Das große Interview

„Antisemitismus hat bei uns keinen Platz“

Steiermark
04.09.2020 06:30

Nach dem Angriff auf den Präsidenten der jüdischen Gemeinde verspricht die Politik mehr Schutz. Die Minister Karl Nehammer, Susanne Raab, Graz-Bürgermeister Siegfried Nagl (alle ÖVP) und Elie Rosen im „Krone“-Interview.

Wie geht es Ihnen knapp zwei Wochen nach den Angriffen auf Sie und die jüdische Gemeinde in Graz?
Rosen: Der Alltag hat uns wieder, und ich möchte jetzt nicht zurück, sondern nach vorne schauen. Wenn, wie hier und heute, Solidarität gezeigt und gelebt wird und ich von Freunden umgeben bin, bin ich froh und dankbar.

Hätten Sie die Synagoge auch besucht, wenn es keine Anschläge gegeben hätte?
Raab: Als Kultusministerin habe ich laufenden Kontakt mit der jüdischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Natürlich bin ich traurig, dass es diese Vorfälle sind, die mich dieses Mal nach Graz geführt haben. Ich habe es mir zum Ziel gesetzt, mit Präventionsmaßnahmen gegen Antisemitismus, auch gegen den importierten wie hier in Graz, zu kämpfen.

Gibt es neue Erkenntnisse zum geständigen Täter, einen 31-jährigen Syrer?
Nehammer: Es ist ein syrischer Asylberechtigter, der 2013 nach Österreich gekommen ist, zum Zeitpunkt der Tat arbeitslos war und sich zuhause alleine radikalisiert hat. Nun hat man festgestellt, dass er sich mit dem Bau von Molotow-Cocktails und Sprengstoffen beschäftigt hat. Wir sind auch dabei, seine Kontakte im Internet zu recherchieren. Das besonders Gefährliche an ihm ist ja, dass er in der Phase der Radikalisierung begonnen hat sich abzukapseln: Er hat zu Hause gebetet, keine Moschee besucht. Daher ist es aus polizeilicher Sicht auch sehr schwierig, solchen Tätern auf die Spur zu kommen.

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Nun hat man festgestellt, dass sich der mutmaßliche Täter mit dem Bau von Molotow-Cocktails und Sprengstoffen beschäftigt hat.

Innenminister Karl Nehammer

Gehen Sie aktuell von einem Einzeltäter aus?
Nehammer: Wir ermitteln in alle Richtungen, auch was Verflechtungen und Kontakte im Internet betrifft.

Wie kann man Taten wie in Graz verhindern?
Nagl: Zum Einen werden wir die Präventionsarbeit intensivieren. Zum Anderen haben wir Projekte in Ausarbeitung, in deren Rahmen wir Schüler aufklären wollen. Wir müssen hier noch mehr tun, und es wird auch ein neues Sicherheitskonzept geben, das von Stadt Graz und Land Steiermark finanziert wird.

Fürchten sich die Grazer Juden nach den furchtbaren Vorfällen?
Rosen: Es geht darum, Ängste zu nehmen und mehr Sicherheit zu gewährleisten. Es hilft uns nicht, uns nur zu bedauern – wir brauchen jetzt konkrete Maßnahmen. So etwas darf nie mehr vorkommen, und auch wir als jüdische Gemeinde in Graz werden da unseren Beitrag leisten.
Nagl: Furcht ist für mich das falsche Wort, denn genau das wollen Täter wie der Syrer hören. Sorge ist für mich das richtige Wort, denn die ist groß und jetzt wieder größer geworden.

Wird jüdisches Leben in Österreich nur noch unter strengen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden können?
Nehammer: Unsere gemeinsame Vision, unser gemeinsames Ziel ist es, dass jüdisches Leben ohne Polizeischutz auskommt. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe klarzustellen, dass das Bedrohen von jüdischen Bürgern in ihrem täglichen Leben und in der Ausübung ihrer Religion von unserer Gesellschaft keinesfalls toleriert wird. Jüdisches Leben ist Teil der österreichischen Gesellschaft, und unsere Verpflichtung ist es, gemeinsam dafür zu sorgen, dass es sicher und freudvoll stattfinden kann.

Wo muss man in der Integration ansetzen?
Raab: Antisemitismus gibt es von links und von rechts, aber auch einen Antisemitismus, der sehr stark durch die Zuwanderung geprägt ist. 2015, während der Flüchtlingskrise, sind viele kulturell völlig anders geprägte Menschen zu uns gekommen, von denen viele sagen, Juden hätten zu viel Macht oder Israel wäre der Feind aller Muslime. Das ist nicht akzeptabel, und deshalb verfolgen wir als Regierung hier auch eine Null-Toleranz-Politik. Antisemitismus hat hier bei uns in Österreich keinen Platz!
Nagl: Wir brauchen neue gesetzliche Strukturen, auch was Vereine betrifft, damit Antisemiten unser demokratisches System nicht aushöhlen. Wenn jemand das Vereinsrecht professionell missbraucht, dann müssen wir darüber dringend reden.

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Wer das nicht kapiert, der ist kein Grazer!

Bürgermeister Siegfried Nagl

Wünschen Sie sich auch schärfere Gesetze?
Rosen: Wenn wir unser Wertesystem aufrecht erhalten wollen, müssen wir uns auch überlegen, wie wir mit jenen umgehen, die es zerstören wollen. Das war ein Angriff auf unsere Wertegesellschaft. Mit einer Bussi-Bussi-Gesellschaft kommen wir nicht weiter.
Nagl: Wer zu uns kommt, der sucht die Freiheit, den Wohlstand, die Rechtsstaatlichkeit und die Demokratie. Dazu gehört natürlich auch die Religionsfreiheit. Und wer das nicht kapiert, der ist kein Grazer!

Kann man den verdächtigen Syrer überhaupt in seine Heimat abschieben?
Nehammer: Die Aberkennung des Asylstatus verändert seine Rechtsposition dramatisch. Er bleibt in Österreich maximal ein Geduldeter, wenn er nicht nach Syrien zurückgebracht werden kann.

Danke für das Gespräch.

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