Das große Interview

Warum haben Sie keine Lust mehr, Herr Strolz?

Österreich
13.05.2018 06:00

Mutig oder verantwortungslos? Mit seinem Rücktritt hat NEOS-Gründer Matthias Strolz (44) alle überrascht. Mit Conny Bischofberger spricht er über die Motivlage, mehr als zwei Dutzend Angebote und seinen neuen Platz im Leben.

Freitagnachmittag in der Wiener Löwelstraße 12. „Warten Sie ruhig in seinem Büro“, sagt die Sprecherin von Matthias Strolz. Allein der Blick muss ihm doch abgehen: Hier im dritten Stock liegen einem das Naturhistorische Museum, das Parlament und das Burgtheater zu Füßen. Ein NEOS-Mitarbeiter hat faschierten Braten von zu Hause mitgebracht und verteilt dazu Semmerl. Wir sitzen am Besprechungstisch und betrachten die Bilder an den Wänden. Dann geht die Tür auf und Matthias Strolz stürmt herein. Bestens gelaunt, wirklich gut drauf, grad dass er keine Luftsprünge macht. Auch er hat ein Braten-Semmerl in der Hand.

„Die Bilder hat meine Frau gemalt“, sagt der NEOS-Gründer und isst noch schnell fertig, „so habe ich ihre Kraft immer bei mir.“ Auf einem Sims steht ein Mini-Strolz neben einem Sinnspruch. „The secret of freedom is courage“ - „Das Geheimnis der Freiheit ist Mut“. Das Männchen hat die Arme gehoben, als würde es gleich abheben. Angelehnt an Matthias Strolz, wenn er im Parlament die Flügel hob oder, wie am vergangenen Montag, den Abflug machte.

„Krone“: Wie fühlt sich der Rückzug an, vier Tage später?
Matthias Strolz: Nach wie vor sehr stimmig. Sogar noch stimmiger als stimmig. Ich erlebe so viel Bestätigung, Wertschätzung, Respekt. Die Leute sprechen mich auf der Straße an, beim Einkaufen. Die meisten sagen „Schade“, mancherorts ist auch eine Traurigkeit da, auch ein Stück Enttäuschung. Ich hatte die Befürchtung, dass viele meine Gründe nicht verstehen, aber jetzt bin ich beruhigt.

Erklären Sie es uns. Warum haben Sie keine Lust mehr?
Die Lust ist nach wie vor groß. Aber mir war zu jedem Zeitpunkt auch bewusst, welchen Preis ich zahle. Politik ist so ziemlich der brutalste Job, den ich mir vorstellen kann. Aber ich habe das frei gewählt, und der Job eines Herzchirurgen oder eines Minenarbeiters oder einer Postzustellerin ist auch nicht immer lustig. Ich kann das sagen, weil ich in den 1990er-Jahren einmal Briefträger im Hochgebirge war. Ich bin noch gut im Saft, aber ich spüre Abnützungserscheinungen, und - hey! - wer das in dem Job nicht spürt, der spürt sich selber nicht.

Also ist die Politik an Ihre Substanz gegangen?
Natürlich kostet es Kraft, die ich dann mitunter in anderen Rollen so nicht mehr habe. Ich hätte mir ab und zu gewünscht, dass ich geduldiger wäre mit meinen Kindern, dass ich manchmal einen Ausflug mehr machen könnte. Deshalb freue ich mich, dass ich einer Bewegung meines Herzens und einer wesentlichen Überzeugung gefolgt bin.

Welcher?
Dass ich als Parteigründer den richtigen Zeitpunkt erkennen muss, an dem es meine Pflicht ist, Raum zu geben. Das ist wie bei einem großen Baum, der den anderen nachkommenden Bäumen das Licht nimmt. Das wäre grundfalsch. Ich bin zutiefst überzeugt, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist.

Sehr viele finden den Zeitpunkt - nach sieben Jahren - viel zu früh. Ist es nicht unverantwortlich, jetzt einfach den Abflug zu machen?
Vier von fünf Gründern werden irgendwann hinausgeschickt oder sogar hinausgetragen, weil sie den richtigen Zeitpunkt übersehen. Weil ihr Ego so groß ist, dass sie nicht merken, dass sie nicht mehr hilfreich sind. Sicher hätte ich in meiner Rolle noch gut ein, zwei Jahre funktionieren können. Ich bin mir aber sicher, dass ich ab 2019, 2020 in die Gründerfalle getappt wäre. Das heißt, du machst mehr kaputt, als du noch Gutes bewirken kannst.

Da spricht jetzt der systemische Berater aus Ihnen …
Ja klar, weil ich das so oft erlebt habe in dem Job: Sei es bei der Übergabe von Tischlereien oder bei Vereinen. Nächstes Jahr sind permanent Wahlen. Es wäre verantwortungslos, während eines Halbjahres die Übergabe einzuleiten, in dem eine Wahl ist. Auch aus dieser Perspektive heraus war meine Entscheidung richtig.

Was sagen Sie all den Wählerinnen und Wählern, die NEOS gewählt haben wegen Matthias Strolz, wegen Ihrem Charisma, wegen Ihrer Persönlichkeit?
Denen sage ich: Ich hätte diesen Schritt nicht gemacht ohne die Gewissheit, dass wir Leute haben, die das mindestens so gut machen werden wie ich. Ich habe immer gesagt, wenn jemand kommt, der das gleich gut macht oder besser, dann werde ich den Platz räumen. Beate Meinl-Reisinger ist als Oppositionsführerin - so sie von den Mitgliedern gewählt wird - mindestens so gut, wie ich es bin. Sie wird anders sein, und mitunter sogar besser.

Als erstes hat Frau Meinl-Reisinger gemeint, sie verstehe nicht, dass sich Sebastian Kurz noch in den Spiegel schauen könne. War das so gut?
Ich habe prophezeit, sie wird eine Scharfe sein. Aus der Rolle einer Oppositionsführerin macht diese Aussage für mich Sinn, jawohl.

Mein Kollege Michael Jeannée hat spekuliert, Sie seien zu oft gepiekst worden vom „Stachel“ Meinl-Reisinger. Hat er Recht?
Entschuldigen Sie, aber das ist ein Blödsinn. Natürlich haben wir uns immer wieder gerieben. Das war schließlich eine Riesen-Baustelle, diese Partei groß zu machen. Natürlich haben sich zwei Baumeister ab und zu mal was auszurichten. Aber wir haben uns einander immer zugemutet und sind immer gemeinsam marschiert. Sie kennen ja das Motto: Nur ein guter Einser hat einen guten Zweier. Beate ist die Richtige, sie hat die Kapazität und kann allen die Stirn bieten, deshalb kann ich sie der Mitgliederversammlung wärmstens empfehlen.

Es gibt auch das Gerücht, Sie hätten einen Streit mit Ihrem Geldgeber Hans Peter Haselsteiner gehabt.
Auch das ist ein Blödsinn. Hans Peter Haselsteiner war von 2013 aufwärts immer ein großer Förderer, ohne jemals - und das ist für viele offensichtlich schwer vorstellbar - Bedingungen zu stellen. Er war für mich auch ein Geschenk, und zwar bis zur letzten Minute - und die ist ja noch nicht einmal geatmet. Natürlich gab es auch mit ihm ab und an Punkte, wo wir uns gerieben haben, aber letztlich sind wir immer gut miteinander gefahren. Sonst würde er nicht in den höchsten Tönen von mir sprechen. Er ist ja bekannt dafür, dass er immer sagt, was er denkt.

Peter Filzmaier hat in der „Krone“ geschrieben: Strolz will einfach kein Politiker mehr sein.
Er hat insofern nicht recht, als ich bis an mein Lebensende Politiker bleiben werde. Fast alles ist politisch, aber Politik ist nicht alles. Das ist der Punkt. Wenn du so ein Politschädl bist wie ich, dann hast du das mit der Muttermilch aufgesogen. Also auch wenn ich einen Ausflug mache mit meiner Familie, läuft bei mir das Programm der politischen Weltwahrnehmung. Ich befürchte, ich werde dieses Programm nicht abstellen können. Das ist eine Art von Déformation professionnelle, das ist auch ein Geschenk, auch eine Belastung, weil das läuft bei jeder Gartenparty, bei jedem Elternabend, bei jeder Hochzeit, so wie halt der Autoliebhaber überall Autos sieht und der Förster überall Bäume. Vorgestern wurde ich ins Schiedsgericht des Europäischen Forums Alpbach gewählt, ehrenamtlich. Es gibt hundert Baustellen, auf denen ich möglicherweise meine Kraft einbringen kann. Mich interessiert auch internationale Friedensarbeit, die Europäische Union und ihre Weiterentwicklung, das interessiert mich alles brennend, nur werden das nicht meine nächsten Schritte sein.

Was werden die nächsten Schritte sein?
Auch das ist für viele schwer zu verstehen: dass ich mich freue, die Hände frei zu bekommen für eine Aufgabe, von der ich tatsächlich noch nicht weiß, wie sie heißt.

Ist das alemannisch: einfach zu kündigen, ohne was anderes zu haben?
Typisch alemannisch ist das nicht. - Lacht. - Meine Mama war gerade zur Erstkommunion meiner Tochter in Wien. Sie fragte mich: „Muss ich mir Sorgen um die Familie machen? Oder hast du dir das eh gut überlegt?“ Die Mama ist gebettet in ein großes Ur- und Gottvertrauen. Mein Papa, der verstorben ist, hätte sich viel größere Sorgen um meine finanzielle Basis gemacht.

Machen Sie sich keine Sorgen, wie Sie Ihre Familie künftig ernähren werden?
Dazu kann ich sagen, dass ich schon über zwei Dutzend Angebote bekommen habe seit Montag.

Mehr als 24?
Genau. Das ging vom Einstieg in eine Management-Funktion über Angebote von Buchverlagen bis hin zu Anfragen, ob man nicht gemeinsam eine Firma gründen könnte - da waren Projekte von Kalifornien bis Südburgenland dabei. Es gab auch die Idee, ich solle mit viel Unterstützung eine große Schule gründen, was mich schon sehr berührt hat. Also, ich hab vom Herrgott zwei Hände gekriegt, einen Kopf und einen Körper, der funktioniert. Da fühle ich mich gut imstande, meine Familie auch weiterhin materiell zu versorgen.

Weil Sie finanzielle Reserven haben?
Ich habe Wertpapiere und ich habe Schulden, und zwar einen endfälligen Schweizer-Franken-Kredit. Aber das ist kein Alleinschicksal, das haben über hunderttausend Österreicher auch. Ich werde schon was verdienen irgendwo, ich bin zu brauchen, davon bin ich überzeugt.

Könnte es sein, dass letztlich private Gründe hinter Ihrem Rückzug stehen?
Nein. Aber natürlich macht das etwas mit der Familie, wenn du in der Spitzenpolitik bist. Und natürlich war das oft eine Belastung und natürlich freut sich meine Familie jetzt. Meine Frau hat ein Stück weit auch Angst. Aber sie weiß ja, dass sie einen „Gschaftlhuber“ geheiratet hat. Ich bin nicht immer leicht und sie ist es auch nicht immer, aber wir lieben uns. Was braucht es mehr?

Wie lange wusste Ihre Frau Bescheid?
Seit gut vier Monaten. Sie wusste, dass so ein Schritt kommen würde, und es war ihr nicht erlaubt, darüber zu reden, und das war für sie sehr schwierig. Jetzt ist da eine große Erleichterung. Ich habe übrigens auch mindestens vier Interviews gegeben, wo ich meine Übergabe angekündigt habe, aber die Journalisten haben es nicht gehört. Man sieht nur das, worauf man fokussiert ist.

War bei diesen mehr als 24 Angeboten etwas dabei, von dem Sie sich vorstellen könnten, es zu machen?
Nein, weil ich mir zwei Dinge vorgenommen habe. Erstens: bis Ende März 2019 nichts zu unterschreiben, das mich Vollzeit binden würde. Es kann natürlich immer anders kommen, aber das ist mein Plan. Und zweitens - und das ist jetzt wirklich alemannisch und entspricht der Arbeitsethik eines katholischen Bergbauernbubs im Hochgebirge -, mich hier bis zum letzten Tag voll und ganz einzubringen. Dafür werde ich bezahlt, und deswegen wird es keinen einzigen Tag geben, an dem ich schwächeln werde, das haben sich die Menschen und dieses Land verdient. Bis Ende Juni bin ich Parteichef, bis Ende September bin ich Chef im Parlament - und dann werde ich mich in den Volksgarten oder in einen Biergarten setzen und den Sozialvoyeur spielen.

Sozialvoyeur?
In dem Sinn, dass mich das Soziale fasziniert. Ich interessiere mich für das, was Menschen miteinander tun, für soziale Gebilde, für Gruppen und Organisationen. Das ist auch eine Art von Lebenshunger. Das Bild leuchtet schon in kräftigen Farben vor mir. Ich werde dort sitzen, die Leute beobachten und mir sagen: „Aha, heute ist tatsächlich der Tag gekommen, wo ich die Hände leer habe.“ Noch habe ich sie nicht leer, ich habe sie voller denn je. Ich habe sicher hundert SMS bekommen, in denen stand: „Jetzt hast du endlich Zeit für einen Kaffee.“ Nein, habe ich nicht! Also bis Ende September bin ich voller denn je, aber ab Oktober gerne.

Es gibt auch noch eine Verschwörungstheorie: Es sei von höchster Stelle eingefädelt worden, dass Sie beispielsweise zu Dietrich Mateschitz gehen, weil dann die Opposition quasi ausgelöscht ist.
Wenn die höchste Stelle der Herrgott ist, dann können wir darüber reden. Aber Mateschitz ist definitiv falsch. Ich kenne ihn nicht, er hat keinen Einfluss auf mich, ich bin ein freier Mann. Und: Auch Sebastian Kurz war ja völlig von den Socken. Er hat mich angerufen, so wie Christian Kern und viele andere. Die wollten das verstehen und waren alle sehr überrascht. Für manche mutet das eigentümlich an, aber ganz ehrlich: Du musst auch ein eigentümlicher Kerl sein, wenn du sagst: So, jetzt gründe ich eine Partei. Das ist nicht gerade der Lieblingssport von Herrn und Frau Österreicher. - Zerkugelt sich vor Lachen.

Herr Strolz, Sie sind bekannt für Ihre Sprüche. „Scheiß auf Taktik!“, als Sie gefragt wurden, ob Sie manchmal einen Joint rauchen. „Was ist mit Ihnen?“ an die Gesundheitsministerin, nachdem das Rauchverbot verschoben wurde. „Sie reiten ein totes Pferd!“ an die Regierung. Auf welchen sind Sie besonders stolz?
Ich bin sehr stolz auf die Rede vor dem UN-Generalsekretär, ich glaube, das ist die einzige Rede, die von ihm von diesem Tag erinnert wird.

Sie endet mit „We are lost in time and space“ - und viele haben nicht verstanden, worum es eigentlich ging.
Das war vor genau zwei Jahren, da habe ich fünf Minuten, bevor ich die Rede gehalten habe, meine Notizen verworfen und einfach völlig frei gesprochen. Für mich ist es unbegreiflich, wenn das jemand nicht verstanden hat. Es muss doch jedem Menschen so gehen, wenn er unter diesem Sternenzelt steht und in den Himmel hinaufschaut. Da oben sind ein paar Milliarden Sterne, da kann ich doch nicht zum Schluss kommen: „Ich bin das Wichtigste hier.“ Oder: „Wir sind die einzigen hier.“ Oder: „Wir sind die Krone der Schöpfung.“ Da gibt es etwas, was für uns nicht greifbar ist, und diese Demut hat mich immer begleitet, in meinem ganzen Tun. Und dann sagen die Leute: „Das ist ja ein Bäume-Umarmer, ein Esoteriker oder sonst was.“ Meine Mama sagt: „Das ist ein gläubiger Mensch, mein Bua.“ Mein Glauben hat vielleicht eine andere Form bekommen, seit ich in der Stadt bin, trotzdem fühle ich mich von der Gläubigkeit meiner Mutter nicht weit weg.

Stichwort „Scheiß auf Taktik“. Sollten Politiker ehrlicher sein?
Ich habe nie gelogen in der Politik und mir ist völlig klar, dass das ein riesiger Wettbewerbsnachteil war. Und ja, wahrscheinlich hab ich manchmal zu viel geredet. So nach dem Motto: Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.

Ihre unbändige Energie hat viele überfordert. War „Duracell-Politiker“ für Sie eine Beleidigung?
Ich trage sowohl den Bäume-Umarmer als auch den Duracell-Hasen mit einem leichten Augenzwinkern. Besser diese Zuschreibung zu haben als: „Das ist ein ignoranter Hund, ein falscher Fünfziger, ein elender Opportunist, ein karrieregeiler Sack.“ Du kannst als öffentliche Person nicht ohne Image existieren, und dein Image wird immer auch eine Abrisskante ins Negative haben. Diese negative Abrisskante ist immer die Überhöhung deiner Stärke. Meine Stärke ist Naturverbundenheit, die Überhöhung ist „Bäume-Umarmer“. Meine Stärke ist viel Energie, die Überhöhung ist „Duracell-Hase“. Meine Stärke ist Spiritualität, die Überhöhung ist „Esoteriker“.

Könnte die Überhöhung Ihrer Energie auch Manie sein?
Nein, davon bin ich ganz weit entfernt. Ich habe sogar sehr ruhige Ecken, und die werden jetzt wieder mehr Raum bekommen. Ich gehe gerne alleine auf Bergtouren, ich lege mich dann auf der Bergspitze unter den freien Himmel und marschiere am nächsten Morgen weiter. Nachts habe ich ab und zu leichte Anfälle von Angst vor der Dunkelheit. Ich habe meine Ecken und Kanten, meine Stärken und Schwächen und bin hoffentlich ein Mensch geblieben, auch in der Politik.

Was werden Sie am meisten vermissen?
Natürlich bin ich nicht frei von einem gewissen Sendungsbewusstsein, ich habe schon eine leicht missionarische Ader. Und die Politik hat mir diese Rampe gegeben. Das wird mir abgehen. Aber Sie können sicher sein, ich werde nach Ersatzrampen suchen.

Wem haben die Tränen gegolten bei Ihrer Abschiedsrede am vergangenen Montag?
Legt die Hände vor den Mund und überlegt.
- Nie ist die Liebe so groß wie im Augenblick des Abschiedes. Da werden noch mehr Tränen kommen. Das waren so dichte sieben Jahre, ich habe sie mit der letzten Faser meines Herzens gelebt. Natürlich ist da auch viel Wehmut, wenn du gehst. Die NEOS sind schon ein Stück weit auch mein Kind, dem ich jetzt sage: „Und jetzt ausse mit dir, du bist erwachsen!“

Glauben Sie im Ernst, dass das „Kind“ zwanzig Prozent erreichen kann ohne den Gründungsvater?
Mittelfristig ja. Und NUR ohne den Gründungsvater! NEOS waren nie stärker als in ihrem siebten Jahr. NEOS waren nie wichtiger als heute und in den kommenden Jahren. NEOS werden als Kraft der Mitte noch an Energie gewinnen, und dafür braucht es eine frische Führung, das ist meine tiefe Überzeugung.

Und wie lange ist mittelfristig?
Bis 2030. Auch einem Kerl wie Heinz-Christian Strache hätte man nicht zugetraut, dass er aus einer Partei, die bei fünf Prozent lag, einmal eine Dreißig-Prozent-Kraft macht. Wieso sollten die NEOS, die heute bei sechs bis acht Prozent liegen, in den nächsten zwölf bis 15 Jahren nicht 20 Prozent erreichen? Faktum ist, es geht gerade eine siebzigjährige Epoche für unsere Republik zu Ende. Das rot-schwarze Machtkartell, das über sieben Jahrzehnte alles kontrolliert und dominiert hat, löst sich auf. Noch nicht komplett, aber irgendwann wird es mausetot sein. Und NEOS ist hineingeboren in diesen Übergang und wird eine wesentliche Rolle bei der neuen Mechanik der Macht einnehmen.

Wollten Sie nie unersetzbar sein?
Nein, und wissen Sie warum? Der Tod hat mich immer beschäftigt, und er war sehr nahe durch den Tod meines Schwiegervaters vor gut vier Jahren und durch den Tod meines Vaters vor eineinhalb Jahren. Wir alle sind hineingeboren in die Vergänglichkeit, und ich bin mir jeden Tag meiner Vergänglichkeit bewusst. Wer das vergisst, der hält sich vielleicht für unersetzlich. Ich nicht. Trotzdem trage ich diese Parteigründung als etwas ganz Großes in meinem Herzen. Das ist so etwas wie Kinder kriegen, Bäume pflanzen oder Bücher schreiben.

Über wen wird man im Parlament künftig noch lachen können?
Vielleicht bekommen jetzt andere mehr Platz, wenn der Hofnarr abtritt. Im Parlament gibt es viele wunderbare Menschen, auch mit Humor. Manche sind nur von sich selbst gefesselt. Vielleicht gibt ihnen meine Abwesenheit mehr Raum für die lustigen Seiten.

Sie haben bei Ihrem „Krone“-Antrittsinterview 2013 gesagt: „Politik ist für mich eine spirituelle Disziplin.“ Gilt das noch immer?
Absolut, nur mit dem Unterschied, dass ich gelernt habe, dass es nicht alle so sehen. Also der Missionar in mir hat sich die Hörner abgestoßen. Ich habe so unendlich viel gelernt in diesen sechseinhalb Jahren. Ich bin ein anderer als der, der ich war, und ich möchte keine Minute missen.

Am 10. Juni werden Sie 45. Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?
Ich habe keine Ahnung. Ich bin bereit. Das Leben wird mir einen guten Platz zuweisen.

Das Leben?
Ich bin ein gläubiger Mensch. Mein Gott hat aber keinen Bart, er existiert jenseits der Worte.

Ist Gott ein Mann oder eine Frau?
Weder noch. Gott ist eine Kraft, die ich spüre, in die ich gebettet bin, die in jedem von uns Menschen wohnt. Mehr Zeit zu haben, diesen Platz zu kultivieren, aus der die Kraft kommt, darauf freue ich mich schon. Man muss sich diesen Raum geben, damit man gut schwingen, gut hinhören, gut hinschauen und verstehen kann: Wo zeigt das Leben auf?

Vielleicht doch beim Bäume umarmen?
Das hat nie gestimmt. Ich bin nie mit dem Vorsatz in den Wald gegangen, Bäume zu umarmen. Aber natürlich stehe ich ab und zu vor einem Baum, wenn ich in der Natur unterwegs bin, und staune über seine Schönheit. Und natürlich kann es passieren, dass ich meine Hände an den Baum lege und dieses Wunder auch begreifen will. Ich glaube, dafür habe ich Hände. Um die Dinge zu begreifen.

Als Kind wollte er Lehrer werden
Geboren am 10.6.1973 in Bludenz, aufgewachsen in Wald am Arlberg. Als Kind ist sein Berufswunsch Lehrer. Matthias Strolz ist Absolvent der Internationalen Wirtschaftswissenschaften und Doktor der Philosophie. 2012 gründet der Ex-Grün- und -ÖVP-Wähler mit eigenem Unternehmen die NEOS. Mit ihm als Mastermind und Spitzenkandidat schafft die Partei zweimal den Einzug in den Nationalrat und in Salzburg womöglich erstmals den Eintritt in eine Landesregierung. Letzten Montag verkündet Strolz überraschend seinen Rückzug. Privat lebt er mit seiner Frau Irene und den drei Töchtern in Mauer in Wien.

Conny Bischofberger, Kronen Zeitung

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