Gesprengter Udelberg

Die Rheintalautobahn: Größte Bausünde Vorarlbergs

Seinem Besuch aus Deutschland wollte Autor Robert Schneider, ein stolzer Vorarlberger, unlängst die schönen Seiten des Ländles präsentieren. Doch die Fahrt von Bregenz nach Lech wurde zum eher unerfreulichen Ereignis – spätestens als die Deutschen den Autobahndurchstich bei Götzis bemerkten.

Im Sommer hatte ich Besuch eines alten Bekannten aus Norddeutschland. Er und seine Frau wollten Ferien in „dem Vorarlberg“ machen, wie sie sich ausdrückten. Ich musste des Langen und Breiten erklären, dass man nicht der oder das Vorarlberg sagt, sondern einfach „Vorarlberg“, um ganz genau zu sein: „Voradlberg“. Natürlich wollte ich den beiden – er ist Verkehrsplaner in Stade, sie Psychotherapeutin – unser Ländle von der allerschönsten Seite zeigen.

Den Bodensee bei Sonnenuntergang, die Hohe Kugel bei Sonnenaufgang. Dazwischen suchte ich den Beweis zu erbringen, dass man hierzulande theoretisch am Morgen im See baden und am Mittag an schattigen Flecken auf einer Wanderung durchs Zuger Tal über den Schnee des Vorjahres laufen kann. Theoretisch. Aber die Klimaerwärmung hat leider auch nicht vor dem Zuger Tal zurückgeschreckt, wie ich bedauernd feststellen musste.

Ob derart massive Eingriffe auch heute noch genehmigt würden?
Ob derart massive Eingriffe auch heute noch genehmigt würden?(Bild: Oskar Spang, Stadtarchiv Bregenz)

Ich traf die beiden in Bregenz, wo sie untergekommen waren. Geplant hatte ich eine Ländle-Rundfahrt. Das Wetter war ausnahmsweise prachtvoll. Nach herzlichem „Hallo!“ und „Lange nicht mehr gesehen!“ sowie dem Hervorkramen alter Geschichten von damals, fragte mich Oliver, so heißt mein Bekannter: „Dieses Bregenz schmiegt sich doch so schön an den See. Eine Schande, dass die Bahngeleise das Ufer zerschneiden. Wie vorausblickend wurde das doch in Lindau gelöst!“

Keine kritischen Bemerkungen von außen
Da hatte er mich auf dem falschen Fuß erwischt. Eigentlich wollte ich beginnen, die Vorzüge von Bregenz zu preisen. Er hatte natürlich völlig recht. Ich antwortete, dass es sehr wohl Bemühungen gegeben habe, die Geleise zu untertunneln, aber der Boden sei zu weich und die Kosten einer unterirdischen Betonummantelung unbezahlbar für so eine kleine Stadt wie Bregenz. Ich weiß nicht, ob das stimmt, meine jedoch, Derartiges irgendwann in der Zeitung gelesen zu haben. Außerdem beginnt mein Herz sofort patriotisch zu schlagen, wenn jemand an meinem schönen Ländle herumkrittelt. Das mag ich nicht.

Nach dem gemeinsamen Frühstück machten wir einen kurzen Spaziergang an der Seepromenade. Den „Platz der Wiener Symphoniker“ empfand Oliver als „raumplanerischen Unfug“ und das Festspielhaus nannte er einen „abscheulichen Betonsilo“. Okay, schön ist das gesamte Ensemble wirklich nicht, da konnte ich beipflichten, aber muss man als Gast in diesem Land immer nur das Negative sehen und mit dem Finger darauf zeigen? Es kam noch härter für mich.

„Was ist denn das bitteschön?“
Als wir nämlich auf der A14 Richtung Oberland fuhren (ich wollte ja die These mit dem Sommerschnee in Lech beweisen), schrie Oliver plötzlich entsetzt: „Was, bitteschön, ist das?“ Dabei zeigte er auf den Autobahndurchstich, den zersägten Udelberg, den kleinen Inselberg inmitten des herrlichen Alpenrheintals. „Kannst du irgendwo ausfahren? Das will ich mir genau anschauen!“ Mir blieb nichts anderes übrig, als bei Klaus die Ausfahrt zu nehmen, zurückzufahren und irgendwo zu parken, wo Oliver die „wohl schlimmste raumplanerische Schande Europas“, wie er sich ausdrückte, endlos lang zu fotografieren begann. Er löcherte mich mit Fragen, auf die ich keine Antworten hatte, während Heike (das ist seine Frau) auf dem Handy herumwischte und Wikipedia-Fakten zum Bau der Rheintalautobahn vortrug.

Schüttungen beim Bau der Rheintalautobahn 1968.
Schüttungen beim Bau der Rheintalautobahn 1968.(Bild: Oskar Spang, Stadtarchiv Bregenz)

Der Udelberg wurde demnach im Jahr 1971 in zwei Teile gesprengt, damit die Autobahntrasse ohne den kostspieligen Bau eines Tunnels fortgeführt werden konnte. Außerdem wurde das angefallene Felsmaterial dringend beim Bau des Teilstückes zwischen Dornbirn-Nord und Götzis verwendet. „Ich hab’s ja gesagt. Zu weicher Boden“, sagte ich zur Rechtfertigung der Ingenieure von damals. „Wie konnte man nur eine derartige Bausünde genehmigen und überhaupt zulassen?“, äußerte Oliver konsterniert. „Ja, gab es damals überhaupt keine Interventionen?“ – „Da bin ich, ehrlich gesagt, überfragt“, antwortete ich. „Ich kann mich allerdings noch lebhaft an eine Teilsprengung erinnern, denn mein Vater interessierte das sehr, und so waren wir einmal Zaungäste. Das donnerte und krachte und staubte! Mir hat das als Bub unheimlich gut gefallen.“

Keine Lust mehr auf Fremdenführer-Job
Heike fütterte uns noch mit weiteren Fakten, und ich gebe es ganz ehrlich zu: Mir verging schön langsam die Lust, diesen überheblichen Piefkes den Schnee im Zuger Tal zu zeigen. Angeblich, so Heike und Wikipedia weiter, gab es Überlegungen zu einer Überbauung der Durchstichstelle mit sechs Ebenen. Dort sollten Parkplätze, Tankstellen, Geschäfte, Restaurants, Fitness-Einrichtungen und Dienstleistungsbetriebe entstehen. „Aha“, sagte ich uninteressiert, „habe ich nicht gewusst“.

„Auf solchen Inselbergen muss es doch steinzeitliche Siedlungen gegeben haben“, schürfte Oliver weiter, als wollte er den Udelberg mit eigenen Händen noch einmal abtragen. „Wurde da nichts gefunden? Steinzeitgräber, Klingen, Pfeilspitzen. Ist da nichts dokumentiert? Oder hat man die Funde einfach unter den Tisch fallen lassen?“ – „Also bitte! Auf der Suppe sind wir auch nicht daher geschwommen!“, erwiderte ich empört. „Ganz sicher gibt es da ein paar Speerspitzen und Mammutzähne im Landesmuseum“, log ich ihm vor.

Nachdem sich Oliver bezüglich des zerteilten Udelbergs etwas gefangen hatte, fuhren wir Richtung Arlberg. Die andauernde Meckerei meiner lieben Bekannten über die Verschandelung der Alpenlandschaft durch Liftanlagen, die will ich Ihnen hier nun wirklich ersparen.

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