Russische Drohnen über Dänemark, ein verletzter Luftraum in Polen, Cyberangriffe auf europäische Infrastrukturen: Beim informellen EU-Gipfel in Kopenhagen ist deutlich geworden, wie nervös die Lage ist. Österreichs Kanzler Christian Stocker mahnt zur Wachsamkeit – und betont, dass Neutralität keine Passivität bedeuten darf.
Stocker (ÖVP) sprach vor Beginn der Beratungen von einer „Provokation, die sehr gefährlich ist“. Luftraumverletzungen seien „völlig inakzeptabel“. Der Verdacht, so Stocker, liege nahe, „dass Russland daran nicht unbeteiligt ist“.
Die Worte passen zu einem Gipfel, der von Sicherheitsfragen dominiert wird. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach von einer „Konfrontation mit Russland“, die dänische Premierministerin Mette Frederiksen vom „hybriden Krieg, der Europa erreicht hat“. In mehreren Staaten sind in den vergangenen Wochen Drohnen aufgetaucht, die Flughäfen lahmlegten oder militärische Einrichtungen ausspähten. Ungarns Regierungschef Viktor Orban hatte dafür einen simplen Vorschlag: „Schießt sie ab.“
Moskau bestreitet eine Beteiligung. Für viele europäische Regierungen sind die Vorfälle dennoch Teil eines bekannten Musters: Einschüchterung, Test der Reaktionsfähigkeit, das Ausloten der Grenzen westlicher Geduld.
Österreich wird Bundesheer „nachrüsten“
Stocker stellte jedenfalls klar, dass Österreich das Bundesheer „nachrüsten“ werde. Zwar betonte er, alles geschehe „am Boden der Neutralität“. Doch Neutralität verbiete nicht, sich an gemeinsamen Projekten zu beteiligen. Namentlich nannte Stocker die „Sky Shield“-Initiative, bei der europäische Staaten gemeinsam Luftabwehrsysteme beschaffen wollen.
Die Bedrohungslage ist unübersichtlich. Drohnen, Cyberattacken, manipulierte Migrationsströme, Sabotageakte gegen Unterseekabel und Pipelines – Europa erlebt eine Vielfalt von Angriffen, die unterhalb der Schwelle des offenen Krieges bleiben, aber sicherheitspolitisch dennoch gravierend sind. Europa befindet sich „nach der Meinung vieler bereits in einem hybriden Krieg, wir werden täglich im Cyberbereich angegriffen“.
„Keine Zeit für Angst oder Unruhe“
Es sei aber „nicht die Zeit, in Angst und Unruhe zu versetzen“: Es sei „nicht neu“, dass westliche Demokratien angegriffen werden und wurden, dies brauche eine „robuste Antwort“: Europa müsse „zeigen, dass wir bereit sind, uns zu verteidigen“, und nicht nur den Willen, sondern auch die Fähigkeit dazu habe.
Neben der Verteidigungsbereitschaft beschäftigt die Staats- und Regierungschefs eine zweite Frage: die Finanzierung der Ukraine-Hilfe. Die EU-Kommission schlägt vor, eingefrorene russische Vermögen für einen neuen Kredit in Höhe von 140 Milliarden Euro einzusetzen. Bisher dürfen nur die Zinserträge genutzt werden. Für Stocker ist das „eine Möglichkeit“, die Lücke zu füllen, die die USA hinterlassen könnten, sollte Washington seine Unterstützung für Kiew weiter zurückfahren. In den kommenden Monaten, so der Kanzler, müsse Europa „eine stärkere Rolle übernehmen“.
Heikle Debatte über russisches Vermögen in Europa
Die Debatte ist juristisch wie politisch heikel. Belgien und Luxemburg, in deren Finanzzentren viele der russischen Vermögen lagern, fürchten um die Glaubwürdigkeit des europäischen Finanzmarktes. Frankreich warnt vor Folgen für internationale Investoren. Andere, darunter die baltischen Staaten und Dänemark, drängen auf rasche Entscheidungen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen argumentiert: „Nicht nur europäische Steuerzahler sollen für die Unterstützung der Ukraine zahlen, sondern Russland soll zur Verantwortung gezogen werden.“
In Kopenhagen wurden zudem Vorschläge diskutiert, wie der ukrainische EU-Beitrittsprozess beschleunigt werden könnte. Ratspräsident António Costa brachte ins Spiel, einzelne Verhandlungskapitel mit Mehrheitsentscheidung zu öffnen, um die Blockaden des ungarischen Premiers Orbán zu umgehen. Orbán reagierte mit einem knappen „Keine Chance! Es gibt Regeln!“.
Die Spannungen zwischen Ost und West, Nord und Süd in der EU traten am Rande des Treffens klar hervor. Während die baltischen Staaten eine „Drohnenmauer“ an der Ostflanke fordern, warnen Italien und Griechenland, das südliche Mittelmeer nicht aus den Augen zu verlieren. Macron wiederum hält wenig von einer „Mauer“, er fordert eher Frühwarnsysteme und Fähigkeiten zum Gegenschlag.
In der Mitte dieser Gemengelage versucht Österreich seinen Platz zu finden: neutral, aber nicht passiv; eingebunden in europäische Projekte, ohne die eigenen Spielräume aufzugeben.
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