Ungewisse Zukunft

Historische Blamage erschüttert die FDP

Ausland
23.09.2013 12:11
Als ob irgendjemand in der FDP schon selbst Zweifel am Slogan gehabt hätte: Nicht weniger als zwölf Mal prangte der Wahlkampfspruch "Nur mit uns" auf der Bühne des Congress Centers am Berliner Alexanderplatz, wo die Liberalen am Sonntagabend nach der Bundestagswahl feiern wollten. Die Wähler sahen das jedoch anders - im Sinne von "Nicht mit denen". Der Urnengang wurde für die einst so stolze Partei zur historischen Blamage. Parteichef Philipp Rösler kündigte am Montag seinen Rücktritt an. Nun ruhen die letzten Hoffnungen auf dem 34-jährigen Parteivize Christian Lindner (Bild unten).

Bei den ersten Prognosen im Fernsehen, in denen die FDP nur noch auf 4,5 beziehungsweise 4,7 Prozent kam, gab es im Saal ein leises, langgezogenes "Oooh" - wie bei einem Schlag in die Magengrube. Zur Grabesstimmung passte, dass der Ton der TV-Übertragung abgeschaltet blieb. Die FDP-Spitze um Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle verfolgte die Schockzahlen, die sich dann in den Hochrechnungen bestätigten, in einem Raum im Untergeschoß.

Rösler: "Die bitterste, die traurigste Stunde"
Gegen 18.45 Uhr kamen beide schließlich ans Rednerpult. "Das ist eine schwere Stunde für die FDP. Als Spitzenkandidat übernehme ich dafür Verantwortung", sagte Fraktionschef Brüderle. Hinter ihm auf der Bühne standen viele Minister sowie Rösler mit seiner Frau Wiebke. Der Vizekanzler sagte: "Es ist die bitterste, die traurigste Stunde in der Geschichte der Freien Demokratischen Partei." Brüderle und Rösler werden beim Neuaufbau der FDP keine Rolle mehr spielen. Noch am Montag kündigte Rösler seinen Rücktritt vom Posten des Parteichefs an.

Mit dem Endergebnis von 4,8 Prozent sind die Liberalen zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik nicht mehr im Bundestag. Dass eine Regierungspartei direkt aus dem Parlament fliegt, gab es nur einmal, vor über 50 Jahren. Noch größer wäre die FDP-Schmach gewesen, wenn ausgerechnet die erstmals angetretene Anti-Euro-Partei Alternative für Deutschland die liberale Europapartei ersetzt hätte, wonach es einige Zeit lang ausgesehen hatte, was nun aber doch nicht der Fall ist.

Wie konnte es so weit kommen mit der Partei von Theodor Heuss, Thomas Dehler, Walter Scheel, Karl-Hermann Flach und Hans-Dietrich Genscher? Es dürfte an einer Mischung aus Selbstüberschätzung, fehlender Courage und Panik gelegen haben. Letztere griff nach dem 3,3-Prozent-Desaster in Bayern um sich. "Jetzt geht's ums Ganze", klebte die FDP danach auf ihre Plakate. Die alte Masche eben, jahrzehntelang erfolgreich. Mehr kam aber nicht.

Auch das Betteln um Zweitstimmen zog nicht
Brüderle und Rösler bettelten um Zweitstimmen von Unionswählern. Dabei hatte der FDP-Chef vor zwei Jahren bei seinem Amtsantritt noch geschworen, seine Partei wolle sich nie wieder zum Stimmvieh erniedrigen. Die Zweitstimmen-Kampagne verpuffte, auch weil die Union gnadenlos dagegen hielt. Die FDP dachte, ein "Angst-Wahlkampf" gegen rot-grüne Steuererhöhungen und die fleischlosen Kantinentage der Grünen reiche locker für ein gutes Ergebnis.

Wo waren leidenschaftliche Appelle der Bürgerrechtspartei FDP in der NSA-Geheimdienstaffäre, wo war der Verweis auf ihre moderne Gesellschaftspolitik bei Homo-Ehen im eigenen Programm? Am frühen Abend wollten aber noch nicht alle Liberalen die Hoffnung fahren lassen. Vielleicht würden ja noch Briefwählerstimmen die Partei auf fünf Prozent hieven. Dann würde es womöglich sogar für Schwarz-Gelb mit einer bärenstarken Union reichen. Doch die Chancen sanken von Hochrechnung zu Hochrechnung und verpufften schließlich vollends.

Nun dürfte Brüderles politische Karriere mit 68 Jahren zu Ende sein. Auch Rösler, der zumindest bis 45 in der Politik bleiben wollte, ist wohl mit 40 ebenfalls am Ende. Wie geht es jetzt weiter? Der Verlust einer finanziell gut ausgestatteten Bundestagsfraktion trifft die klamme Partei hart. Die Landesverbände müssen nun dafür sorgen, dass die FDP nicht völlig von der politischen Bildfläche verschwindet.

34-jähriger Lindner soll Karren aus Dreck ziehen
Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf Christian Lindner. Der Ex-Generalsekretär, nunmehrige Parteivize und nordrhein-westfaelische FDP-Vorsitzende brachte im Vorjahr die Liberalen bei der NRW-Wahl von zwei Prozent in den Umfragen mit 8,6 Prozent in den Landtag. In Düsseldorf dürfte künftig das neue Zentrum einer FDP in der außerparlamentarischen Opposition liegen.

Lindner zeigte sich am Abend als erster der FDP-Promis: "Wir haben offensichtlich die Erwartungen nicht erfüllt. Auch im Stil hat die FDP nicht überzeugt." Die Partei müsse sich jetzt grundsätzliche Gedanken machen. "Die Situation ist sehr ernst. Deutschland braucht eine liberale Partei, wie sie die FDP traditionell einmal war." Auf den 34-Jährigen wartet eine schwere Aufgabe.

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
explore
Neue "Stories" entdecken
Beta
Loading
Kommentare

Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.

Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.

Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.

Kostenlose Spiele