Zwischen tiefen Zoten, brutalen Beats und lustlosen US-Rappern bewegte sich der zweite Tag des diesjährigen Frequency Festivals. Nina Chuba, Ikkimel und Scooter rissen die Hütte ab – und legten die Latte für die Acts vom Abschlusstag hoch.
Auch am zweiten Festivaltag ein ähnliches Bild wie am ersten - die Glieder hängen schlaff in der Traisen, das Dosenbier geht nur sehr schwer die Kehle runter und bei den ersten Acts auf Space und Green Stage herrscht zumeist Flaute, weil der brennende Asphalt nicht auszuhalten ist. Dabei erweist sich - wie so oft in der Historie dieses Festivals – die kleinere Green Stage als Bringer des Tages. Das beginnt schon mit den Australiern von Hilltop Hoods, die oft als Trio agieren, für die aktuelle Rutsche aber eine Bläsersektion und weibliche Stimmverstärkung mit an Bord haben.
Die beiden Rapper Suffa und Pressure toben wie tollwütige Katzen über die Bühne, um Songs wie „Don’t Happy, Be Worry“, „Rage Against The Fatigue“ oder „Cosby Sweater“ zum Besten zu geben. Sturzbäche an Schweiß rinnen dabei von den Leibern auf und vor der Bühne. „Wir sind solche heißen Gigs als Australier gewohnt“, lachen die beiden später im „Krone“-Gespräch, „15 Uhr, 35 Grad. Ist doch die perfekte Umgebung, um richtig in die Vollen zu gehen.“
Radikalfeministische Ansätze
Wahrscheinlich auch die perfekte Umgebung, um mit möglichst wenig Kleidung aufzutreten. Die seit geraumer Zeit schwer angesagte Berliner Rapperin Ikkimel entert die Bretter in einem Hauch von nichts und geht gleich in die Vollen. Ihr radikalfeministischer Ansatz der Marke „ich nehme mir was ich will, wann ich will und wie ich es will“ wird nicht in allen Kreisen goutiert, findet aber eine Anhängerschar, die mit jeder neuen Single und jedem neuen Auftritt zuzunehmen scheint.
Ihr aktuelles, im Februar veröffentlichtes Album heißt schlicht „Fotze“, der große Durchbruch gelang 2023 mit „Keta und Krawall“ und Textzeilen wie „Keta und Krawall, meine Nase ist wund /
Titten sind prall und mein Arsch ist rund“. Da zücken hunderte Handykameras beiderlei Geschlechts gleichzeitig in die Höhe. Währenddessen verteilen Männer in Hundemasken Wodka-Shots im Bühnengraben, Songs wie „Aszendent Bitch“, „Bikini Grell“ oder „Bling Bling“ ballern mit dicken Beats über das staubige Areal.
Gegen Ende des Sets nimmt sich Ikkimel erneut, was sie will und bittet einen Fan auf die Bühne. Der Irokesenhaar tragende Bastian lässt sich eine Pudelmaske aufsetzen und in einen Hundekäfig sperren, während die Rapperin lasziv um das chromgestählte Gestänge tänzelt und twerkt. Ihre inoffizielle Landeshymne „Deutschland“, im Original mit dem nächstjährigen Frequency-Headliner Ski Aggu eingesungen, lässt kaum Platz für Zweideutigkeiten. „Deutschland säuft krank, Westen oder Osten. Alle Atzen natzen, alle Fotzen rotzen.“ Derb? Ja. Frivol? Ja. Vulgär? Ja. Aber eben auch immens erfolgreich und in seiner hedonistisch-radikalen Partyausstrahlung genau die Art von leichtfüßigem und ungezwungenem Sound, der in den Schul- oder Studienferien richtig Stimmung macht. Oder um es in den Worten von Ikkimel zu sagen: „Treffpunkt ist das Unisex-Klo. Steck dir deine Uni in‘ Po, dumm fickt gut, ich bin dumm wie Stroh“.
Ein brutaler Umschwung
So viel testosteronhaltiges Radikalöstrogen muss man erst einmal verarbeiten. Während die Rapper auf der Green Stage für volle Flächen sorgen, plagen sich die Top-Stars auf der Hauptbühne mit leeren Publikumsflächen ab. Die Rocker von Palaye Royale haben in Österreich wahrscheinlich noch nie ein schwaches Set gespielt, sind aber mit ihrem Sound schlichtweg fehlbesetzt. Rapper und Kanye-West-Kumpel Ty Dolla $ign lässt bei seinem blutleeren Sound erst einmal eine gute halbe Stunde Samples vom Stapel, bis er sich schlussendlich doch erdreistet, für die sicher stattliche Auftrittsgage einen Hauch von Motivation zu vermitteln. Viel interessanter ist da schon der kuriose Umschwung auf der Green Stage. Von Ikkimel auf – Nomen est Omen – Zartmann innerhalb von 20 Minuten Umbauphase ist inhaltlich auch ein Spagat, wie man ihn wahrscheinlich nur beim Frequency kriegt. Es kann jeder selbst für sich entscheiden, was er davon hält.
Ein weiterer Publikumsliebling ist der bayrische Rapper Tream, der schon am Vortag mit Finch auf der Bühne stand und seinen anspruchslosen Après-Ski-Sound mittlerweile vor immer größer werdendem Publikum exerziert. Den bayrischen Lokalpatriotismus und seine gebetsmühlenartig in die Öffentlichkeit gestellte Meinung, er wäre ein klassisches „Dorfkind“, kommt gut an, aber musikalisch klingt das zumeist nach vergilbtem Ramschladen mit zerstörtem Interieur. Das ist den Fans freilich wuascht, denn nach der kurzen Zartmann-Sänfte geht es hier wieder voll auf die Zwölf. Auf der Space Stage zeigt der US-Faserschmeichler Shawn Mendes indes, dass er seine lange Depression überwunden hat und nun wieder bereit für die große Show ist. Mit Songs wie „Wonder“, „Treat You Better“ oder „Monster“ knallt er eine Vielzahl seiner größten Hits schon ganz früh über das Gelände. All jene, die vom derben Deutschrap langsam genug haben (auch UFO361 gab sich die Ehre), können sich von handgemachter Gitarrenmusik mit viel Sinn für Liebe, Verletzlichkeit und Mental Health mitreißen lassen. Ein Bub zum Umarmen, der keine Ecken und Kanten zu haben scheint und damit wirklich eine Art Safe Space bietet.
Gewinnerin des Abends
Der britische Grime-Rapper Central Cee ist bei seinem zweiten Frequency-Stelldichein gut eingespielt, hat aber keine Chance, gegen die deutsche Reggae-Pop-Queen Nina Chuba anzukommen. Schon bevor Mendes sein Set auf der Space Stage beendet, ist es ein paar hundert Meter weiter drüben knallvoll bei Nina Chuba – als dann auch noch die Mendes-Klientel auf Wanderschaft geht, gerät die Waage des Festivals endgültig in kräftige Schieflage. Mit ihrer opulenten Bühne, einer gut eingespielten Band samt Bläsern und Ska-Trompete und einem gewagten Outfit ist Chuba von Sekunde eins weg der größte Publikumsliebling des Tages. „Wer ist wieder da? Nina, Nina Nina“, tönt es von Anfang an aus abertausenden Kehlen, es folgen „Mangos mit Chili“, „Nicht allein“ oder „Nimm mich mit“, während sich Chuba bei ihren Fans bedankt und immer wieder naiv-humorige Einblicke in unglückliche Beziehungsgeschichten aus der Vergangenheit gibt. Beim Smash-Hit „Wildberry Lillet“ gibt es gar kein Halten mehr – Nina Chuba, definitiv die Queen des Tages.
Mit etwas Verspätung schließen die Techno-Könige Scooter den Mittelteil des Festivals mit einem gewohnt impulsiven Set ab. Frontmann H.P. Baxxter, frisch erblondet und wie ein Vampir jedem Alterungsfortschritt trotzend, lässt vor einem anfangs noch reservierten Publikum keine Zweifel, dass er sich der jüngeren Garde nicht geschlagen geben möchte. Mit Weisheiten wie „It’s nice to be important, but it’s more important to be nice“, Techno-Krachern der Marke „We Love Hardcore“, „How Much Is The Fish?“, „One (Always Hardcore)“ oder dem Beat-Brecher „God Save The Rave“ verwandelt er die Fläche vor der Space Stage in ein Techno-Schlachtfeld.
Dazwischen tanzen freizügige Tänzerinnen mit Feuerbögen über die Bühne, fahren Knallkörper aus dem Boden und übersetzen Scooter lyrische Meisterwerke wie „yeah yeah yee ah“, geschrieben auf der Videowall. Im Wavebreaker bilden sich Moshpits, wildes Tanzen durchdringt die hinteren Reihen und einzelne schwerst Illuminierte finden wie durch ein achtes Weltwunder für kurze Zeit ihr verloren geglaubtes Gleichgewicht wieder. Techno is back – auch an einem dezidierten Hip-Hop-Tag. Abgeschlossen wird das diesjährige Frequency heute von Will Smith, Tommy Cash, Bibiza und dem Electro-Kollektiv Brutalismus 3000.
Kommentare
Willkommen in unserer Community! Eingehende Beiträge werden geprüft und anschließend veröffentlicht. Bitte achten Sie auf Einhaltung unserer Netiquette und AGB. Für ausführliche Diskussionen steht Ihnen ebenso das krone.at-Forum zur Verfügung. Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.
User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.