Der scheidende EU-Kommissionsvertreter in Wien, Martin Selmayr, zieht gemeinsam mit der „Krone“ Bilanz über seine mehr als vierjährige Tätigkeit in Österreichs Hauptstadt. Und warum er optimistisch in die Zukunft der EU blickt.
Vier Jahre und drei Monate in Österreich haben beim gebürtigen Deutschen Martin Selmayr Spuren hinterlassen. „Kürzlich hielt ich eine Vorlesung an der Uni Passau“, erzählt der scheidende Vertreter der EU-Kommission in Wien der „Krone“, „und ich wurde darauf angesprochen, dass ich viele Austriazismen verwende“. Welcher sein liebster ist? Das kleine Wort „Eh“, sagte Selmayr. Weil es viele Schattierungen hat und „einfach alles bedeuten kann.“ Oder „ich kenn’ mich aus“. Selmayr: „Das kann tatsächlich heißen: Ich habe verstanden. Oder: lass mich in Ruhe.“ Selmayr bereiste Österreich per Rad, Zug und zu Fuß. „So lernt man das Land ganz anders kennen.“
Heute widmet sich Selmayr aber noch dem Ukraine-Gipfel in Brüssel. 50 Milliarden Euro will die EU für die Ukraine locker machen. Nicht als militärische Hilfe, sondern für Renten, Krankenschwestern oder Lehrer. „Die Bevölkerung leidet unter den Angriffen Russlands, aber sie hält durch. Und ich glaube, es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, moralisch, aber auch politisch, dass wir die Ukraine in diesem Verteidigungskampf so stark wie möglich unterstützen“, sagt Selmayr, der dem heutigen Gipfel ähnliche Priorität zukommen lässt, wie jenem im Dezember, als man für die Ukraine eine konkrete Beitrittsperspektive beschlossen hat.
Ein positives Signal für den Kommissionsvertreter: Insgesamt bitten aktuell zehn Länder um die Aufnahme in die EU. „Die Erweiterung, wenn sie richtig gemacht wird, hat und die EU immer stärker gemacht“, sagt Selmayr.
Keine Angst vor Orban
Als Zankapfel gilt in diesen Fragen noch immer Ungarns Autokrat Viktor Orban. Es wird befürchtet, dass er erneut einen Erpressungsversuch starten werde. Orban machte seine Zustimmung zum 50 Milliarden Euro schweren Hilfspaket von der Freigabe Brüssels von Fördergeldern für Ungarn abhängig. Die EU hat bislang Milliarden dieser Gelder für das Land aufgrund mangelhafter Rechtsstaatlichkeit gesperrt. Selmayr teilt diese Sorge nicht: „Viktor Orban ist ein schlauer Regierungschef. Ich bin mir sicher, wir werden diese Woche eine Lösung finden, an der sich alle Mitgliedsstaaten beteiligen.“
Österreich bleibt Selmayr noch bis zum Herbst erhalten. Als Gastprofessor an der juristischen Fakultät. Dann wird es ihn in eine andere europäische Hauptstadt verschlagen. Aber: „Ich werde Österreich immer als Teil meiner Heimat ansehen.“
Kommentare
Da dieser Artikel älter als 18 Monate ist, ist zum jetzigen Zeitpunkt kein Kommentieren mehr möglich.
Wir laden Sie ein, bei einer aktuelleren themenrelevanten Story mitzudiskutieren: Themenübersicht.
Bei Fragen können Sie sich gern an das Community-Team per Mail an forum@krone.at wenden.