Sorgen berechtigt?

Virenforscher: „Omikron nicht die letzte Variante“

Wissenschaft
30.11.2021 17:52

Hat die Pandemie mit B.1.1.529 einen gefährlichen Höhepunkt erreicht? Conny Bischofberger sprach dazu mit ihrem Bruder, dem Virenforscher und Biochemiker Dr. Norbert Bischofberger.

„Krone“: Der Star unter Europas Virologen, Christian Drosten, hat sich wie die Weltgesundheitsorganisation WHO „besorgt“ über Omikron gezeigt. Wie schätzt du die neue Corona-Variante ein?
Norbert Bischofberger: Es ist nicht wirklich überraschend, dass diese neue Variante aufgetaucht ist. Solange ein Virus sich ausbreiten kann, wird es immer neue Varianten entwickeln. Jene, die Menschen leichter infizieren, verdrängen die anderen. Das Prinzip von Variation und Selektion oder wie Charles Darwin es bei Populationen benannt hat, die natürliche Auslese. Besorgniserregend wäre es dann, wenn Omikron auch zu schwereren Krankheitsverläufen führen würde, das ist bisher noch nicht erwiesen.

Hat der Präsident des Deutschen Ärztetages, Frank Ulrich Montgomery, recht, wenn er sagt, dass Omikron „so gefährlich wie Ebola“ sei? Du hast ja ein Medikament gegen Ebola entwickelt, das auch bei Covid-Erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium zum Einsatz kommt.
Meint er das, weil auch Ebola aus Afrika kommt? Im Ernst: Das ist einfach lächerlich. Meiner Meinung nach überreagiert die Welt im Moment, was Omikron betrifft. Vielleicht liege ich mit meiner Einschätzung komplett daneben, ich hoffe es nicht. Aber es handelt sich hier um nicht mehr und nicht weniger als eine neue Variante und wir wissen über diese neue Variante noch viel zu wenig. Also müssen wir abwarten, bevor wir in Panik verfallen. Denn Omikron wird nicht die letzte Variante sein.

Einige Länder haben bereits ihre Grenzen für Reisende aus Südafrika geschlossen. Eine panische Reaktion?
Ich halte die neuen Reisebeschränkungen für überzogen. Man bestraft damit ein Land, das erstklassige Arbeit im Corona-Management geleistet hat. Südafrika hat als erstes Land diese neue Variante entdeckt. Ich bin überzeugt davon, dass es sie davor schon in anderen Staaten gegeben hat. Eine infektiöse Variante wird sich immer, unabhängig von Reisebeschränkungen, weiterverbreiten. Und es gibt nur eines, was wir heute mit Sicherheit wissen: Am größten ist der Schutz, wenn man geimpft ist.

Wird die Impfung gegen die neue Variante überhaupt wirksam sein?
Auch das wissen wir nicht mit Bestimmtheit. Aber ich würde es schon sehr erstaunlich finden, wenn sich diese Variante der Impfwirkung komplett entziehen könnte. Zu welchem Grad die Impfung bei Omikron wirksam ist, wird sich erst herausstellen. Vielleicht sogar zu 95 Prozent, vielleicht nur zu 80 oder 70 Prozent, aber sie wird mit Sicherheit eine gewisse Wirksamkeit haben. Man muss sich immer vor Augen führen, dass das Virus das Spike-Protein braucht, um in eine menschliche Zelle einzudringen und gegen dieses Protein haben geimpfte Menschen Antikörper.

Zur Person

Großer Stratege gegen tödliche Viren
Geboren am 10. Jänner 1956 im Bregenzerwälder Dorf Mellau (Vorarlberg). Chemie-Studium in Innsbruck, Promotion an der ETH Zürich. 1983 geht er in die USA und absolviert an der Harvard University in Cambridge sein Post-Graduate-Studium. Ab 1990 entwickelt Bischofberger beim Biotech-Unternehmen Gilead im Silicon Valley Mittel gegen virale Infektionen wie Grippe (Tamiflu), Therapien gegen HIV (Atripla, Truvada, Biktarvy) und neue Therapien gegen Hepatitis C (Solvadi, Harvoni, Epclusa). Das Ebola-Medikament Remdesivir wird bei Corona-Patienten eingesetzt. 2018 gründet er das Start-up Kronos-Bio Inc. (Cambridge, Massachusetts und San Mateo, Kalifornien), wo er an Therapien gegen Lymphome und Leukämie forscht.

Wie schnell könnten Impfstoffe an neue Erreger angepasst werden?
RNA-Impfstoffe können technisch relativ leicht verändert werden. Dazu ist es nur erforderlich, die Nukleotidsequenz zu verändern. Ein neuer Impfstoff könnte innerhalb von 100 Tagen ausgeliefert werden.

Wann wird es wirksame Medikamente gegen Covid-19 geben?
Es gibt sie schon, und es werden noch mehrere folgen. Zum Beispiel hat der Pharmakonzern Pfizer ein Medikament namens Paxlovid entwickelt, das sowohl gegen neue Varianten wirksam ist als auch prophylaktisch eingesetzt werden kann. Dafür wurde in den USA gerade eine Notzulassung beantragt. Ich rechne damit, dass es schon in naher Zukunft auf den Markt kommen wird.

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Kein Einzelner auf diesem Planeten kann so wichtig sein wie wir alle zusammen.

Norbert Bischofberger

Österreich führt im Februar eine allgemeine Impfpflicht ein. Was war dein erster Gedanke?
Ich halte das für das letzte Mittel, aber es war die einzig richtige Entscheidung. In deutschsprachigen Medien habe ich gelesen, dass Impfgegner als „Querdenker“ bezeichnet werden. Ich fände „Nichtdenker“ passender, denn für mich ist es völlig unbegreiflich, dass es Menschen gibt, die allen Ernstes erklären, ihre persönliche Freiheit sei das Wichtigste. Kein einzelner auf diesem Planeten kann so wichtig sein wie wir alle zusammen.

Es ist doch völlig inakzeptabel, wenn 70 Prozent der Bevölkerung eingeschränkt werden, weil 30 Prozent auf ihrer Freiheit bestehen. Ich halte die Strategie von Singapur übrigens für sehr interessant. Dort müssen Ungeimpfte, wenn sie auf Intensivbetreuung in einem Krankenhaus angewiesen sind, die Kosten selber tragen.

Wird man Corona mit der Impfung letztlich besiegen können?
Wir sollten nicht vergessen, dass Impfungen im Lauf der Geschichte viele Krankheiten ausgerottet haben. Masern, Mumps, Röteln, Polio, Tetanus, Pocken. Die Impfung ist auch der einzige Weg, wie wir diese Pandemie stoppen können. Es gibt nur zwei Wege, Herdenimmunität zu erreichen. Der schmerzfreie ist, sich impfen zu lassen. Der schmerzvolle Weg ist: Wir infizieren uns alle immer wieder und manche von uns werden sterben.

Im Wiener Dialekt, der alles gern verniedlicht, wird die neue Coronavariante „Omi Kron“ genannt. Kannst du mit dieser Art von Humor etwas anfangen?
Na ja, das ist eben der Wiener Humor. Aber mir gefällt das. Es hat mich an unsere Tante Cäcilia erinnert.

Seit dreieinhalb Jahren bist du Präsident und CEO des Start-ups Kronosbio, davor hast du dich jahrzehntelang mit Viren beschäftigt und Medikamente gegen HIV, Influenza und Hepatitis C entwickelt. Tut es dir manchmal leid, nach so langer Zeit und speziell während einer weltweiten Pandemie nicht mehr in der Virenforschung tätig zu sein?
Nein. Weil die Krebsforschung ebenso wichtig ist. Wir arbeiten jetzt mit Hochdruck an neuen Therapien für Leukämie und Lymphome. An Corona sind bis dato 5,21 Millionen Menschen gestorben, an Krebs allein im Jahr 2020 fast doppelt so viele, mehr als 300.000 allein an Leukämie.

Ist es das, worum es am Ende geht? Das Leben von so vielen Menschen wie möglich verbessert zu haben?
Ich denke schon. Kein Mensch hat an seinem Sterbebett je gesagt: Hätte ich doch nur mehr Geld verdient! Wenn es zu Ende geht, will man zurückschauen mit dem Gefühl, im Leben anderer Menschen wichtig gewesen zu sein, deren Leben positiv verändert zu haben. Als Forscher konnte ich vielleicht einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass viele nicht an ihrer schweren Krankheit gestorben sind, sondern trotz allem ein gutes Leben führen konnten.

Wie viele Menschen?
Schon sehr viele. Allein das HIV-Medikament wird weltweit von 20 Millionen Patienten eingenommen.

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