Das große Interview

Kommt noch ein böses Erwachen, Herr Minister?

Politik
24.10.2021 06:00

20.000 Neuinfektionen in einer Woche, Tendenz steigend. Mit Conny Bischofberger spricht Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (47) über die Wucht der vierten Welle, Verschärfungen für Ungeimpfte und das Klima innerhalb der Koalition. 

Samstagnachmittag, das Ministeriumsgebäude am Wiener Stubenring ist verwaist. Unten beim Eingang wartet schon der Wagen, der Wolfgang Mückstein nach unserem Interview in die Herbstferien bringen wird. Oben im 2. Stock sitzt der Pandemieminister in seinem Büro vor der europäischen, der österreichischen und der Regenbogenfahne. Vor ihm liegt das Smartphone mit den Kurven der aktuellen, besorgniserregenden Corona-Entwicklung.

Nach 30 Minuten führen wir das Gespräch bei einem Spaziergang am Wienfluss zu Ende. „Ich gehe zwischendurch auch oft eine Runde mit meiner Kabinettschefin“, erzählt Mückstein, „das ist sehr erfrischend. Und es ist außerdem erwiesen, dass man beim Gehen mehr kreative Ideen hat als im Sitzen.“

„Krone“: Herr Minister, nach sechs Monaten im Amt: Haben Sie sich den Job so schwer vorgestellt?
Wolfgang Mückstein: Dass es nicht leicht würde, habe ich mir schon gedacht. Am Anfang war alles neu, aber jetzt habe ich alles gesehen und inzwischen gibt es eine gewisse Routine. Es ist tatsächlich ein sehr fordernder Job mit wenig Schlaf.

Wie wenig?
Ich lege mich um 23 Uhr hin und stehe um 5 Uhr auf.

Würden Sie jetzt, wo Sie das politische System kennen, noch einmal zusagen?
Ja, würde ich. In erster Linie, weil ich an der Pandemie und ihren Folgen als Arzt doch auch ein persönliches Interesse habe.

Apropos politisches System: Sebastian Kurz ist zurückgetreten, Ihr Parteichef Werner Kogler muss kommende Woche bei einem „Get together“ die Brücken zwischen Grün und Türkis wieder bauen. Wird ihm das gelingen?
Das Wichtigste ist jetzt Stabilität und parallel dazu Aufklärung. Die doch sehr schwerwiegenden Vorwürfe sind mit dem Amt des Bundeskanzlers doch nicht vereinbar, aber mit Alexander Schallenberg geht die Regierungsarbeit weiter. Wir haben ein gutes Arbeitsverhältnis. Also glaube ich ja.

So leicht werden es die türkisen Regierungsmitglieder den Grünen nicht verzeihen, dass sie Kurz aus dem Amt geschossen haben.
Aber das sieht ja sogar die ÖVP selber so, dass sich das einfach nicht mehr ausgegangen ist. Ich maße mir nicht an zu urteilen, was an den Vorwürfen stimmt und was nicht, genau dafür haben wir die Gerichte. Justizministerin Alma Zadic wird sehr genau drauf schauen, dass da nichts derschlag’n wird. Die Justiz wird das anständig und unabhängig aufklären.

Auf einer Skala von 1 bis 10 - 1 ist sicher nicht, 10 ist sicher schon. Wird die Regierung halten?
Acht. Also doch mit einer hohen Wahrscheinlichkeit. Niemand hat Interesse an Neuwahlen, wer sollte das wollen?

Die Kurve auf Ihrem Handy zeigt es: Die Corona-Zahlen steigen, am Samstag waren es bereits 3756 Neuinfektionen. Kommt nach einem entspannten Sommer jetzt ein böses Erwachen?
Die Pandemie ist nicht vorbei. Die Delta-Variante hat sich rascher ausgebreitet als prognostiziert. Und wir haben nach einer Seitwärtsbewegung, wo die Infektionen auf einem höheren Niveau stabil geblieben sind, jetzt leider rasant steigende Zahlen. Bevor nicht mehr Österreicherinnen und Österreicher geimpft oder genesen sind, wird sich das nicht ändern.

Am Freitagabend ist die Bombe geplatzt: Sie haben mit Kanzler Schallenberg Pläne für einen Lockdown für Ungeimpfte bekannt gegeben. Werden diese Leute dann Bürger zweiter Klasse sein?
Nein. Wir sitzen alle im selben Boot. Es gibt nur Intensivstationen für uns alle, es gibt die Schulen und den Handel für alle. Wenn 600 der Intensivbetten von Covid-Patienten belegt sind, müssen wir reagieren. Dann sind die Spitäler ziemlich voll und die Menschen, egal ob geimpft oder nicht geimpft, könne sich nicht mehr sicher sein, nach einem Herzinfarkt oder einem Autounfall ein Intensivbett zu bekommen. Dann haben wir alle ein Problem.

Werden wir diese kritische Grenze erreichen?
Wir hoffen, dass durch 3G am Arbeitsplatz die Durchimpfungsrate weiter steigen wird. Wir sind jetzt mitten in der vierten Welle. Wenn die Zahlen weiter raufgehen, und sie werden raufgehen, dann müssen wir die Spitäler funktionstüchtig halten, damit diese Grenze eben nicht erreicht wird. Dann müssen wir Nicht-Geimpften den Zutritt zu bestimmten Bereichen verwehren - zum Schutz aller.

Wäre eine Impfpflicht nicht ehrlicher?
Ich wehre mich gegen eine allgemeine Impfpflicht. Ich will die körperliche Integrität der Menschen nicht angreifen. Sich impfen zu lassen ist grundsätzlich eine freie Entscheidung. Aber wer sich dagegen entscheidet, muss die Konsequenzen tragen.

Glauben Sie wirklich, dass ein Lockdown für Nichtgeimpfte kontrollierbar wäre? Und dass sich die ohnehin schon genervten Betroffenen daran halten?
Man kann das natürlich nicht flächendeckend, sondern nur stichprobenartig kontrollieren. Ich glaube aber schon daran, dass sich die allermeisten Menschen in Österreich an die Gesetze halten. Einige wenige, die Wege finden, wie sie das umgehen können, wird es immer geben.

Wie lange werden die Corona-Tests noch gratis sein?
Wir machen die Tests schrittweise unattraktiver. Aus heutiger Sicht bleiben sie kostenfrei, wir werden das aber erneut evaluieren.

Wie kommt es, dass Österreich eines der Schlusslichter bei der Durchimpfungsrate ist. Was haben Sie da versäumt?
Es sind jetzt etwas über 70 Prozent der impfbaren Bevölkerung geimpft. Aus meiner Sicht haben wir gemeinsam mit den Ländern sehr viel getan: Wir haben recht erfolgreiche Impfkampagnen gemacht, wir haben den Impfstoff zu den Menschen gebracht, Impfen am Boot, Impfen im Stephansdom, Impfbusse fahren herum. Fast jeder weiß, wo er sich impfen lassen könnte. Aber es arbeiten zwei Parteien und auch ein Fernsehsender aktiv dagegen, da werden Fake News der übelsten Sorte verbreitet, etwa was das Impfrisiko für Schwangere betrifft.

Glauben Sie, dass man Impfgegner überzeugen kann?
Es gibt rund zehn Prozent, die man nicht überzeugen kann. Aber weitere 20 Prozent sehr wohl, darauf müssen wir uns jetzt konzentrieren.

Was würden Sie als Arzt einem Patienten sagen, der Angst vor der Impfung hat?
Dass weltweit über sechs Milliarden Impfstoffdosen verabreicht wurden, dass es ein sicherer Impfstoff ist und ein schwerer Krankheitsverlauf zu über 90 Prozent verhindert wird. Und dass wir nur so verhindern können, dass es wieder zu einem Lockdown kommt. Es zählt wirklich jeder Stich.

Sebastian Kurz hat der Bevölkerung versprochen, dass die Pandemie im Herbst so gut wie vorbei sein wird. Wann ist sie wirklich vorbei?
Das wird davon abhängen, wie viele Menschen sich impfen lassen. Am Ende der vierten Welle sind es hoffentlich so viele, dass wir doch eine gewisse Herdenimmunität erreicht haben. Der große Unterschied zur dritten Welle ist ja, dass wir seit Anfang Juli genug Impfstoff haben.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass sich die Impfgegner immer mehr radikalisieren?
Ja, das macht mir schon Sorgen. Die Angst und Aussichtslosigkeit macht aber viele Menschen aggressiv. Das kann auch die Angst sein, kein Intensivbett zu bekommen.

Ihr Instagram-Account wurde letzte Woche gesperrt. Waren das auch Impfgegner, die das erreicht haben?
Wir klären das gerade. Möglichweise, ja. Dass sich der Gesundheitsminister mit Verschärfungen nicht gerade beliebt macht, ist klar. Ich habe auch einige wirklich hässliche Mails bekommen. Aber die lösche ich einfach.

Rauchen Sie jetzt eigentlich mehr oder weniger?
Ich rauche 15 Zigaretten pro Tag. Aber es ist gar nicht so leicht, dieses Pensum zu erreichen, weil man ja fast nirgends mehr rauchen darf. Ich geh oft einen halben Kilometer, bis eine Gelegenheit kommt. - Lacht.

Wann zuletzt?
Gestern Abend hab ich eine geraucht, und zwar mit dem Bundeskanzler.

Beraten Sie sich noch ab und zu mit Ihrem Vorgänger?
Wir telefonieren immer wieder. Ich verstehe, dass die „Krone“ ihm eine Kolumne angeboten hat, seine Akzeptanz in der Bevölkerung war und ist sehr hoch.

Bei Ihrem Antrittsinterview haben Sie nach Ihrer Scheidung noch aus Kisten gelebt. Sind Sie inzwischen sesshaft geworden?
Lacht.
-Ja, ich habe ausgepackt. Vieles auch gleich aussortiert. Und die Wohnung ist eingerichtet. Ich binz war noch nicht geschieden, aber wir leben jetzt seit einem Jahr getrennt und es funktioniert wirklich gut. Wir fahren auch alle gemeinsam auf Herbsturlaub. Eltern, Kinder, Schwiegereltern. Man glaubt es nicht, aber durch eine Trennung kann auch alles besser werden, weil man klare Fronten geschaffen hat.

ER STUDIERTE CHINESISCHE MEDIZIN

Geboren am 5. Juli 1974 in Wien. Die Eltern sind in Pension und waren Juristen. Mückstein hat zwei ältere Schwestern, von denen eine verstorben ist, und eine jüngere Halbschwester. Er studierte Medizin und absolvierte auch ein Studium der Traditionellen Chinesischen Medizin. Bevor er nach dem Rücktritt von Rudi Anschober als dessen Nachfolger angelobt wurde, arbeitete er als praktischer Arzt in einer Gruppenpraxis im 6. Wiener Gemeindebezirk. Mückstein lebt in Scheidung und hat zwei Töchter im Alter von 13 und 16 Jahren.

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