Nach fast acht Jahren Funkstille meldet sich Powerfrau Jessie J zurück. In „Don’t Tease Me With A Good Time“ verarbeitet sie Schmerz, Verlust und Trauer – und zeigt zugleich, dass sie stärker, klarer und selbstbewusster denn je zurückkommt. Ehrlich, kraftvoll und zutiefst menschlich. Ein Werk für die Seele – und wir haben hineingehört ...
Zugegebenermaßen: Man erkennt ihre Stimme einfach überall. Sie gehört zu den Sängerinnen mit einem enormen Wiedererkennungswert. Hits wie „Price Tag“ (2011) oder „Bang Bang“ (2014) erreichten Millionen Streams und wurden praktisch zu Welthits. Man könnte meinen, Jessie J (bürgerlich Jessica Ellen Cornish) hätte Jahr für Jahr neue Alben veröffentlicht und ständig Hits nachgelegt – doch Fehlanzeige. Ihr letztes reguläres Studioalbum erschien 2018 („R.O.S.E.“). Die Sängerin mit der Powerstimme ließ sich nämlich diesmal fast acht Jahre Zeit, bevor sie nun ihr neues Album „Don’t Tease Me With a Good Time“ herausbringt.
Einen bestimmten Grund gab es dafür nicht wirklich. Es war das Leben selbst, der Alltag, der sie so lange zurückhielt. Nach Morbus Menière (einer Erkrankung des Innenohrs), einer Fehlgeburt, dem Kampf gegen Brustkrebs und schließlich dem Glück, doch Mutter geworden zu sein, versteht man, warum so viel Zeit vergangen ist. Man merkt: Auch Weltstars leben nicht nur für die Musik.
Das neue Album ist deshalb kein einfaches Comeback. Es ist ein Manifest des Überwindens, ein Auftauchen nach einer weiteren schweren Zeit. Jessie J erlitt bereits mit 18 Jahren einen leichten Schlaganfall und kämpft seither immer wieder mit ihrer Gesundheit – auch das hört man zwischen den Zeilen. Das Album fängt die unverfälschten Höhen und Tiefen des vergangenen Jahrzehnts ein.
Pure Ehrlichkeit
Mit „Feel It On Me“, dem ersten Song des Albums, legt Jessie J sofort die Karten auf den Tisch. A cappella singt sie die ersten Zeilen – davon, dass sie Tränen zeigt, die sie nicht länger verstecken will. Sie spricht darüber, sich nicht mehr in die Dunkelheit zurückzuziehen, weil sie dort heilen musste, und erzählt offen, wie sehr Wachstum schmerzen kann. Zwischen Lärm und Stille sucht sie Halt – „I had to surrender to the silence in the noise“, sagt sie dazwischen - und genau in dieser Selbsthingabe findet sie neue Stärke.
„I Don’t Care“ beweist gleich als Song Nummer zwei, wie stark die Musikerin stimmlich und emotional klingt. Er erinnert an die guten alten Soultracks von früher: selbstbewusst, klar und getragen von einer Hook, die wie eine Hymne wirkt. Inhaltlich zieht sie einen deutlichen Schlussstrich - sie geht, weil jemand nicht für sie gekämpft hat. Ob sie damit auf ihre frühere Beziehung zu Schauspieler Channing Tatum anspielt, bleibt offen.
Singleauskopplung „No Secrets“ lehnt sich an klassischen 2000er-R&B an, ist aber modern produziert – unter anderem dank Ryan Tedder, Jesse Boykins III und Los Hendrix, die an den 16 Tracks mitgewirkt haben. Der Song thematisiert direkt den Verlust ihres Babys, und die Zeile „I lost My Baby / But The Show Must Go On, Right?“ trifft mitten ins Herz. Die Künstlerin zeigt sich hier so offen, wie man es im Mainstream-Pop selten hört. Auch „If I Save You“ präsentiert ihre verletzliche Seite und erinnert mit einigen melodischen Linien sogar an Kehlanis „Gangsta“.
Wunden heilen, Narben bleiben
Hört man anschließend „Believe in Magic“, bringt der Song eine groovige, poppige Leichtigkeit aufs Album. Es geht ums Hoffen, ums Glauben an das Gute, an neue Chancen – und ihre weiche, ruhige Tonlage unterstreicht diesen optimistischen Vibe perfekt. Die ruhigen Momente bleiben präsent und sind fein dosiert: „Comes in Waves“ ist zart und von einem leicht-schwebenden Chor getragen, während „I’ll Never Know Why“ als reine Pianoballade tief berührt – im Video dazu singt sie weinend, und man spürt jede Narbe ihres Verlustes.
Der Song „Complicated“ verzichtet komplett auf Percussion (Schlaginstrumente) und lebt nur von ihrer Stimme, die den Rhythmus selbst übernimmt. „I’m okay with being complicated“ klingt wie ein leises, aber starkes Bekenntnis zu sich selbst. Man kann sich gut vorstellen, dass dieser Song live genauso sauber klingen würde wie auf der Platte.
Der nächste Teil des Albums zeigt die volle Powerstimme der 37-Jährigen. „Colourful“ mischt Soul und Blues und wirkt wie ihr persönliches Aufblühen: Nach all den schweren Jahren ist die Welt wieder bunt, und sie nimmt sich diese Farbe zurück. „Sleepy, crazy, shy, nasty, class …“ – so beschreibt sie ihre Facetten.
Erinnerungen an eine manipulative Liebe
Spätestens jetzt merkt man, dass Ex-Freund Channing Tatum auf dem neuen Werk ebenfalls eine Rolle spielt. Während man sich bei „I Don’t Care“ noch unsicher war, ist man sich bei „Threw It Away“ fast sicher. Der Song befeuert die Spekulationen rund um ihre Vergangenheit deutlich. Die ersten Zeilen klingen wie eine klare Ansage an eine alte Liebe – „You Said Really-Really Nice To Meet Ya And Welcome To L.A. ... Calling Me Honey … I Gave You My Love And You Threw It Away“ – und Jessie J selbst gießt in einem Interview mit „The Sun“ noch Öl ins Feuer, wenn sie sagt, sie habe diesen Track 2020 mit Ryan Tedder geschrieben und man könne sich denken, mit wem sie damals zusammen war. Der Song geht in die Blues-Richtung, ist temperamentvoll und lässt keinen Zweifel daran, dass hier jemand verletzt wurde – und trotzdem stärker zurückgekommen ist.
„For This Love“ wirkt elegant und zeigt beeindruckende Vocal-Runs, während „Living My Best Life“ deutlich nach vorne schaut. Hier kommt der 80er-Jahre-Pop durch: leicht und doch voller Gefühl. Im Video zeigt sich Jessie glücklich, angekommen, fast erleichtert – kein Wunder nach all den Rückschlägen. Die Zeile „No More Tears, I’m Not Wasting Time Being Sad Tonight … Finally Living My Best Life“ fasst ihre Reise perfekt zusammen. Kurz vor Schluss folgt Track Nummer 15 „H.A.P.P.Y“, ein weiterer kraftvoller Popmoment. Im farbenfrohen Video taucht auch Söhnchen Skye auf – ein Symbol für Freude, Neubeginn, Familie und dafür, das Glück endlich anzunehmen. Ein perfekt gewählter vorletzter Song.
Abgerundet wird das Album von „And the Award Goes To“ – und man kann wirklich sagen: It goes definitely to Jessie J. Ein wunderbarer Schlusspunkt und ein Titel, der kaum passender sein könnte für eine Künstlerin, die mit so einer Stärke, Mut und beeindruckender Offenheit ihr Leben so ehrlich in Musik verwandelt.
Fazit: „Don’t Tease Me With a Good Time“ ist ein gelungenes Album und eine eindrucksvolle Rückkehr einer außergewöhnlichen Powerstimme – in einer Zeit, in der wir nicht mehr viele echte Sängerinnen haben. Pop, R&B, Blues, Gänsehautmomente: Alles ist dabei. Und in jedem Song spürt man das wahre Leben. Jessie J ist stärker denn je zurück – und wir hoffen, dass wir nicht erneut acht Jahre lang warten müssen, bis sie uns mit neuer echter Musik beschenkt.
Wer die Sängerin live erleben will, kann sich freuen – aber auch ein wenig enttäuscht sein. Jessie J geht nächstes Jahr auf Tour und macht dabei auch Halt in Deutschland. Österreich kommt jedoch zu kurz, denn dorthin führt sie ihre Tour im kommenden Jahr leider nicht.

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