Die europäische Migrationsorganisation ICMPD befürchtet wegen des Krieges zwischen Israel und dem Iran, wo derzeit eine Waffenruhe herrscht, eine massive Flüchtlingswelle. Michael Spindelegger weiß auch schon, wo die Geflüchteten in Europa erstmals auftauchen könnten.
„Russland weiß, wie man so etwas organisiert“, sagt der ÖVP-ehemalige Vizekanzler im Interview mit der APA. Daher würde es ihn nicht wundern, wenn viele Iraner an der belarussisch-polnischen Grenze auftauchen würden. Auch einen zeitlichen Horizont nennt Spindelegger: Weil der Entschluss zur Flucht erfahrungsgemäß mit drei bis sechs Monaten Verzögerung gefasst werde, könnte es gegen Jahresende so weit sein. „Es könnten Millionen sein“, erklärt er. Außerdem wäre wohl Europa ein bevorzugtes Ziel.
Der Expansionskurs der ICMPD
Der frühere Vizekanzler will in seinen letzten Amtsmonaten – wie berichtet, übernimmt mit Jahreswechsel die frühere Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) – noch Schritte zur Stärkung der Organisation setzen. So solle etwa Albanien „die letzten Hürden“ für einen Beitritt zur ICMPD nehmen. Unter der Ägide Spindeleggers hat sich die Zahl der Mitgliedsländer von 15 auf 21 erhöht, unter anderem traten die Türkei, Deutschland und Griechenland bei. „In der Pipeline“ sei auch ein Beitritt Spaniens.
Bei seinem Amtsantritt im Jahr 2015 sei ihm wichtig gewesen, „die ICMPD als die europäische Migrationsagentur zu etablieren“. Dies sei „großteils gelungen“. ICMPD sei heute nicht nur auf technischer Ebene ein Ansprechpartner, sondern auch auf politischer Ebene. Die Organisation berät ihre Mitgliedsstaaten und Partnerländer bei der Bewältigung von Migrationsströmen. Von Österreich und der Schweiz vor dem Hintergrund der Balkankriege in den 1990er Jahren gegründet, hat sie spätestens nach der Migrationskrise 2015/16 eine gesamteuropäische Dimension bekommen.
„Legitime“ Debatte über Menschenrechtskonvention
Zehn Jahre nach der großen Migrationskrise sieht Spindelegger durchaus Fortschritte im Umgang mit diesem die politischen Diskussionen in vielen Ländern dominierenden Problem. „Es geht schon viel weiter, aber das sind Details“, sagt er etwa mit Blick auf den im Vorjahr beschlossenen EU-Asyl- und Migrationspakt. Die Zahl der Migranten in Europa sei seit 2010 kontinuierlich gestiegen, und dies werde auch so bleiben.
Die Debatte über eine Änderung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die nach einem Brief von neun EU-Regierungschefs in Gang gekommen ist, sieht der 65-Jährige als „legitim“ an. Sinnvoller sei es aber, die bestehenden nationalen Gestaltungsmöglichkeiten besser zu nutzen, etwa durch Pilotversuche für Asylverfahren in Drittstaaten.
Visapolitik ist „ein ganz großes Problem“
Gefragt nach den erfolgversprechendsten Ansätzen im Kampf gegen irreguläre Migration sprach sich Spindelegger dafür aus, „dass man das große Bild denken muss“. „Die Europäische Union hat ein stärkeres Gewicht, wenn es darum geht, zu Vereinbarungen mit Drittländern zu kommen. Sie hat auch mehrere Möglichkeiten“, verwies er etwa auf die Handelspolitik und Investitionen. Ein „ganz großes Problem“ sei auch die Visapolitik, sagt Spindelegger mit Blick auf Statistiken, wonach ein Großteil der Asylanträge in Europa nach legalen Einreisen gestellt wird. Hier müsse man „bei jedem Land genau hinschauen, weil andere die Rechnung bezahlen“, betont er mit Blick auf die Sekundärmigration. Auch in diesem Bereich gebe es positive Beispiele, etwa den schlagartigen Rückgang von Asylzahlen in Europa, nachdem Serbien seine Visapolitik geändert hat.
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