Kunstfehler durch gestresste Ärzte, allein gelassene Patienten durch zu wenig Pflegekräfte – und vor allem „enorme Wartezeiten“: Dafür macht Wiens Patientenanwalt Gerhard Jelinek den Personalmangel und damit die Politik verantwortlich, gerade auch abseits von Wien.
Zwei-Klassen-Medizin ist für Wiens Patientenanwalt Gerhard Jelinek längst Realität: „Enorme Wartezeiten“ und mehrmalige Verschiebungen bei Operationen und anderen Behandlungen ließen die Zahl von Wahlärzten, Zusatzversicherungen und anderen privat bezahlten Gesundheitsdienstleistungen explodieren, konstatiert Jelinek in seinem neuen Jahresbericht. Das sei ein „unwürdiger“ Zustand in einem solidarischen öffentlichen Gesundheitssystem.
Personalmangel als Wurzel allen Übels
„Hauptthema ist und bleibt der Personalmangel – das ist kein Ruhmesblatt für das System“, stellt Jelinek klar. Der sei auch bei den meisten anderen Beschwerden die Wurzel des Übels: Klagen über mangelnde Kommunikation mit Patienten, ratlos machendes Entlassungsmanagement, überfüllte oder Patienten abweisende Ordinationen und nicht zuletzt Kunstfehler seien vor allem auf die Überlastung von zu wenigen Pflegekräften und Ärzten, im niedergelassenen wie auch im Spitalsbereich, zurückzuführen.
In seinem Bericht listet Jelinek ein paar „Extremfälle“ für langes Warten im Spitalsbetrieb auf:
„Sollte uns das Geld ausgehen, reagiert die Politik vielleicht einmal“
Einzelne Kunstfehler-Fälle listet der Bericht seit heuer nicht mehr auf. Um das Interesse nicht „zu Unrecht“ auf Einzelfälle statt auf allgemeine Probleme zu lenken. Ohnehin sind aber Beschwerden über Behandlungsfehler merkbar zurückgegangen: Insgesamt waren es 880. Davon haben sich 452 als unbegründet erwiesen, 48 als begründet, und 366 sind noch in Verhandlung. Ausgezahlt wurde trotz geringerer Fallzahlen mehr Geld als im Vorjahr, nämlich 3,25 Millionen Euro.
Ich fürchte, der Leidensdruck bei den Patienten muss noch so groß werden, dass die Politik gar keine andere Wahl mehr haben wird als zu reagieren.
Patientenanwalt Gerhard Jelinek
Bild: HANS PUNZ
Fast eine Million der Entschädigungszahlungen kam aus dem Patientenentschädigungsfonds, der bei Fällen unklarer Verantwortung zum Tragen kommt und dessen Finanzierung seit über 20 Jahren nicht valorisiert wurde. Die beträchtliche Summe rechtfertigt Jelinek gerade damit, dass er seine Mitarbeiter ermutige, trotz versiegender Mittel ordentliche Wiedergutmachungszahlungen zu leisten: „Sollte uns das Geld ausgehen, reagiert die Politik vielleicht einmal.“
Mit 207 Meldungen führt das AKH unter Wiens öffentlichen Spitälern die Beschwerdestatistik an.
Bezieht man jedoch die Zahl der behandelten Patienten – mehr als doppelt so viel wie die Klinik Donaustadt als zweitgrößtes Spital – mit ein, ergibt sich eine andere Reihung: mit der Klinik Floridsdorf als Beschwerde-Höhepunkt, gefolgt von der Klinik Ottakring, der Klinik Penzing, der Klinik Donaustadt, der Klinik Landstraße, der Klinik Favoriten, dann dem AKH, und der Klinik Hietzing als städtischem Spital mit den wenigsten Beschwerden.
Dem Vergleich stellen sich allerdings nur die Wigev-Spitäler. Alle anderen Spitalsbetreiber, von Versicherungsträgern bis zu Ordensgemeinschaften, wollen ihre Zahlen nicht mit dem Patientenanwalt teilen.
Überhaupt ging Jelinek mit der Politik hart ins Gericht: Taktiererei, Tauziehen und Kräftemessen zwischen Bund und Ländern, einzelnen Bundesländern – Stichwort Gastpatienten – oder auch der ÖGK und der Ärztekammer geschähen allesamt nur auf dem Rücken einer Gruppe: der Patienten, deren Leidensdruck ständig steige.
Ich nehme die Anregungen des Patientenanwalts sehr ernst. Bei über fünf Millionen Behandlungen jährlich braucht es diese Anlaufstelle für die rund 1000 Beschwerden.
Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ)
Bild: APA/HELMUT FOHRINGER
ÖVP „alarmiert“, FPÖ fordert Hacker-Ablöse
„Alarmiert“ aufgrund des Berichts zeigte sich die Wiener ÖVP. Es sei an der Zeit für „echte Reformen“ im Wiener Gesundheitssystem, sagte Landesparteichef Markus Figl. Gesundheitssprecherin Ingrid Korosec mahnte, die „Schieflage“ müsse ein Ende finden: Ausbildungsstellen müssten vollständig besetzt werden, darüber hinaus brauche es flexible Arbeitszeitmodelle und ein modernes Datenmanagement.
Eine Personaloffensive forderte auch die FPÖ und meinte, Gesundheitsstadtrat Peter Hacker solle, wenn schon nicht auf andere, so zumindest auf seinen eigenen Patientenanwalt hören – und andernfalls den Hut nehmen.
Nur zwei Dinge haben sich laut Jelinek im letzten Jahr in Wiens Gesundheitslandschaft verbessert: Wartezeiten bei radiologischen Untersuchungen und die Gürtelrose-Impfung, „damit sind wir mit den guten Nachrichten auch schon wieder am Ende.“ Zugleich unterstreicht er: „Grundsätzlich“ sei die Qualität der Versorgung in Wien immer noch „in Ordnung“.
Vernichtende Kritik an AUVA-Chef
Jelinek bleibt in seinem 79-seitigen Bericht stets sachlich – außer wenn es um die Schließung des Böhler-Spitals durch AUVA-Geschäftsführer Alexander Bernart geht. Er wird als einzige (!) Person im ganzen Bericht namentlich vorgeführt und sein Vorgehen als „nicht annähernd so, wie das von einem professionellen Spitalsbetreiber zu erwarten gewesen wäre“, gebrandmarkt: Es habe in dem Fall an Zeitmanagement, Empathie, Transparenz und Ehrlichkeit gefehlt, so Jelinek, der auch Bernarts mangelnde Gesprächsbereitschaft publik macht. Dass die AUVA ihre Versprechen zum Böhler-Neubau einhalten werde, erscheine „aus heutiger Sicht zweifelhaft“.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.