Bundespräsident Alexander Van der Bellen besucht in diesen Tagen Litauen am Freitag Estland – mitten im Spannungsfeld zwischen Russland und der EU. Während der Kreml mit Falschmeldungen und Angriffen zündelt, setzen die Balten auf Aufklärung, Zusammenhalt und europäische Stärke. Ein Besuch mit Symbolkraft.
Als Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Mittwoch in Vilnius landete, ging es nicht nur um Höflichkeit und Diplomatie. Der Besuch in Litauen, einem der drei baltischen Staaten, steht im Zeichen wachsender Unsicherheit – einer ständigen Bedrohung durch Russland. Seit dem Angriff auf die Ukraine 2022 steht das Baltikum an der Frontlinie eines neuen, unsichtbaren Krieges: eines Krieges um Informationen, Vertrauen und Stabilität. Litauen, Lettland und Estland gelten seit Jahren als Versuchsfeld für russische Einflussversuche. Schon in der Sowjetzeit war die Region von Moskau abhängig, heute sind die drei Staaten Mitglieder von EU und NATO.
Genau das macht die drei Staaten für den Kreml zu einem Symbol westlicher Expansion – und damit zu einem Ziel. Nach Erkenntnissen internationaler Sicherheitsdienste und Analysen hat Russland seine Strategien seit Beginn des Ukraine-Kriegs deutlich verschärft. Statt mit Panzern agiert Moskau mit Desinformation, Cyberangriffen und psychologischem Druck. Das Ziel: Misstrauen säen, Wahlen stören, Gesellschaften spalten.
Angriffe nichts Neues
„Angriffe im Cyberbereich, Sabotageaktionen oder Bombendrohungen sind hier nichts Neues“, sagt Oliver Morwinsky, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung im Baltikum. „Aber die Häufigkeit zeigt, dass Russland eine neue Stufe der Bedrohung erreicht hat.“ Seit 2022 haben sich die Methoden verfeinert. Während früher groß angelegte Propaganda über Fernsehsender lief, arbeitet Moskau heute mit kleinen, schwer erkennbaren Kanälen: Trollkonten auf Telegram, KI-generierte Videos und manipulierte Fotos. In Estland verbreiteten Hunderte falsche Social-Media-Profile Gerüchte über Wahlbetrug und Benachteiligung russischsprachiger Minderheiten.
In Lettland tauchten „unabhängige“ Nachrichtenseiten auf, die in Wahrheit vom Kreml finanziert wurden. In Litauen versuchten Hacker, Wahlbehörden anzugreifen, während automatisierte Bot-Netzwerke behaupteten, westliche Sanktionen hätten die Wirtschaft ruiniert. Auch wirtschaftliche Hebel werden genutzt. Kurz vor der litauischen Präsidentenwahl 2024 kam es zu Störungen bei Gaslieferungen – mutmaßlich ein Versuch, Unzufriedenheit zu schüren. Gleichzeitig versuchte die russisch-orthodoxe Kirche, Gläubige mit politischen Botschaften zu beeinflussen. Laut Litauens Geheimdienst diente all das einem Ziel: das Vertrauen in die Demokratie zu untergraben.
Regelmäßige Zivilschutzübungen
Trotz dieser Dauerbelastung herrscht im Baltikum kein offener Alarmzustand. „Man ist wachsam, aber nicht panisch“, sagt Morwinsky. „Es gibt Broschüren und Apps, die erklären, wie man sich im Krisenfall verhalten soll – das stärkt die Resilienz.“ Regelmäßig finden Zivil- und Militärübungen statt, um auf mögliche Katastrophen oder Angriffe vorbereitet zu sein. Besonders sensibel gilt der sogenannte Suwałki-Korridor, der schmale Landstreifen zwischen Polen und Litauen, der die baltischen Staaten mit dem restlichen NATO-Gebiet verbindet.
„Man ist sich der Gefahr sehr bewusst“, sagt Morwinsky. Auch die Gesellschaft hat gelernt, sich zu wehren. Medienkompetenz und schnelle Reaktionen der Behörden verhindern, dass Falschmeldungen größere Wirkung entfalten. Projekte wie Litauens „InfoShield“ oder das NATO-StratCom-Zentrum in Riga gelten inzwischen als Vorbilder für Europa.
Vor diesem Hintergrund ist der Besuch Van der Bellens‘ mehr als ein diplomatisches Pflichtprogramm. „Solche Besuche sind enorm wichtig“, betont Morwinsky. „Sie zeigen, dass die westlichen Staaten nicht müde werden, die Ukraine und ihre Nachbarn zu unterstützen.“ Van der Bellen selbst wählte in Vilnius deutliche Worte: „Seit Russlands Krieg gegen die Ukraine hat Litauen eine besonders bedeutende Rolle“, sagte er nach seinem Treffen mit Präsident Gitanas Nausėda. „Litauen ist ein Frontstaat – hoch exponiert und entscheidend für Europas Sicherheit.“ Der Bundespräsident erinnerte daran, dass Österreich und Litauen durch Handel, Kultur und EU-Mitgliedschaft eng verbunden seien.
„Europa ist ein starkes Team“
Österreich exportiere jährlich Waren im Wert von rund 446 Millionen Euro ins Baltikum. Doch es gehe bei dieser Reise um mehr als Wirtschaft. „Wir, die Europäische Union, sind 27 Mitgliedstaaten und 450 Millionen Menschen. Wir sind ein starkes Team. Jetzt ist die Zeit, diese Stärke auch für unsere Sicherheit zu nutzen“, sagte Van der Bellen. Er versicherte seinem litauischen Amtskollegen, dass Österreich sich weiter aktiv an der gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beteilige – „als verlässlicher Partner der NATO, im Rahmen unserer militärischen Neutralität“. Besonders hob er die Bedeutung der Unterstützung für die Ukraine hervor: „Die Sicherheit der Ukraine ist Teil der europäischen Sicherheit. Unser Ziel bleibt ein gerechter, umfassender und dauerhafter Frieden.“
Am Donnerstag besucht Van der Bellen die Grenze zu Belarus, wo hybride Angriffe mit Drohnen und gesteuerter Migration zum Alltag gehören. Sein Besuch ist damit auch ein Zeichen des Respekts gegenüber jenen, die täglich in dieser Grauzone zwischen Krieg und Frieden leben. Für die baltischen Staaten bedeutet das: Sie stehen nicht allein. Für Europa bedeutet es: Sicherheit beginnt an der Peripherie – und endet nicht an nationalen Grenzen. Denn Russland führt längst keinen Krieg mehr nur mit Waffen. Es ist ein Krieg um Köpfe und Vertrauen. Und in diesem Kampf entscheidet nicht die Größe der Armee, sondern die Stärke der Gesellschaft.
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