Leben in Parallelwelt

Große Skepsis vor der Wissenschaft in Österreich

Coronavirus
08.12.2021 06:00

Aktuelle Studien bescheinigen Österreich eine enorme Skepsis und teils Ablehnung von Forschung und Technik. Doch woran liegt das? Experten analysieren und sagen: Es hat auch historische Gründe.

August 1807. Bayern führt die weltweit erste Impfpflicht ein. Gegen Pocken. Verweigerern drohen saftige Strafen. Strenge Katholiken revoltieren - es sei wider Gottes Wille. Einer davon ist Andreas Hofer. Sein Abwehrkampf mit den Tiroler Schützen gegen die Bayern und deren verbündeten Franzosen unter Napoleon ist legendär und macht ihn zum Volkshelden.

Heute ist in Österreich die Skepsis gegen das Impfen noch immer groß. „Offenbar haben wir uns von Hofer da noch nicht gelöst“, sagt Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission. Generell ist die Skepsis gegenüber der Wissenschaft groß. „Das hat sicher historische Wurzeln. Auch die Vermengung von rechtslastigem Gedankengut und Homöopathie oder Alternativmedizin hat Tradition“, sagt Komplexitätsforscher Peter Klimek. Im Gesundheitssystem gebe es ein strukturelles Problem mit der Neigung zu Esoterik oder Energetik, was sich dann bei Episoden wie dem Energiering um das KH Nord widerspiegele.

Studien dokumentieren Alarmierendes. Ein Beispiel: Ist Interesse an Wissenschaft bei Jungen wichtig für künftigen Wohlstand? Nur 27 Prozent stimmen dem „sehr“ zu. Platz 27 von 27 in der EU (siehe auch Storyende). „Wir haben Nachholbedarf, wenn es darum geht, evidenzbasiert, also faktenbasiert, Entscheidungen zu treffen“, sagt Forscher Klimek. Dies zeige etwa, dass bei neuen Technologien Risiken stärker als der Nutzen im Fokus stehen.

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Länder, die der Wissenschaft vertrauen, kommen besser durch die Pandemie.

Peter Klimek, Komplexitätsforscher

Die Schattenseiten und die Mangelerscheinungen
„Das Ganze entlädt sich auch beim Datenthema. Länder aus Südostasien haben in der Pandemie die Lage oft viel besser unter Kontrolle, da sie auf logistische und digitalisierte Maßnahmen zurückgreifen konnten.“ Dazu zählen Überprüfen der Einhaltung der Quarantäne mittels Smartphones oder die Kontaktverfolgung. In Österreich ein Bereich des teilweisen Chaos, so Klimek.

Peter Klimek (Bild: Eugénie Sophie)
Peter Klimek

Es sei gut, dass man in Österreich die Schattenseiten von wissenschaftlichen Entwicklungen kritisch beleuchte, sagt Klimek. Doch vergesse man dabei die Balance beim Beachten des enormen Nutzens von faktenbasierten Entscheidungen. Aktuell bei der damit verbundenen effektiveren Pandemiekontrolle. All dies ist wohl mitverantwortlich für vergleichsweise niedrigen Impfzahlen. Und warum sich Österreich letztlich zum Notprogramm Impfpflicht für Corona genötigt sah.

Biowelle und Homöopathie bremsen Wissenschaft
Christiane Druml: „Pocken oder Masern sind verschwunden. Man sieht nicht mehr die Notwendigkeit für das Impfen.“ Zudem gebe es in Österreich und Deutschland eine starke Biowelle, eine Grünwelle. „Viele vertrauen da weniger der klassischen Medizin und glauben, dass der Körper selber die Ultima Ratio ist bei der Bekämpfung von Krankheiten.“

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Wenn viele weiter so anti-wissenschaftlich sind, verhärtet sich die Situation.

Christiane Druml, Bioethikkommission

Dazu passend die Neigung zur Homöopathie und Esoterik. „Das ist ja ein Nichts, was die Leute da verwenden“, so Druml. Im 18. Jahrhundert nahm die heute so starke Welle im deutschsprachigen Raum ihren Ausgang. „Damals gab es aber keine klassische Medizin wie heute, da war das noch okay. Aber heute glauben viele, man könne mit Aderlass Krankheiten bekämpfen“, sagt die Juristin. Sie selbst bekomme nach solchen Kommentaren regelmäßig Drohmails, teils obszön und aggressiv. Sie leite die an die Behörden weiter.

Christiane Druml (Bild: zVg/BKA)
Christiane Druml

Hoffnung auf den Einfluss auf die Parallelwelten
„Manche Ausführungen kommen wissenschaftlich daher, das vernebelt jene, die sich nicht auskennen. Das beunruhigt mich sehr für die nächsten Monate.“ Christiane Druml befürwortet die Impfpflicht. Doch bis die tatsächlich wirke, würde es noch Monate dauern. „Das könnte noch schlimm werden. Viele leben in Parallelwelten. Hoffentlich kann man so viele skeptische Menschen wie möglich mit Aufklärung abholen.“

Daten und Fakten
Impfen soll die Corona-Krise meistern. Österreich hinkt hinterher. Die Impfskepsis ist groß. Auch die Distanz gegenüber der Wissenschaft, wie eine aktuelle Studie von Eurobarometer zu den EU-Staaten belegt.

Einige Beispiele: Sollen Entscheidungen zu Wissenschaft und Technik Experten oder Volk überlassen werden? Nur 61 Prozent sagen Experten, 38 Prozent wählen die Bürger. Nur Rumänien ist einen Hauch skeptischer. Zum Vergleich: Das benachbarte Tschechien hat ein Verhältnis von 92 zu acht Prozent pro Experten. Interesse an Wissenschaft und Technologie? Nur 30 Prozent sagen Ja, nur Kroatien ist schlechter (29%).

Deutsche und Österreicher sind übrigens weit vorne, was ein negatives Bild vom Wissenschaftler an sich betrifft: einsamer Forscher, der nicht kommuniziert. Ein längst überholtes Bild. Österreich ist auch Nummer 1 beim Widerstand gegen Gentechnik. Ebenfalls bezeichnend: Wie wichtig ist Wissenschaft für das tägliche Leben? Eher nicht. Noch weniger wichtig befinden Bulgaren und Griechen.

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