Assistenzhund

„Lio hilft mir, mein Leben zu meistern“

Gesund
09.05.2021 05:00

Die 22-jährige Isabella S. leidet unter einer schweren psychischen Erkrankung. Wichtigste Unterstützung im Alltag ist ihr Assistenzhund.

Sie sind mehr als Haustiere - die Vierbeiner stehen Menschen mit Behinderung oder Krankheit in allen Bereichen bei, vergrößern deren Selbstbestimmung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: ob als Blindenführhunde, Signalhunde, etwa bei Diabetes oder Epilepsie bzw. Servicehunde, die Personen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen den Alltag erleichtern. Die Helfer auf vier Pfoten werden immer nur für ein Frauchen oder Herrchen ausgebildet und erlernen verschiedene Aufgaben, die die Beeinträchtigung des zweibeinigen Partners direkt mindern. Es gibt Behinderungen, die auf den ersten Blick erkennbar sind, beispielsweise wenn jemand auf einen Blindenstock oder Rollstuhl angewiesen ist. Aber dann sind da auch Betroffene - und nicht wenige -, deren Leiden unsichtbar, dadurch jedoch nicht weniger belastend sind. Dazu zählen Personen mit psychischen Erkrankungen. So wie Isabella S. Seit ihrem zwölften Lebensjahr leidet die junge Frau an einer sogenannten komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS).

Struktur und Sicherheit
Für die Studentin eröffnet Assistenzhund „Lio“ eine neue Welt. Er hilft ihr, Vorlesungen zu besuchen, die Einheiten im Atelier und Labor zu absolvieren - Isabellas Traum ist es, Restauratorin zu werden -, und bietet Unterstützung, welche sie von einem Menschen nicht annehmen kann. Der menschliche Kontakt löst nämlich in Momenten, in denen es ihr nicht gut geht, Panikattacken und „Flashbacks“ aus. Bei einer posttraumatischen Belastungsstörung erleben Betroffene die schrecklichen Erlebnisse immer wieder, was sich in Form von Rückblenden (Flashbacks) bemerkbar macht, wie Isabella berichtet: „Dies kann durch kleinste Situationen, Geräusche, Gerüche ausgelöst werden. Man hat Angstzustände, lebt ständig unter erhöhter Wachsamkeit, überprüft die Umgebung auf mögliche Gefahren, vor allem bei Menschenmengen wie im Supermarkt oder in öffentlichen Verkehrsmitteln.“

In schlechten Phasen entwickelt die junge Wienerin ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten. Dann nimmt sie die Umwelt sowie das eigene Körpergefühl nicht wahr. Sogar Nahrungsaufnahme und die Einnahme der Arzneien werden in diesem tranceähnlichen Zustand „vergessen“. Durch ihren Hund bleibt sie aber auch dann aktiv. „Lio gibt mir Struktur. Ich muss hinaus gehen, selbst wenn ich mich unwohl fühle. Er bringt mir zudem meine Medikamente.“ Der Hund registriert bereits am Verhalten seines Frauchens - sie selbst erkennt es oft gar nicht -, dass eine Situation eintritt, die es rasch zu verlassen gilt. „Durch anstupsen, Laute oder indem er mir die Pfoten auf den Schoß legt, kann er diesen Zustand unterbrechen. Er bleibt solange aufdringlich, bis ich reagiere.“ Isabella leidet auch häufig unter Albträumen. Hier ist ihr „Engel auf vier Pfoten“ ebenfalls zur Stelle, weckt sie auf und schaltet das Licht ein. Der Assistenzhund gibt ihr Tag und Nacht Sicherheit, er weiß Handlungsabläufe in bestimmten Situationen zu initiieren, und er führt sie verlässlich nach Hause oder an die Universität, wenn sie die Orientierung verliert. „Wenn mich eine lähmende Panik überfällt, beispielsweise beim Einkaufen, bringt er mich zum Ausgang oder an einen ruhigeren Ort. Er hält, alleine durch seine Größe, Menschen auf Abstand.“

Fehlendes Verständnis
Um all diese wichtigen Aufgaben bewältigen zu können, absolvierte der 19 Monate alte, schokofarbene Rüde eine spezielle Ausbildung. Für deren Kosten muss sein junges Frauchen jedoch selbst aufkommen. Denn obwohl Isabella wegen ihrer Erkrankung bereits mehrere Monate im Spital verbracht und einen Behindertengrad von 50 Prozent hat, beteiligen sich die Krankenkassen nicht. Kein leichtes Unterfangen für die als nicht erwerbsfähig eingestufte Studentin. Nun hofft sie auf Unterstützung vom Sozialministeriumsservice. (Eine entsprechendeAntwort war bis Redaktionsschluss noch ausständig). Psychisch Kranke werden in der Gesellschaft noch immer anders bewertet und eingeordnet als „körperlich“ Kranke. Auch im Alltag stößt Isabella auf Schwierigkeiten, vor allem aufgrund mangelnder Kenntnis und Aufklärung. „Ich werde z. B. regelmäßig angesprochen, mit dem Hund das Geschäft zu verlassen.“ Und dies, obwohl Lio in der Öffentlichkeit eine gekennzeichnete Weste trägt. Für das Unsichtbare fehlt oft das Verständnis.

Psychische Folgen schwerer traumatischer Erlebnisse
Während einer Notsituation entwickeln sich in der Regel Schocksymptome: Man ist wie betäubt, unfähig zu reagieren, hat das Gefühl des „neben sich Stehens“. Dies ist ein Schutzmechanismus des Körpers. Während die akute Belastungssituation nach wenigen Tagen wieder abklingt, entwickelt sich eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis. Symptome treten dann erst nach Monaten bis Jahren auf. Schreckliche Ereignisse, die Leben oder Sicherheit (das eigene oder das von jemand anderem in der Umgebung) bedrohen z. B. durch Autounfälle, Krieg, psychische, körperlicher oder sexuelle Gewalterfahrungen, oder eine Naturkatastrophe, können Gefühle starker Furcht, Hilflosigkeit oder Panik auslösen. Bei wiederholt auftretenden Traumatisierungen sind die Folgen noch weitreichender. Man spricht dann von einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS). Neben unkontrolliertem Wiedererleben (Flashbacks), Schlafstörungen, Angstzuständen kann dies noch zusätzlcih Beeinträchtigungen der Emotionen, des Denkens, Fühlens, sowie interpersonelle Probleme und ein negatives Selbstkonzept nach sich ziehen.

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