„Nicht mehr amtsfähig“

Die Republik steht jetzt am Scheideweg

Politik
08.10.2021 22:32

Der Vizekanzler nennt den Kanzler „nicht mehr amtsfähig“. Der aber hält an eben diesem Amt fest. Ein Machtkampf lähmt das Land. Die Grünen spielen auf Zeit. Im Falle des Falles sind sie aber bereit, aufs Ganze zu gehen - und den Bundeskanzler aus dem Amt zu jagen. Die ÖVP setzt hingegen alles auf die Karte Kurz. Und dürfte auch dabei bleiben - trotz neuer pikanter Chatprotokolle, die für zusätzlichen Groll sorgen.

Die Korruptionsermittlungen gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und sein Umfeld haben die Republik in eine politische Krise gestürzt - und die Grünen in ein beinahe veritables Dilemma. Denn die Ökopartei hat Blut geleckt und will weiter regieren, allerdings ohne Kurz. Bei den Grünen hofft man deshalb nach wie vor darauf, dass sich die Krise lösen lässt, indem die ÖVP Kurz doch noch abzieht und statt ihm jemand anderen an die Spitze der Partei stellt und ins Kanzleramt setzt. Damit wäre der Fortbestand der Regierung gerettet - vorerst.


Dienstag wird der Tag der Entscheidung

Ein paar Tage wäre für dieses Szenario noch Zeit. Tag der Entscheidung ist der Dienstag, wo es zur alles entscheidenden Kraftprobe im Parlament kommt. Klammert sich der Regierungschef weiterhin an sein Amt, planen die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und NEOS, einen gemeinsamen Misstrauensantrag gegen Kurz einzubringen, um ihn aus dem Kanzleramt zu jagen.

Wiederholt sich die Geschichte?
Einmal ist das bereits gelungen. Ob sich die Geschichte wiederholt, hängt an den Grünen. Denn entscheidend für den Erfolg eines solchen Antrags wären die Stimmen der Ökopartei - theoretisch würde es schon reichen, wenn sechs der 26 Abgeordneten dafür stimmen. Praktisch werden die Grünen alles daransetzen, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen.

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Die schwierige Situation kommt von der Parteispitze der ÖVP durch ganz gravierende, schwerwiegende Vorwürfe.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne)

Wenn sie das nicht schon längst getan haben. Denn derzeit sieht es danach aus, als wären die Grünen bereit, aufs Ganze zu gehen und für den Misstrauensantrag zu stimmen. Viel anderes bleibt jener Partei, die sich neben dem Kampf gegen die Klimakrise auch der Korruptionsbekämpfung verschrieben hat, gar nicht übrig.

Grüne wollen nicht mehr mit Kurz
Vor Beginn des Gesprächsreigens mit den Klubobleuten der anderen Parteien haben Vizekanzler Werner Kogler und Klubobfrau Sigrid Maurer ihre Position einzementiert. Beide betonten mit Nachdruck, dass ein Weiterregieren mit Kurz nicht denkbar ist. „Die ÖVP ist aufgerufen, eine untadelige Person zu finden, die dieses Amt ausführen kann“, sagte Maurer. Weil die Volkspartei aber offenbar nicht dazu bereit sei, wird mit den anderen Parteien um Lösungen gerungen, so Kogler - noch wurde keine gefunden.

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Was wir aber klar sehen, ist einmal mehr ein Sittenbild, das der Demokratie nicht gut tut. Wir hören einen Ton der Respektlosigkeit gegenüber Personen und Institutionen unseres Rechtsstaates – sowohl in einzelnen Chats, wie auch in aktuellen Äußerungen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen

Landeshauptleute unmissverständlich
Die Landesobleute, die Bünde, der Klub und die Regierungsmitglieder - sie alle stellten sich in den vergangenen Tagen geschlossen hinter Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Und sie stellten unmissverständlich klar: Eine Regierungsbeteiligung werde es ausschließlich mit Kurz an der Spitze geben.

Der Rückhalt bröckelt
Doch hinter den Kulissen bröckelt der Rückhalt. Wer sich in den schwarzen Reihen umhört, hört hinter vorgehaltener Hand deutlichen Groll über die Mittel, auf die Kurz und sein Team für die parteiinterne Machtübernahme zurückgegriffen haben. So mancher Landeschef dürfte diesen auch in der Krisensitzung in Wien zum Ausdruck gebracht haben.

Und der Unmut dürfte größer werden, denn mittlerweile sind weitere Details zu den Korruptionsermittlungen gegen Kurz an die Öffentlichkeit gedrungen. Quelle dafür sind einmal mehr Nachrichten auf dem Handy von Thomas Schmid, einstiger Generalsekretär im Finanzministerium. Der Kurz-Vertraute ist offenbar ein ähnlich passionierter Nachrichtenschreiber wie der über das Ibiza-Video gestolperte Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.

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Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um schnellstmögliche Aufklärung sicherzustellen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP)

„Diese alten Deppen sind so unerträglich!“
Alles andere als gut weg kommt in den ausgetauschten Nachrichten der ehemalige ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. So etwa 2019, als Kurz’ Vorgänger sein Buch „Haltung“ präsentierte. „Diese alten Deppen sind so unerträglich! Keiner musste sich jemals einer Bundeswahl stellen und den Schwachsinn der Vorgänger erklären! Du hast das alles erfolgreich geschafft“, schrieb Schmid an Kurz.

„Danke Thomas Super war dass Spindi heute ausgerückt ist. Das stört den Arsch sicher am meisten...“, war die Replik von Kurz. Zwei Jahre zuvor schrieb Schmid an Kurz, Druck auf die Wirtschaftsforschungsinstitute IHS und WIFO oder den damaligen Finanzminister Hans Jörg Schelling ausüben zu wollen, weil diese nicht auf Kurz‘ Linie waren.

ÖVP in aussichtsloser Position
Dass die ÖVP doch noch jemand anderen an die Partei- und Regierungsspitze hieven wird, ist dennoch äußerst unwahrscheinlich. Also heißt es warten auf den Dienstag - und welches Ergebnis der Misstrauensantrag bringt.

Sandra Schieder
Sandra Schieder
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