Nichtraucherschutz

Gnadenfrist vorbei: Ab sofort sind alle “Raucher-Sheriffs”

Österreich
01.07.2010 00:00
Zumindest die Umstellung hat laut Wirtschaftskammer gut geklappt. Mit 1. Juli, dem Ende der Übergangsfrist beim Nichtraucherschutz, haben 98 Prozent der über 70.000 heimischen Wirte eine rechtskonforme Lokalität. Eine Baustelle bleibt aber offen: der eigentliche Vollzug des Gesetzes. Die zuständigen Landesbehörden weigern sich, eigene Kontrollen durchzuführen. Somit ist jeder Bürger quasi über Nacht zum "Raucher-Sheriff" geworden.

Das eigentlich schon seit 1. Jänner 2009 in Österreich geltende Rauchverbot in Lokalen verbietet Tabakkonsum im Hauptraum aller Betriebe mit mehr als 50 Quadratmetern sogenannter "Verabreichungsfläche", auf der Speisen oder Getränke verkauft werden - von Bars, Restaurants, Kaffeehäusern, Discos über Kantinen bis hin zu Imbiss- und Kebabständen. In einem abgetrennten Zimmer bleibt der Genuss einer Zigarette gestattet.

Die Regelung samt Ausnahmen im Detail

Kleine Lokale mit einer Verabreichungsfläche unter 50 Quadratmetern dürfen den Konsum von Tabakwaren uneingeschränkt erlauben. Sie können weiterhin frei zwischen der Führung eines Raucher- oder Nichtraucherlokals wählen und müssen dies entsprechend kennzeichnen: mit einem vom Gesundheitsministerium festgelegten grünen (qualmende Zigarette) bzw. roten (durchgestrichene Zigarette) Schild. Laut WKO bleiben drei Viertel der 11.500 Lokale dieser Kategorie Raucherlokale.

Größere Gaststätten mit über 50 Quadratmetern - für österreichweit 14.000 Lokale zwischen 50 und 80 Quadratmetern galt bis 1. Juli die Umbau-Übergangsfrist - dürfen das Rauchen in einem oder mehreren Zimmern abseits des Hauptraumes gestatten, wenn es eine feste Abtrennung durch Wände und Türen gibt. Beim Öffnen darf Rauch in geringem Ausmaß ausdringen, aber Türen dürfen nicht ständig offen stehen. Nichtrauchern ist ein Gang durch Raucherräume - beim Betreten, dem Weg zur Toilette - zumutbar. Der Raucherbereich darf allerdings nicht mehr Verabreichungsplätze umfassen als der qualmfreie Bereich. Lokale, in denen es Zimmer für den Tabakkonsum gibt, sind mit einer grünen und einer roten Plakette auszustatten.

Von den insgesamt 70.000 Lokalen in Österreich sind zwei Drittel größer als 80 Quadratmeter und verfügen seit jeher über mehrere Räume. 73 Prozent davon - etwa 33.000 Gastronomen - richteten schon 2009 einen Extraraum für ihre rauchenden Gäste ein. Von den 14.000 mittelgroßen Betrieben suchten zwar fast alle um Umbauarbeiten an, um die Übergangsfrist auszunutzen. Tatsächlich haben aber nur 6.500 davon bis Ende Juni 2010 ein Raucherzimmer eingerichtet bzw. beabsichtigen, dies noch zu tun.

Ausnahmen: Gastronomiebetriebe, in denen bau-, denkmalschutzrechtliche oder feuerpolizeilichen Gründe die Errichtung eines Raucherraums verbieten, dürfen Zigarettenkonsum uneingeschränkt erlauben. Diese Ausnahme musste aber via Amtsantrag belegt werden. Weniger als 5.000 Lokale haben laut WKO die Ausnahme bekommen.

Strafen: Wird gegen die Rauchverbotsbestimmungen verstoßen, drohen Wirten Strafen in der Höhe von bis zu 2.000 Euro, bei mehreren Verstößen bis zu 10.000 Euro. Gäste, die verbotenerweise eine Zigarette anzünden, müssen bis zu 100 Euro bezahlen, Wiederholungstäter bis zu 1.000 Euro. Verhängt werden die Pönalen vom zuständigen Magistrat bzw. Bezirksamt, das aber nur auf entsprechende private Anzeigen reagiert.

Sonderfälle: Zelte und Gastgärten sind übrigens nicht vom Verbot erfasst. Sehr wohl muss man sich aber bei privaten Veranstaltungen in einem Lokal bzw. im öffentlichen Raum an das Gesetz halten.

Beim Gesetzesvollzug fehlen klare Verhältnisse
In Summe dürfen Lokal-Gäste ab 1. Juli 2010 weiterhin bei rund 48.000 Wirten rauchen, während 22.000 den Tabakkonsum gänzlich verbieten. Genau umgekehrt verhält es sich übrigens mit dem Anteil der regelmäßigen Raucher in der Gesellschaft, der bei etwas mehr als einem Drittel liegt. Angesichts dieser Zahlen möchte man trotzdem meinen, nach einem fünfjährigen Streit um den Nichtraucherschutz nun doch von klaren Verhältnissen sprechen zu können - bliebe da bloß nicht der Vollzug des Gesetzes auch nach dessen vollständigem Inkrafttreten nicht eindeutig geregelt.

Die Länderbehörden weigern sich, extra Kontrolleure auszuschicken oder Überprüfungen der Lokale anzuordnen. In Wien zum Beispiel wird die Landesregierung nicht müde zu betonen, dass die Stadt das Bundesgesetz nur vollziehe und nur auf Anzeigen reagiere. Aktiv Lokale kontrollieren werde man definitiv nicht. Bis Mitte Mai 2010 gab es in der Bundeshauptstadt insgesamt 4.157 Rauch-Anzeigen, 766 davon im laufenden Jahr. Tatsächliche Strafen wurden in 1.267 Fällen verhängt, 1.068 davon im Jahr 2009. Die durchschnittliche Höhe der Strafe betrug aber nur 110 Euro, wobei sich der Strafrahmen zwischen 20 und 1.000 Euro bewegte.

Furcht vor Querulanten und Vernaderern
Der Bürger als "Raucher-Sheriff"? Lokalbetreibern und passionierten Rauchern schwant bei dieser Vorstellung Böses. Dieser Zustand lade Vernaderer und Querulanten geradezu ein, einem unliebsamen Konkurrenten, dem bösen Nachbarn oder Arbeitskollegen mit einer Raucheranzeige und eventuell sogar einem Foto-Beweis eins auszuwischen - egal ober gerechtfertigt oder nicht. Beispiele für derartige Fälle gibt es bereits. So musste sich im steirischen Bezirk Leoben die dortige BH mit konkurrierenden Wirten beschäftigen. Einer zeigte den Widersacher wegen mangelhafter Umsetzung des Rauchverbots an, bei einem anderen Wirten wurden qualmende Gäste bei der Bezirkshauptmannschaft "verpfiffen".

Bis Ende Juni sah es aber österreichweit eher nicht danach aus, als müssten sich die Bezirkshauptmannschaften und Magistrate bald mit einer Flut an Raucher-Anzeigen herumschlagen - Einzelschicksale sind davon natürlich nicht ausgenommen. Laut WKO widersetzen sich übrigens nur zwei Prozent der Wirte bewusst dem Rauchverbot.

Psychologe: "Es gibt jetzt weniger glückliche Raucher"
Für heimische Gesundheitspsychologen hat das Rauchen an sich und auch die Toleranz gegenüber dem blauen Dunst aber schon allein mit der Debatte über das Gesetz einen schweren Imageschaden erlitten. "Es gibt jetzt weniger glückliche Raucher. Es schadet! Das ist mehr in den Köpfen der Menschen verankert, und das schlechte Gewissen nimmt schon zu", meint die Gesundheitspsychologin Patricia Göttersdorfer. Ihr Kollege Rudolf Schoberberger von der MedUni Wien pflichtet ihr bei: "Heute akzeptiert man auch, dass Passivrauch ein Problem ist und nimmt vor allem auf Kinder Rücksicht. Hier hat sich das Bewusstsein etwas verbessert."

Trotzdem hätten sich beide ein Generalverbot gewünscht, gegen das sich dann keiner auflehnen könnte. Großartige Veränderungen erwartet man sich ob des Kompromiss-Gesetzes nun nicht. "Meine Beobachtung ist, dass sich in Österreich nicht so viel geändert hat. In anderen Ländern hat sich sehr viel mehr getan", meint Schoberberger u.a. mit Verweis auf Italien, wo von einem Tag auf den anderen der Rauch abgeschafft wurde. "Die Nichtraucher in Österreich sind sehr viel toleranter. Auch im Vergleich zu Kanada und den USA, wo Nichtraucher darauf hinweisen, dass man hier nicht rauchen darf und gehört werden." Und: "Nach wie vor gehen Nichtraucher eher mit in ein Raucherlokal als umgekehrt."

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