Mit einer großen Befragung unter Patienten und Medizinern hat die Ärztekammer die Stimmung in Wiens Gesundheitssystem ermittelt – neben bitteren Resultaten gibt es aber auch Ansätze, um die Entwicklung wieder umzudrehen.
Zum dritten Mal und nach fünfjähriger Pause hat sich Wiens Ärztekammer einen großen „Gesundheitsinfrastruktur-Report“ schreiben lassen, beruhend auf eigenen Zahlen sowie der Befragung von 1230 Ärzten und 1000 Wienern. Vergleiche mit der Vergangenheit zeigen, wie sehr die Unzufriedenheit mit der Gesundheitsversorgung in Wien gewachsen ist – bei Medizinern demnach allerdings weit mehr als bei Patienten. Aber auch die machen sich zu zwei Dritteln „Sorgen um die Gesundheitsversorgung in Wien“.
Zahlen offenbaren Grund für Unzufriedenheit
Die düstere Stimmung lässt sich mit Zahlen belegen: Im Jahr 2012 etwa verweigerte nur jeder sechste Kassen-Kinderarzt die Neuaufnahme von Patienten, heute mehr als die Hälfte. Bei den praktischen Ärzten war es damals jeder Zwölfte, heute jeder Dritte. Die Wartezeiten auf einen Ordinationstermin haben sich im selben Zeitraum vervielfacht (siehe Grafik unten) und liegen im fachärztlichen Bereich inzwischen im Durchschnitt bei rund einem Monat – wenn man nicht zum Wahlarzt geht.
In den letzten 15 Jahren hat die Zahl der Wahlärzte in Wien um 46 Prozent zugenommen, die der Kassenärzte aber um zwölf Prozent abgenommen. Man könne den Ärzten die Abkehr von der Kassenstelle nicht verdenken, sagt deren Vertreterin Naghme Kamaleyan-Schmid: Habe man als Kasssenarzt vor zehn Jahren statistisch gesehen noch 2200 Patienten zu betreuen gehabt, sind es heute 3100.
Wenn noch mehr Kollegen Wahlärzte werden, hat der Kassenarzt statt drei Minuten nur noch eine pro Patient.
Naghme Kamaleyan-Schmied, Obfrau der niedergelassenen Ärzte
Bild: Jöchl Martin
Die Arbeit in einer Kassenordination attraktiver zu machen, sei eine der „zentralen Aufgabe der Wiener Gesundheitspolitik“. Zuständig dafür ist freilich vor allem die Gesundheitskasse, mit der die Ärzteschaft um neue Tarife ringt und dabei auch nicht vor Streikdrohungen zurückscheut.
Geht’s Kassenärzten gut, geht’s auch Spitälern gut
Insgesamt 80 Prozent aller befragten Ärzte – inklusive jenen in Spitälern – sehen den größten Handlungsbedarf in Wien bei den Kassen-Ordinationen: Wäre die Lage hier besser, ließe sich auch die sinkende Zahl von Spitalsbetten verschmerzen, räumt Spitalsärzte-Vertreter Eduardo Maldonado-González ein: Behandlungen, die früher mehrtägige Spitalsaufenthalte nötig machten, können heute ambulant oder eben in Ordinationen absolviert werden – vorausgesetzt, es gibt genug davon.
Wir brauchen Lösungen, sonst werden wir beim nächsten Mal noch schlechtere Zahlen präsentieren.
Eduardo Maldonado-González, Obmann der angestellten Ärzte
Bild: Zwefo
Überhaupt sehen die Ärzte genug gute Ansätze im Wiener Gesundheitssystem, auf denen man aufbauen könne. „Die Patientenlenkung funktioniert: Sechs von zehn gehen bei Beschwerden zuerst zum Allgemeinmediziner“, meint etwa Kamaleyan-Schmied. Und Maldonado-González gibt seinerseits zu, dass es Probleme in Spitälern vor allem abseits der Akutmedizin gibt, die in Wien nach wie vor gut funktioniere.
Die Zufriedenheit ist auf einem Tiefststand. Ärzte und Patienten beklagen Ineffizienz, mangelnde Investitionen und das Fehlen einer Strategie.
Wiens Ärztekammer-Präsident Johannes Steinhart
Bild: SEPA Media
Um die Zufriedenheit mit dem Gesundheitssystem wieder zu steigern, fordern die Ärzte Investitionen, was in Zeiten von Sparpaketen schwer zu erreichen sein dürfte. Doch auch effizientere Strukturen und gemeinsame Strategien aller Beteiligten würden schon viel weiterbringen, sind die Mediziner überzeugt.
Die Ärzte bestreiten, dass sie bei ihrem Ruf nach einheitlichen Strategien Teil des Problems sind: Man brauche neun Länderkammern, die separat über Tarife verhandeln, da eine „Ordination in Tirol mit einer in Wien nicht vergleichbar“ sei.
Bewegung in Zwist um Gastpatienten
Zumindest beim Streitthema Gastpatienten geraten Dinge aber jetzt in Bewegung: Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) ist „erfreut“, dass beim Thema Gastpatienten „Gespräche in Fluss kommen“ – eine höfliche Umschreibung für das zornige Echo aus Niederösterreich und dem Burgenland, seit Patienten von dort bei planbaren Eingriffen schlechter gestellt werden als Wiener.
Tatsächlich führt aber Wiens harte Linie, kombiniert mit der Einladung zu Gesprächen über einen „Gesundheitsverbund Ostregion“ jetzt zu Bewegung in dem Konflikt. Zumindest Niederösterreich zeigt sich verhandlungsbereit. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) überlegt allerdings rechtliche Konsequenzen gegen Wien.
Die Ärztekammern von Niederösterreich und dem Burgenland sowie der niederösterreichische Patientenanwalt beklagen freilich in einem offenen Brief an Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Hacker, dass Wien den Streit auf dem Rücken der Patienten austrage und allfällige finanzielle Nachteile Mehrbelastungen durch Gastpatienten einklagen solle. Hacker reagierte ungerührt: Dass Wien 610 Millionen Euro für Patienten aus anderen Bundesländern aus eigenen Mitteln zahlen müsse, lasse sich jederzeit in offiziellen Dokumentationen nachlesen.
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