Jetzt ist es offiziell: Künftig wird innerhalb der NATO ordentlich aufgerüstet. Bis zum Jahr 2035 sollen mindestens fünf Prozent des BIP in Verteidigungsmaßnahmen fließen. Dabei darf jedoch ein bisschen geschummelt werden ...
Wörtlich steht in der gemeinsamen Gipfelerklärung von Den Haag: „Angesichts der tief greifenden Sicherheitsbedrohungen und Herausforderungen, insbesondere der langfristigen Bedrohung der euro-atlantischen Sicherheit durch Russland und der anhaltenden Bedrohung durch den Terrorismus, verpflichten sich die Bündnispartner, bis 2035 jährlich fünf Prozent des BIP in die wichtigsten Verteidigungserfordernisse sowie in verteidigungs- und sicherheitsrelevante Ausgaben zu investieren.“
Damit folgen die Mitgliederstaaten der Vorgabe von US-Präsident Donald Trump, der sich für die „gewaltige“ Erhöhung aussprach. Schließlich konnten sich die Staatenführer auf einen Kompromiss einigen, der von NATO-Chef Mark Rutte ins Feld geführt wurde – und eine Hintertür offen hält.
Es darf getrickst werden
Die Quote wird künftig zweigeteilt. 3,5 Prozent des BIP werden in traditionelle Aufrüstung (militärisches Gerät) fließen. Bei den restlichen 1,5 Prozent dürfen auch Investitionen angerechnet werden, die nur entfernt mit dem Verteidigungssektor zu tun haben. Hier wird immer wieder das Beispiel Infrastruktur genannt. Das könnten etwa Investitionen in Bahnstrecken, panzertaugliche Brücken und erweiterte Häfen sein. Im Jahr 2029 werde die Maßnahme erstmals evaluiert.
Die gesamte Erklärung zum Nachlesen:
In Zeiten eines US-Präsidenten Trump muss zudem erwähnt werden, dass sich die Teilnehmer auf eine gemeinsame Verständigung des Beistandsartikel 5 einigen konnten. Der Republikaner ließ seine Verbündeten in den vergangenen Tagen im Unklaren, ob die USA ein NATO-Mitglied im Falle eines Angriffes verteidigen würden.
„Wir bekräftigen unser unumstößliches Bekenntnis zur kollektiven Verteidigung, wie es in Artikel 5 des Washingtoner Vertrags verankert ist – dass ein Angriff auf einen ein Angriff auf alle ist. Wir bleiben geeint und unerschütterlich in unserer Entschlossenheit, unsere eine Milliarde Bürger zu schützen, das Bündnis zu verteidigen und unsere Freiheit und Demokratie zu bewahren“, heißt es nun in der gemeinsamen Erklärung.
Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz sprach in Den Haag von einem „historischen“ Gipfel und betonte, dass Deutschland seine Verteidigungsausgaben nicht für Trump, sondern wegen der aktuellen Gefahrenlage erhöhe. „Russland bedroht nicht nur die Ukraine, Russland bedroht den gesamten Frieden, die gesamte politische Ordnung unseres Kontinents“, sagte er.
Rutte schmeichelt Trump
NATO-Generalsekretär Rutte räumte allerdings ein, dass eine solche Erhöhung der NATO-Zielvorgabe ohne den Druck von Trump nicht zustande gekommen wäre. Dieser erreiche etwas, was „kein amerikanischer Präsident seit Jahrzehnten geschafft“ hätte, lobte er den Republikaner überschwänglich.
Dass Trump die neue Zielvorgabe vor allem mit Hilfe des Drohszenarios erreichte, dass sich die USA unter seiner Führung aus der NATO zurückziehen könnten, wenn die Bündnispartner nicht liefern, ließ Rutte unkommentiert. Der Niederländer weiß wie alle anderen Alliierten, dass die Abschreckung der NATO maßgeblich auf den militärischen Fähigkeiten der USA basiert und ein US-Ausstieg das Aus für das Bündnis bedeuten könnte.
Selenskyj im Abseits
Dass der Zusammenhalt des Bündnisses Grenzen hat, zeigte sich beim Thema Ukraine-Krieg. Fast alle Europäer in der NATO stehen fest an der Seite der Ukraine und wollen den Druck auf Russland erhöhen. Trump will nicht so klar Partei ergreifen und meint, dass Sanktionen der eigenen Wirtschaft schaden. Seine Konversationen mit Russen-Diktator Wladimir Putin seien „sehr nett“ gewesen, ließ er in Den Haag mitteilen.
Eine eigene Arbeitssitzung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gab es beim Gipfel anders als in den vergangenen Jahren nicht. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der als Gast dabei war, hatte diesmal nur eine Nebenrolle. In der Gipfelerklärung beschränkt sich die Solidarität mit der Ukraine auf den vagen Satz: „Die Verbündeten bekräftigen ihre dauerhaften einzelstaatlichen Zusagen zur Unterstützung der Ukraine, deren Sicherheit zu unserer Sicherheit beiträgt.“
Als kleinen Erfolg kann Selenskyj verbuchen, dass schriftlich festgehalten wurde, dass NATO-Staaten sich die militärische Unterstützung für sein Land auf ihre Verteidigungsausgaben anrechnen lassen können. Das wurde zuletzt auch schon so gehandhabt, die Ukraine befürchtete allerdings, dass sich das wegen der Politik Trumps ändern könnte.
Im vergangenen Jahr hatte die NATO der Ukraine noch eine Hilfszusage im Umfang von 40 Milliarden Euro gegeben und versprochen, sie auf dem „unumkehrbaren Weg“ zur NATO-Mitgliedschaft zu unterstützen. Letztere Formulierung, die für die Ukraine extrem wichtig ist, ist nun ersatzlos entfallen.
Aufregung wegen Abweichlern
Sorgen, dass Gipfelteilnehmer wie Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez oder der slowakische Ministerpräsident Robert Fico, den Gipfel doch noch in einem Debakel enden lassen könnten, bewahrheiteten sich nicht.
Beide hatten ungeachtet der Zustimmung ihres Landes zur Abschlusserklärung kundgetan, sich dem neuen Ziel für die Verteidigungsausgaben nicht verpflichtet zu fühlen.
Rutte hatte sich beim Gipfel mit allen Kräften darum bemüht, dies nicht zu einem großen Thema für Trump werden zu lassen. In einem persönlichen Willkommensgruß an den Republikaner schrieb er, man habe „alle dazu gebracht, die 5-Prozent-Zusage zu unterzeichnen“. Und mit Blick auf den Druck, den Trump bei diesem Thema gemacht hatte, ergänzte er: „Du wirst etwas erreichen, was kein amerikanischer Präsident seit Jahrzehnten geschafft hat.“
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