Würdelos oder Taktik?

Der Moment, als der NATO-Chef Trump „Daddy“ nannte

Außenpolitik
26.06.2025 11:29

Was wird von diesem NATO-Gipfel in Den Haag übrig bleiben? Ins Gedächtnis brennt sich speziell das Schauspiel um Donald Trump, für dessen Wohlgefallen sich NATO-Chef Mark Rutte persönlich erniedrigte. Das Gipfeltreffen gibt einen Vorgeschmack darauf, was offenbar nötig scheint, um die USA als Partner zu halten. Die Nacherzählung einer Schleimspur.

Wenn Trump dieser Tage sein Kabinett im Weißen Haus zusammenruft, lässt er häufig die Kameras mitlaufen. Bei den Treffen hört er sich von seinen Ministern an, was er ohnehin längst weiß: Er ist eine ziemlich große Nummer! Die Regierungsmitglieder nutzen dabei ihre Redezeit, um ihm bemerkenswerte Führungsqualitäten zu attestieren – und Errungenschaften anzudichten, die fernab jeglicher Realität sind.

So erklärte seine Justizministerin Pam Bondi jüngst, dass Trump durch „seinen Kampf“ gegen die Droge Fentanyl innerhalb seiner ersten 100 Tage im Amt 258 Millionen Leben gerettet habe. Also etwa 75 Prozent der amerikanischen Bevölkerung. Einen Tag zuvor waren es übrigens noch 119 Millionen, was freilich auch nicht belegbar war.

Mark Rutte, der fleißige Student
Doch Trump will keine Fakten, sondern „gutes Fernsehen“, wie er selbst immer betont. Einer dürfte seine Geltungssucht besonders fleißig studiert haben: NATO-Chef Mark Rutte. Der Niederländer richtete sein Gipfeltreffen in Den Haag so aus, um das Verlangen des US-Präsidenten zu befriedigen. Dafür war er willens, etwas Kostbares zu veräußern: seine Würde.

Um Trump nicht zu langweilen, kürzte er das Treffen bereits im Vorfeld auf wenige Stunden zusammen. Als Trump in der Air Force One Richtung Europa jettete, startete Rutte eine außergewöhnliche Charmeoffensive. In einer privaten Nachricht gratulierte er dem „Commander-in-Chief“ zum Angriff gegen das iranische Regime. Darin ließ er den Republikaner wissen: „Du fliegst gerade zu einem weiteren großen Erfolg.“ 

In seiner Mitteilung übernahm er sogar den Duktus des US-Präsidenten – Großbuchstaben inklusive: „Donald, DU hast uns zu einem wirklich sehr wichtigen Moment für Amerika, Europa und die Welt geführt. Du wirst etwas erreichen, was KEIN amerikanischer Präsident in den letzten Jahrzehnten zustande gebracht hat“, schrieb Rutte. „Europa wird künftig GROSS bezahlen (gemeint: Verteidigungsausgaben), und das sollte es auch, und es wird Dein Sieg sein. Gute Reise und wir sehen uns beim Dinner Seiner Majestät!“

„Daddy“ Donald im Königshaus
Trump fühlte sich offenbar geschmeichelt und veröffentlichte Screenshots der Nachricht auf seiner Plattform Truth Social. Es soll ja auch die Welt wissen, wie toll ihn Rutte findet. In Den Haag angekommen, durfte er als einziger Staatsgast im Königspalais Huis ten Bosch übernachten. Am Mittwochmorgen frühstückte er mit König Willem-Alexander und Königin Máxima. „Der König und die Königin sind wunderschöne und spektakuläre Menschen. Unser Frühstückstreffen war großartig!“, lobte er seine Gastgeber.

Was ein triumphaler Trip auf ganzer Linie werden sollte, wurde in Den Haag allerdings immer wieder von Fragen nach der Effektivität seines Kriegseintritts im Nahen Osten gestört. Ein US-Geheimdienst säte Zweifel daran, ob Trump mit seiner Operation „Mitternachtshammer“ das iranische Atomprogramm tatsächlich auslöschen konnte, wie er wiederholt propagierte.

Trump ärgerte das sichtlich. Neben einem lächelnden Rutte bezeichnete er anwesende Medienvertreter als „Abschaum“. In seinen Ausführungen über den Konflikt zwischen Israel und dem Iran verlor er immer wieder den Faden, doch der NATO-Chef war auch hier zur Stelle. Wenn sich zwei streiten, müsse „Daddy“ (Papa) eben manchmal zu harschen Worten greifen. Für viele Beobachter wurde spätestens mit dieser Aussage das Ende der seriösen Diplomatie eingeleitet, wie wir sie kennen.

Trump wurde in einer Pressekonferenz zum Abschluss des Speeddating-Gipfels nach seinem neuen Spitznamen gefragt. Er schien ihm zu gefallen, während sich sein Außenminister, Marco Rubio, im Hintergrund vor Lachen krümmte. „Ich glaube, er mag mich“, grinste er über Rutte. „Wenn nicht, lasse ich Sie es wissen. Dann komme ich zurück und haue ihn hart, okay? Er sagte es sehr liebevoll: ,Daddy, du bist mein Daddy!‘“

NATO in der Identitätskrise
Auch wenn es manchmal wehtat, hat der NATO-Chef mit seinem unterwürfigen Verhalten wenigstens erreicht, dass der Gipfel ohne Eklat endete. Trump konnte er so die Zustimmung zu einer gemeinsamen Abschlusserklärung entlocken, die ohnehin stark verwässert wurde. Darin wird die Beistandsklausel als „unverrückbar“ bezeichnet. Die Identität der NATO verkam damit zwar zum Minimalkompromiss, die Erklärung wurde aber trotzdem als Erfolg gefeiert. 

Quasi nebenbei wurde ein historisches Aufrüstungsprogramm beschlossen. Ebenfalls, um „Daddy“ Trump im Bündnis zu halten. Wichtige Themen wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine fanden hingegen kaum Erwähnung.

Rutte selbst hat sein Verhalten während des Gipfels mittlerweile als „Geschmackssache“ beschrieben. Für seinen „Daddy“-Sager hatte er eine etwas umständliche Erklärung parat: „In Europa höre ich manchmal, dass Länder sagen: ,Hey, Mark, werden die USA bei uns bleiben?‘ Und ich sagte, das klingt ein bisschen so, als würde ein kleines Kind seinen Papa fragen: ,Hey, bleibst du noch bei der Familie?‘ In diesem Sinne verwende ich also ,Daddy‘, nicht, dass ich Präsident Trump ,Daddy‘ nennen würde.“

Ah ja! Am Mittwochabend um 17.58 Uhr war Trumps Präsidentenjet wieder in der Luft Richtung Washington. Zu diesem Zeitpunkt hatte er seinen neuen Spitznamen vollends verinnerlicht. Sein Social-Media-Team veröffentlichte in der Nacht auf Donnerstag eine Rückschau auf den 24-Stunden-Trip nach Den Haag. Das Motto des Videos: „Daddy‘s home!“ 

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