Altes Handwerk

Eintauchen in einen Kosmos voller Farben

Vorarlberg
19.12.2021 17:25

In seiner Serie „Die Letzten“ porträtiert Autor Robert Schneider Menschen, die einem alten Handwerk nachgehen. Jüngst hat er die Bleiverglaserin Elisabeth Fischnaller besucht.

Wer einmal im Abendlicht die monumentale Rosette mit den fünf darunterliegenden Spitzbogenfenstern in der Kathedrale von Chartre gesehen hat, bekommt eine Ahnung davon, dass das Mittelalter nicht dunkel gewesen sein kann, sondern in schreienden Farben geleuchtet haben muss. Auf über 2600 m2 und hunderttausenden von kleinen Glasscheiben haben die Glasmaler und Bleiverglaser jener Zeit eine Erklärung der Welt versucht und einen Kosmos aus Licht geschaffen, der einen sprachlos macht.

Elisabeth Fischnaller von der Glaserei Bildstein in Lauterach ist noch eine der wenigen aus dieser Zunft, die die Bleiverglasung sowie die Glasmalerei in Hohl- und Flachglas gelernt hat. In der Glasfachschule in Kramsach in Tirol hat sie ihre Ausbildung absolviert. Ich besuche Frau Fischnaller in der väterlichen Glaserei, wo sich auf einem offenen Zwischenstock ihr Atelier befindet, der Glastisch, die überbordende Sammlung alter Glasscheiben, Arbeitsutensilien wie Scheren, Messer, Bleistege und ein Objekt, das sie gerade restauriert.

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Viele Leute entdecken wieder die Vergangenheit und lernen sie schätzen.

Elisabeth Fischnaller

Altes bewahren
„Die Bleiverglasung ist eine Zeit lang aus der Mode gekommen“, erzählt sie. „Früher war sie noch sehr oft anzutreffen. In rustikalen Wohnzimmern etwa oder an den Eingangstüren. Der Geschmack hat sich geändert, und man ist dazu übergegangen, das Glas sandzustrahlen. Aber viele Leute entdecken wieder die Vergangenheit und lernen sie schätzen. Meine Arbeit besteht heute hauptsächlich in der Restauration alter Objekte, wie etwa dieses bleiverglaste Motiv aus der Jugendstilzeit.“ Behutsam hebt sie ein Scheiben-Fragment mit grünen Glasblumen hoch, wo sie gerade die Bleinut ausbessert und das eine oder andere zerbrochene Glas ersetzt. „Darum sammle ich auch so viele Glasscheiben unterschiedlichster Machart und Oberflächenstruktur, weil die alten, noch gezogenen, also mundgeblasenen Gläser nicht mehr zu bekommen sind.“

„Es gibt grundlegend zwei Techniken der Glasmalerei“, fährt Elisabeth fort. „Auf farbiges Glas wird die Zeichnung mittels Schwarzlot aufgetragen, das ist eine spezielle Schmelzfarbe, die dann bei einer Temperatur von 640 Grad in das Material eingebrannt wird. Farblose oder einfärbige Gläser werden mit Schmelzfarben bemalt, die beim Brennen dann die gewünschte Farbgebung entwickeln. Es gibt auch die Möglichkeit, Überfanggläser durch Gravieren, Ätzen oder Sandstrahlen zu bearbeiten. Überfanggläser bestehen aus zwei oder mehreren Schichten unterschiedlicher Färbung.“

An einem anderen Werkstück zeigt mir Elisabeth, wie man die einzelnen Glasscheiben mit Bleistegen fasst. Der Steg wird mit einem sogenannten Aufreiber aufgeraut, dann mit dem Bleimesser auf die gewünschte Länge geschnitten und an die Scheibe angeschmiegt. Die Anschlussstellen werden schließlich mit Zinn und Lötkolben verlötet. So entsteht nach und nach das Glasfenster. Am meisten Spaß gemacht habe ihr die Zusammenarbeit mit dem Architekten Häusle aus Rankweil. Das sei Vergnügen, aber auch Herausforderung gewesen, weil er so unkonventionelle und auch moderne Ideen mit einbrachte. Hauptberuflich arbeitet Elisabeth Fischnaller jedoch nicht mehr als Bleiverglaserin, sondern bei der Lebenshilfe Vorarlberg, wo sie Menschen im kreativ-künstlerischen Bereich begleitet. Eine Arbeit, bei der sie viel Freude und Begeisterung der Teilnehmenden erfährt und auch etwas von der Faszination im Arbeiten mit Glas weitergeben kann.

Die Magie des Hl. Urban
Mein Blick fällt auf ein bleiverglastes Fenster, das abseits in der Werkstatt steht. Fast stiefmütterlich behandelt lehnt es an der Wand. Aber das Fenster zieht mich irgendwie an. Ich betrachte es genauer. Es stellt den Hl. Urban mit einer Weintraube dar, dem Attribut des Heiligen. Er ist bekanntlich der Schutzpatron der Winzer und aller, die etwas zu tief ins Weinglas geleuchtet haben. Auf den ersten Blick wirkt das Bildnis wie ein ganz gewöhnliches Kirchenfenster. Bis ich nach und nach den wunderbaren Charme in der Zeichnung mit Schwarzlot entdecke. Das Gesicht des Heiligen hat fast etwas vom Kleinen Prinzen. Ganz unschuldig schaut er mich an. Die wunderbaren Rottöne, die von Blutrot bis Orange changieren, geben dem Fenster eine warme Lebendigkeit.

Ob Elisabeth das Fenster auf den Leuchttisch legen könne, frage ich. Ich möchte es noch genauer studieren. Als sie den Leuchttisch anknipst, jubeln die Farben des Fensters erst richtig auf. Elisabeth erzählt, dass es sich bei dem Objekt um eine Art Gesellenstück handle. Das sei schon so lange her. Sie wisse gar nicht mehr, wann sie es gemacht habe. Ob es verkäuflich sei, frage ich weiter. Sie überlegt lange und sagt dann: „Das ist schon so alt, da kann ich nur den Materialwert berechnen.“

Ich kaufe das Bild, weil mich das kecke Lächeln des so unschuldig dreinblickenden Urban nicht mehr loslässt, und auch deswegen, weil Elisabeth Fischnaller ihre Kunst und ihr Können so bescheiden zurückhält.

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