Volkswagnis?

Offroad im VW Touareg: Schritt zurück nach oben

Motor
05.11.2018 18:00

Dass die Erde keine Scheibe ist, hat sich mittlerweile bei den meisten Menschen herumgesprochen. Aber: Dass der Atlas flach ist, gilt dennoch als gegeben - obwohl dieses Gebirge in Wahrheit nicht nur 2300 Kilometer lang, sondern auch bis zu 4167 Meter hoch ist. Eben diese Gegend hat VW ausgewählt, um die Offroad-Qualitäten des neuen Touareg zu zeigen.

(Bild: kmm)

Bei gut fünf Meter Länge und 1,72 Meter Höhe ist VWs Flaggschiff selbst ein ziemlicher Berg Auto, quasi ein Auto-Atlas, der seine Bestimmung nicht im Kutschieren des Nachwuchses in die Schule oder zum Fußballtraining finden sollte, es sei denn, die Familie lebt auf einer abgelegenen Alm.

Der Innenraum des Fünfsitzers ist weit wie die marokkanische Wüste, nur nicht so karg, sondern elegant und aufgeräumt eingerichtet. Fast möchte man hier wohnen und am 15-Zoll-Touchscreen des Navitainments IMAX-Filme schauen (geht aber nicht).

Offroadkompetent trotz Verzicht
Geländefahrt in Marokko also. Dabei könnte man meinen, der Touareg hätte in dritter Generation einiges an Offroad-Kompetenz eingebüßt. Zumindest auf dem Papier ist das richtig, denn im Gegensatz zum Vorgänger ist er weder mit Untersetzungsgetriebe noch mit Sperrdifferenzial bestellbar. Angesichts zuletzt gerade mal drei Prozent Einbaurate war den Wolfsburgern die Entwicklung dieser Tools schlicht zu teuer.

Dennoch ist das Verlassen gesicherter Asphaltstraßen kein „Volkswagnis“. Die Gelände-Kompetenz holt sich VWs grundsätzlich allradgetriebenes Flaggschiff anders. Und so ziehen wir dahin mit Luftfederung, erweiterten Fahrmodi, Aluminium-Unterfahrschutz für Kühler und Ölwanne (offiziell: Triebwerkunterschutz), verstärktem Unterboden und der neu entwickelten Allradlenkung. Kostet alles extra. Nur den aktiven Wankausgleich haben wir nicht an Bord. Nicht, weil er zu teuer gewesen wäre (obwohl 3500 Euro Aufpreis schon eine Ansage sind), sondern weil er noch nicht zur Verfügung stand, als die Autos für unsere Marokko-Tour bestellt wurden.

Sehr komfortabel gleiten wir über holprige Straßen, die teilweise nur zur Hälfte asphaltiert sind; bis wir die Straße verlassen: Die Stunde der beiden Regler auf der Mittelkonsole hat geschlagen. Mit dem linken surft man durch die On- und Offroad-Fahrprogramme, die dann am Display noch über Untermenüs verfeinert werden können. Der rechte Drehsteller ist fürs Heben und Senken der Karosserie zuständig. 19 Zentimeter beträgt die Standard-Bodenfreiheit, auf Stufe eins sind es 22 Zentimeter (was mit Stahlfahrwerk die Standardhöhe ist). Stufe zwei bedeutet exakt 258 Millimeter Bodenfreiheit zwischen den Achsen.

Aufsitzen schadet nicht, aber unterbricht die Fahrt
Weil selten jemand mit dem Maßband vorausgeht, kann es trotzdem passieren, dass man aufsitzt. Wie gut, dass Kühler, Tank usw. gut geschützt sind. Der verstärkte „Aeroboden“ steckt auch Untergrundkontakt weg.

Bei Bergauffahrten auf losem Untergrund regelt der Allradantrieb in Zusammenarbeit mit der Elektronik so akkurat, dass es kein Hängenbleiben gibt. Im Normalbetrieb schickt das zentrale Torsen-Differenzial 40 Prozent der Kraft nach vorne, 60 Prozent nach hinten. Bei Bedarf verteilt es bis zu 80 Prozent nach hinten bzw. 70 Prozent nach vorne. Durchdrehende Räder werden per Bremseingriff zum Stehen gebracht. Einfach geduldig auf dem Gas bleiben, bis wieder Kraft auf den Boden kommt. Das funktioniert auch mit einem oder zwei Rädern in der Luft (theoretisch wohl auch mit drei, aber das ist physikalisch schwierig).

Nur dann, wenn man wirklich massiv aufsitzt, ist Schluss mit lustig. In dem Fall hebt sich etwa ein BMW X5 automatisch weitere drei Zentimeter über sein Maximalniveau, der Touareg kann das nicht.

Bräuchte man die Untersetzung?
Im Prinzip jein. Normalerweise kommt man auch ohne sehr weit. Wenn man allerdings etwa mit Anhänger (bis zu 3,5 Tonnen Zuglast sind möglich!) offroad länger steil bergan fährt, wird der Wandler des Achtgang-Automatikgetriebes ins Schwitzen kommen. Da braucht‘s dann eher eine Mercedes-G-Klasse oder einen Land Rover bzw. Range Rover. Auf meiner Testfahrt hätte ich keinen Bedarf gehabt, da wäre mir eine Frontkamera wichtiger gewesen, um zu erkennen, wo und wie es weitergeht - die wird aber erst zu einem späteren Zeitpunkt verfügbar sein.

Ein Segen ist die Allradlenkung: Da die Hinterräder bis 37 km/h entgegengesetzt zu den Vorderrädern einschlagen, sinkt der Wendekreis um einen Meter auf beeindruckende 11,19 Meter (zum Vergleich: ein VW Golf hat 10,90 Meter). Damit kommt man um Ecken herum, wo man sonst rangieren müsste. Das gilt nicht nur im hohen Atlas, sondern auch in Parkhäusern.

Fluss oder Hochwasser muss kein Hindernis sein
Wasserdurchfahrten sind bis zu einer Tiefe von 58 Zentimeter möglich; sehr langsam natürlich, weil sonst die Bugwelle dem Motor den Garaus macht. Mit Vollgas durchs Flussbett, wie hier auf den Fotos, ist lustig, aber nur möglich, weil das Wasser maximal bis zur Achse reicht. Alltagsanwendungen für Feuchtfahrten abseits von Offroadparks und „Volkswagen Experience“-Touren könnten sich bei Hochwasser ergeben.

Der Charakter zeigt sich auf der Straße
Der VW Touareg basiert auf derselben Plattform wie Audi Q7 und Q8, Porsche Cayenne, Bentley Bentayga oder auch Lamborghini Urus, aber abgesehen von Optik und Ausstattung ist auch die Abstimmung eine andere. Zum Beispiel bei der Allradlenkung. Die switcht bereits über 37 km/h die Lenkrichtung der Hinterräder auf parallel zu den Vorderrädern. Der automatische Wankausgleich regelt die seitliche Bewegung des Aufbaus nicht komplett weg, sondern lässt ein wenig Wanken zu. Beides fühlt sich komfortabler an, weniger wie auf Schienen.

Vorläufig zwei Dieselmotoren zur Wahl
Motorenseitig setzt VW weiterhin auf Diesel. Warum auch nicht, jetzt, wo die Selbstzünder wirklich sauber sind und die Abgasnorm Euro 6d temp erfüllen? Basistriebwerk ist der Dreiliter-V6-TDI mit 231 PS und 500 Nm ab 1750/min., der den Zweitonner (1995 kg nach DIN, also ohne Fahrer) in 7,5 Sekunden von null auf 100 km/h wuchtet und weiter bis auf 221 km/h. Zum Test zur Verfügung stand die stärkere Version, die auf 286 PS kommt und mit 600 Nm ab 2250/min. für einen Sprintwert von 6,1 Sekunden sorgt, Vmax 238 km/h. Beide glänzen mit einem Normverbrauch von 6,6 l/100 km bzw. 173 g/km CO2.

Ein V8-Diesel mit 421 PS folgt im Frühsommer, ein 340-PS-Benziner mit sechs Zylindern kommt Anfang des Jahres auf den Markt.

Die Preisliste beginnt bei 66.690 Euro, der stärkere V6 TDI kostet 6000 Euro Aufpreis. In Österreich serienmäßig sind der 90 statt 75 Liter große Treibstofftank sowie der 24 statt zwölf Liter fassende AdBlue-Tank, was etwa in Deutschland Teil des Offroad-Paketes ist. Generell ist die Ausstattung nicht karg, dennoch beginnt hier erst der Marsch durch die Aufpreisliste. Offroad-Paket, Luftfederung, Allradlenkung, das Navitainment mit dem gigantischen Display - wenn man alles hat, was man will, fehlt nicht viel auf sechsstellig.

Unterm Strich
Ein tolles Schiff, der VW Touareg. Höchst komfortabel, geräumig (821 bis 1800 Liter Kofferraum), auch elegant. Aber kein Schnäppchen - vor allem wenn man einige der Luxus-Extras mitbestellt, wie das 15-Zoll-Navitainment, das den Fahrer anfangs überfordert, sich aber langsam, aber sicher auch ohne Informatik-Studium erschließt. Es empfiehlt sich eher ein Geographie-Studium - als Vorbereitung für große Reisen abseits von Autobahnen und Touristenströmen. Schließlich sind die Touareg ein Nomadenvolk…

Warum?
Mehr Komfort in einem VW geht nicht
Navitainmentmäßig ziemlich vorn
Besser im Gelände, als man ihm zutraut

Warum nicht?
Vor den Nachbarn und dem eigenen Gewissen braucht es gute Argumente für ein Zwei-Tonnen-SUV.

Oder vielleicht …
… Audi Q7, BMW X5, Mercedes GLE, Range Rover Velar, Land Rover Discovery

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(Bild: kmm)



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