Rebellion gegen Macron

Breitet sich die „gelbe Wut“ auf ganz Europa aus?

Ausland
03.12.2018 19:10

Frankreich sieht gelb. Seit Mitte November halten Massendemonstrationen und Straßenblockaden das Land in Atem. Am Wochenende ist es im Zuge der Proteste der „Gelben Westen“ in der Hauptstadt Paris zu den schwersten Krawallen seit Jahrzehnten gekommen. Trotz der Gewalt hält eine große Mehrheit der Franzosen die Proteste nach wie vor für legitim. Am Wochenende haben sich sowohl Polizisten als auch Feuerwehrmänner mit den Demonstranten solidarisiert. Der Protest entwickelt sich zum „Exportschlager“: Straßenblockaden und Aufmärsche gab es bereits in Belgien, den Niederlanden, Italien und auch Deutschland. Die armen Bevölkerungsschichten haben in vielen EU-Staaten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, die „gelbe Wut“ könnte sich also weiter ausbreiten, wenn die Regierungen nicht rechtzeitig reagieren.

Derzeit sind allerdings noch alle Augen auf Frankreich gerichtet. „Wie Emmanuel Macron durch diese Krise kommt, wird erhebliche Folgen für Frankreich und Europa haben“, schrieb am Montag die britische „Times“. Es ist tatsächlich eine verzwickte Situation für den immer unbeliebteren französischen Präsidenten: Einerseits will er an seiner Politik der höheren Besteuerung von CO2-Emissionen festhalten - damit sein Land die Energiewende im Kampf gegen den Klimawandel schafft. Andererseits muss er auf die „Gelben Westen“ reagieren.

Ein Spielen auf Zeit ist keine Option, zumal diese in die Hände der Opposition spielt. Die an sich nicht politische Protestwelle, die sich über die sozialen Medien herausgebildet hat, wird seit den ersten Protesten auf Autobahnen und vor Raffinerien von Linken und Rechten zu kapern versucht.

Le Pen fordert wegen „ernsthafter Krise“ Neuwahlen
Die Rechtspopulistin Marine Le Pen macht aus ihrer Unterstützung für die Bewegung keinen Hehl und stachelt die Protestler an. Deshalb sieht sie sich mit Vorwürfen der Regierung konfrontiert, sie würde zu Gewalt aufrufen. Dies streitet sie vehement ab und meint, dass die Regierung selbst genügend Gründe liefere, warum das Gewaltpotenzial so hoch sei. Die Rechtspolitikerin fordert nunmehr vorgezogene Neuwahlen und einen Stopp der geplanten Steuererhöhungen.

Linksaußenpolitiker Jean-Luc Melenchon schreibt von der „fortschrittlichsten Form der Massenaktion in unserem Land“, die aus seiner Sicht den Weg für eine Revolution ebnen könnte. Tatsächlich eint die Vertreter der „Gelben Westen“, die aus den unterschiedlichsten Bevölkerungsschichten stammen, neben dem Hass auf Macron, den sie als „Präsident der Reichen“ bezeichnen, auch die „Arroganz der Oberen“, wie in vielen Kommentaren auf den Facebook- und Twitter-Seiten der „Gelben Westen“ zu lesen ist.

Tatsächlich wächst derzeit die Wut unaufhaltsam. Bei den Ausschreitungen vom Wochenende waren landesweit mehr als 260 Menschen verletzt worden, in Paris spielten sich chaotische Szenen ab. Die Polizei nahm knapp 400 Verdächtige in Gewahrsam, rund 140 wurden einem Richter vorgeführt. Landesweit beteiligten sich nach Angaben des Innenministeriums 136.000 Menschen an den Demonstrationen. Es war der dritte landesweite Aktionstag, an dem auch das dritte Todesopfer zu beklagen war. Am ersten Wochenende Mitte November hatten sich laut dem Innenministerium 282.000 Menschen beteiligt, eine Woche später waren es den Angaben zufolge 106.000. Während die Teilnehmerzahlen sinken, wächst offenbar die Zahl der Gewaltbereiten - sowohl vom linken „schwarzen Block“ als auch von rechtsextremen Gruppierungen. Neben Angriffen auf Gebäude, Fahrzeuge, Sehenswürdigkeiten und auf die Sicherheitskräfte kam es am Wochenende auch zu Randalen zwischen den beiden Gruppen.

„Macron, tritt zurück!“
Macron machte sich am Sonntag selbst ein Bild von den Zerstörungen in Paris. Nach seiner Rückkehr vom G20-Gipfel in Buenos Aires besuchte er den Triumphbogen, den Demonstranten mit Parolen wie „Triumph der Gelbwesten“ und „Macron, tritt zurück!“ besprüht hatten. Der Sachschaden wird auf mehrere Hunderttausend Euro geschätzt. Zwar betonte der Präsident, dass Gewalt nicht toleriert werde und alle Randalierer vor Gericht gestellt würden, dennoch will sich seine Regierung nach einem ersten Entgegenkommen bei der Ökosteuer, das den Aktivisten nicht weit genug geht, mit Vertretern der „Gelben Westen“ zu Gesprächen treffen. Welches Angebot die Regierung diesmal für die „Wütenden“ hat, ist noch unklar. Offiziell hält Macron an seiner Klimaschutz- und Reformpolitik fest.

„Gelbe Westen“ sagen Treffen mit Regierung ab
Allerdings sympathisieren offenbar auch erste Regierungskollegen mit den „Gelben Westen“. So forderte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire „weitere Steuersenkungen“, um den Aktivisten entgegenzukommen. Wie man den Spagat zwischen Entlastung und Reformpolitik schaffen könnte, blieb Le Maire schuldig. Regierungssprecher Benjamin Griveaux sagte dem Sender France Info, „eine kleine Geste“ reiche gegen die Proteste nicht aus, es gehe um strukturelle Probleme im Land. Offenbar hat also die Regierung den Ernst der Lage erkannt. Doch vorerst eskaliert die Situation weiter. Am Montagabend teilten Vertreter der Protestbewegung mit, dass sie „aus Sicherheitsgründen“ ein für Dienstag geplantes Treffen absagen müssten. Sie seien von Hardlinern bedroht worden.

In den Videos unten sehen Sie, wie sich Feuerwehrmänner und Polizisten mit den Gelben Westen solidarisieren:

Kommt nun der Ausnahmezustand?
Weitere Proteste sind in Vorbereitung. Die Gewerkschaft CGT rief zudem für den 14. Dezember zu einem „großen Aktionstag“ gegen die sinkende Kaufkraft auf. Ob es zu einer Ausrufung des Ausnahmezustands kommt, wie in einigen französischen Medien spekuliert wird, bleibt offen. Innenstaatssekretär Laurent Nunez versicherte, der Ausnahmezustand stehe trotz der jüngsten Ausschreitungen „nicht auf der Tagesordnung“. Nach den islamistischen Anschlägen von Paris mit 130 Toten war im November 2015 der Ausnahmezustand verhängt worden. Dieser dauerte bis November 2017.

Von solchen Debatten ist man in Belgien, Italien, den Niederlanden und Deutschland noch weit entfernt. Nach ersten Straßenblockaden an der belgischen Grenze zu Frankreich ist es mittlerweile auch in Brüssel zu Ausschreitungen gekommen. Am Freitag wurden im Europaviertel der belgischen Hauptstadt Polizeiautos in Brand gesteckt. Die Polizei sperrte den Umkreis nur wenige Hundert Meter vom Sitz der Europäischen Kommission entfernt mit Stacheldraht ab, Fotos vom Demonstrationsort zeigten zudem den Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray. Wegen der Besetzung mehrerer Tanklager kam es im benachbarten Luxemburg bereits zu ersten Lieferengpässen bei Diesel und Benzin. Neben Steuersenkungen forderte die Menge unter anderem ein Recht auf ein Basiseinkommen. Am Wochenende demonstrierten auch in der niederländischen Stadt Den Haag rund 100 Menschen vor dem Parlamentsgebäude.

AfD sympathisiert ebenfalls mit „Gelben Westen“
In Deutschland kommt es schon seit Wochen zu Kundgebungen mit Menschen in den bekannten Warnwesten, die in jedem Auto verpflichtend mitzuführen sind. Allerdings scheint hier der Einfluss der rechtspopulistischen AfD größer auf die Bewegung zu sein als jener der Nationalen Sammlungsbewegung von Marine Le Pen auf die französischen „Westen“. Denn neben dem Protest gegen die hohen Treibstoffpreise mischen sich immer mehr Teilnehmer unter die Demonstranten, die lautstark die Ablehnung des UN-Migrationspakts und eine „nationale Revolution“ fordern. Für AfD-Chef Alexander Gauland ist das Überschwappen des Protests eine logische Folge. Er meinte vor wenigen Tagen im Bundestag, die Autofahrer hätten ja „genügend Gründe“ dafür.

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