook war gern gesehener Gast-Gitarrist. Auch bei der Abschiedstour der Rock’n’Roll-Legende Bill Haley 1979 in Wien, Linz und Krems. Am Bass damals Roland Neuwirth von den Extremschrammeln und an der zweiten Gitarre Hansi Dujmic. „Wir spielten vor halbleeren Sälen, denn die Hendrix-Generation hatte Haley gar nicht mehr gekannt.“

Eine Rückkehr Richtung Rock’n’Roll gab es dann noch einmal Mitte der 80er-Jahre. Mit neuer Band passte sich Cook dem Rockabilly-Revival-Trend an stieß vor allem zwischen 1983 und 1986 immer wieder in die Mainstream-Radios vor. Auch drei veröffentlichte Alben verkauften sich sehr gut. 1989 kehrte Cook wieder zum Country-Blues zurück, dem er bis heute treu blieb. Immer an seiner Seite stehen die beiden Kompagnons Charlie Lloyd und Harry Hudson, die nicht mehr aus dem Soundkosmos des heimischen Blues-Urvaters wegzudenken sind. Zu seiner kantigen Grundhaltung steht er seit jeher. „Heute ist der Begriff Purismus natürlich negativ konnotiert. Man gilt als verschroben und engstirnig. Für mich ist ein Purist aber jemand, der das Reine, Authentische, Unverfälschte und Unverbogene macht. Ich war für die Leute immer einer aus dem Rock’n’Roll-Museum, der auch den Blues spielte. Man nannte mich manchmal den ,Ayatollah des Blues‘ und die haben alle geglaubt, ich würde die Beatles nicht mal kennen. In diesem Glauben habe ich sie alle gelassen, denn das hat mir einen gewissen Werbewert beschert.“

Meinungsstarkes Fossil
Für die ORF-Sendungsreihe „Mein Bezirk“ wurde der lebenslange Erdberger Cook für die Folge des 3. Bezirks herangezogen, unter anderem war auch Marianne Mendt dabei. „Die hat mich angeschaut und konnte mich schon gar nicht leiden“, denkt er lachend zurück, „Ich habe zugegeben, dass meine Welt prinzipiell mit dem Ende der 50er-Jahre aufhört. Die Mendt meinte, man hört eh überall, dass ich so intolerant wäre.“ Missverstanden fühlt sich Cook vor allem musikalisch. „Die Leute, die auf die Popkultur abgefahren sind, sahen mich immer als Fossil. Es gibt Musiker, die ich nicht so gerne mag, aber menschlich habe ich mit keinem ein Problem. Ich war immer zugänglich, mit mir konnte man stets über alles reden. Ich begreife Musik aber nicht als Abfolge von Tönen, sondern über die Kultur und die Künstler, die diese Kultur geprägt haben. Die Popkultur lebt vom Übertreiben, vom Verfremden und von einer ungebundenen Ästhetik. Dass ich das nicht mag und akzeptiere, das goutiert eben nicht jeder.“

Cook ist sich seiner Rolle in der heimischen Musiklandschaft genau bewusst. Er weiß, dass er die eine oder andere Möglichkeit zu einer eventuellen Weltkarriere ausgelassen hat und dass ihn viele als verkrachten Kulturfaschisten wahrnehmen. Unermüdlich kämpft er für den traditionellen Blues, der sich im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts ausbreitete und bis zum Einsatz des Rock’n’Roll seine Hochblüte feierte. Cook will das Vermächtnis von Robert Johnson, Johnny Shines, Honeyboy Edwards, Roosevelt Sykes oder Doctor Ross, mit denen er teilweise auch noch die Bühne teilte, hochhalten und in die Zukunft transferieren. Damals wie heute ist es ein Kampf gegen eigene und fremde Windmühlen. Die regressive Sturheit macht Cook einerseits zu einem unzugänglichen Einzelgänger, andererseits aber auch zu einem wichtigen Archivar einer Musik, die sich hierzulande trotzig gegen das Vergessenwerden stemmt. Wie alles im Leben hat auch der Purismus seine guten und schlechten Seiten.

Live in Wien
Al Cook kann man immer wieder live erleben. Demnächst am 16. November in der Wiener First American Bar, am 26. November im Louisiana Blues Pub und am 3. Dezember in der Art-Loung des Café Korb. Weitere Details finden Sie unter www.alcook.at. Für weitere Details sei noch die gut 700 Seiten starke Biografie „Al Cook - kein Platz für Johnny B. Goode“ empfohlen, in der der Künstler im Alleingang und ohne Lektor seine gesamte Karriere bis 2013 detailreich nachzeichnet.

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