Ein „Verkauf“ ohne Bank, ein Käufer ohne Kapital und Dokumente mit fehlenden Passagen: In einem Linzer Stahlprozess zeigt sich ein Geflecht aus Widersprüchen, das mehrere namhafte österreichische Exportunternehmen in Alarmstimmung versetzt.
Vor dem Landesgericht Linz tobt derzeit ein heikler Rechtsstreit mit mehreren Verfahren rund um den österreichischen Stahlhandel – ausgelöst durch die US-Wirtschaftssanktionen gegen Russland. In die Schusslinie geraten sind auch drei ehemalige Führungskräfte eines Linzer Stahlhändlers, die wegen angeblich „unlauteren Abwerbens“ von Mitarbeitern und Kunden von ihrem früheren Arbeitgeber geklagt wurden. Doch inzwischen werden vor Gericht auch dem klagenden Unternehmen selbst fragwürdige Praktiken vorgeworfen. Der Verlauf der Prozesse könnte erhebliche Auswirkungen auf österreichische Industriebetriebe und womöglich sogar auf Banken haben.
Siemens und Palfinger als Kunden
Nach den umfassenden US-Sanktionen gegen russische Oligarchen im Februar 2024 – verhängt im Anschluss an den Tod Alexej Nawalnys – geriet ein niederländischer Stahlhandelskonzern, zu dem die frühere Voest-Vertriebstochter gehörte, in schwere Turbulenzen. Der Konzern stand im Eigentum eines russischen Oligarchen, der ins Visier der US-Sanktionsbehörde geraten war. Der Linzer Stahlhändler belieferte bis dahin mit Voest-Produkten namhafte Unternehmen wie Siemens und Palfinger, deren Waren wiederum in die USA exportiert werden. Da die US-Sanktionen auch Geschäftspartner sanktionierter Unternehmen erfassen können, rückten Kunden, Lieferanten und Banken mit US-Geschäftsbeziehungen selbst in den Risikobereich.
In den Monaten nach Inkrafttreten der Sanktionen kehrten Mitarbeiter und Kunden dem Linzer Unternehmen reihenweise den Rücken. Es kam zu Millionenverlusten, mehreren europäischen Gesellschaften des Konzerns drohte die Insolvenz. Der russische Eigentümer versuchte gegenzusteuern und setzte für die niederländische Muttergesellschaft einen belgischen Anwalt als Generalbevollmächtigten ein, der den gesamten Konzern rasch verkaufen sollte. Im Sommer 2024 wurde österreichischen Geschäftspartnern schließlich mitgeteilt, der Konzern – samt der Linzer Tochter – sei verkauft, die Lage damit „wieder sicher“.
Massive Zweifel am Verkauf
Doch im Prozess am Landesgericht Linz zeigt sich zunehmend, warum mehrere österreichische Geschäftspartner und auch ehemalige Mitarbeiter erhebliche Zweifel an diesem Verkauf haben – und weshalb einige international tätige Geschäftspartner bis heute nicht wieder mit der inzwischen als European Staal Austrian GmbH (ESA) firmierenden Linzer Firma zusammenarbeiten.
Mit Fortdauer des Prozesses kommen immer mehr brisante Interna, merkwürdige Fakten und fragwürdige Details ans Licht.
1000 Euro Stammkapital
Auch der präsentierte Käufer wirft Fragen auf: Der Belgier Amaury Helssen – in der Branche weitgehend unbekannt – soll mit einer erst gegründeten Firma, ausgestattet mit nur 1.000 Euro Stammkapital, im Sommer 2024 den internationalen Millionenkonzern übernommen haben.
Der belgische Generalbevollmächtigte, der für kolportierte 75 Millionen Euro verkauft haben will, konnte oder wollte zentrale Fragen in seiner Zeugeneinvernahme dazu nicht beantworten. Hatte er den Konzern im Namen des russischen Eigentümers an einen Strohmann verkauft? „Ich glaube nicht, dass eine Verbindung zu einer sanktionierten Person besteht.“ Wie wurde der Kaufpreis bezahlt? Laut dem belgischen Anwalt war keine Bank involviert – weiteres wollte er vor Gericht nicht preisgeben.
Ich glaube nicht, dass eine Verbindung zu einer sanktionierten Person besteht.
Aussage des belgischen Generalbevollmächtigten vor Gericht
Notare verweigerten die Beurkundung
Im niederländischen Firmenbuch weist die Käufergesellschaft jedenfalls Verbindlichkeiten von 75 Millionen Euro auf – zinsfrei und fünf Jahre tilgungsfrei. Wer einen solchen Kredit gewährt, dürfte in künftigen Verhandlungen vor Gericht noch Thema werden. Der belgische Generalbevollmächtigte schilderte bei seiner Einvernahme ganz spezielle Probleme beim Verkauf: Mehrere Notare hätten die Beurkundung verweigert, sobald das Wort „russisch“ fiel.
Widersprüche zeigen sich auch bei der Rolle der US-Sanktionsbehörde. Der Generalbevollmächtigte sagte vor Gericht aus, dass eine Lizenz für den Verkauf nicht beantragt worden sei. Tatsächlich wurde dem Gericht allerdings ein entsprechender schriftlicher Antrag vorgelegt.
Der Hintergrund: International tätige Geschäftspartner verlangten von der European Steel Austria die Übermittlung einer US-Lizenz der Sanktionsbehörde. Tatsächlich wurde ihnen auch ein solches Dokument per Mail übermittelt. Allerdings: Auf der von der European Staal Austria verschickten Kopie der US-Lizenz fehlten entscheidende Passagen. Nicht nur Unterschrift und Datum, sondern vor allem genau jener Absatz, der klarstellt, dass die US-Sanktionsbehörde die Lizenz lediglich für Verkaufsgespräche, aber nicht für den Verkauf des Konzerns erteilt hatte.
„Stille Gesellschafter“
Weitere Unterlagen verstärken die Zweifel am gesamten Verkaufsprozess: Aus einem internen Protokoll der deutschen Konzerngesellschaft geht hervor, dass Käufer Helssen bei seinem Vorstellungsbesuch im Unternehmen von „stillen Gesellschaftern“ sprach, deren Namen er nicht nennen dürfe.
Kunden stieß auch sauer auf, dass nach dem angeblichen Verkauf nicht nur der belgische Generalbevollmächtigte, sondern zunächst sogar russisches Management im Konzern verblieb.
Und so kam es nicht überraschend, dass der Geschäftsführer der European Staal Austria zuletzt in seiner Einvernahme ein „Geständnis“ machen musste: Der Absprung der Kunden sei plötzlich doch aufgrund der Sanktionen erfolgt. In seiner eidesstattlichen Erklärung hatte das ursprünglich noch ganz anders gelautet.
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