krone.tv-Reportage

Im Dorf der Impfskeptiker: „Wir wollen aufklären“

Oberösterreich
23.10.2021 20:45

Maria Neustift in Oberösterreich. Hier gelang am 26. September einer Kleinpartei namens MFG (Menschen, Freiheit, Grundrechte) die Wahlsensation. Wer sind die Menschen dahinter? Und wie konnte es dazu kommen? Ein Lokalaugenschein.

Es ist Donnerstagmittag, im Ortskern der 1635 Einwohner zählenden Gemeinde im Bezirk Steyr ist es verdächtig still. Bei der Busstation warten ein paar Schulkinder auf den Transport nach Hause, sonst ist es ruhig in den Straßen. Nur eine Reisegruppe ist unterwegs, sie strömt gerade aus der Pfarrkirche. Geschäfte und Gasthäuser haben heute zu, das einzige offene Wirtshaus bietet Schweinsbraten als Tagesgericht an. Wegen des Einstellermarktes haben sich Bauern aus den umliegenden Höfen zum Schnapsen eingefunden. Man hockt zusammen, trinkt das eine oder andere Bier. Zur Wahlsensation will keiner öffentlich Kommentare abgeben, schon gar nicht vor der Kamera: „Sie müssen wen Jungen fragen!“, lautet der bäuerliche Ratschlag.  

Verständnis für Wahlsieg der MFG 
Die Impfgegner erreichten in Maria Neustift 26,73 Prozent der Stimmen, fünf Mandatare der MFG ziehen nun in den Gemeinderat ein. „Wenn die Neustifter was wollen und sie es sich in den Kopf setzen, dann bringen sie das auch durch“, beschreibt Maria Seyerlehner, die im Ortskern eine Pension betreibt, den Charakter der Dorfbewohner. Freut sie sich über den Erfolg der neuen Partei? „Ich würde nicht sagen, dass ich MFG gewählt habe“, gibt sie sich zugeknöpft, „aber ich verstehe alle, die es getan haben. Die Einschränkungen, die wir durch Corona gehabt haben und die sicher großteils auch gerechtfertigt waren, konnten wir am Land nicht ganz nachvollziehen.“

Als Beispiel nennt die Unternehmerin die Abstandsregel: „Hier bist du entweder allein auf weiter Flur oder höchstens zu zweit in einem Geschäft.“ Dann führt sie uns mit ihren drei kleinen Kindern durch ihre Pension. Sie lebt von Tagestouristen, die oft nur für eine Nacht bleiben. „Es sind nicht die größten Zimmer, aber sie sind gemütlich und angenehm.“ Fernblick, Holzbadewannen, Hängematten.

Möchte nicht mit einem Politiker tauschen und Entscheidungen treffen“
Das Thema Impfen hat im Ort für viele Debatten gesorgt. Sowohl im Freundeskreis als auch in der Familie, erzählt Maria, sei Impfen ein großes Thema gewesen. „Bei uns war das klar. Einige lassen sich impfen, andere wollen es auf keinen Fall. Ich finde, das soll jeder selber entscheiden.“ Eine Haltung, die quer durch den Ort vertreten, von der Politik aber nicht akzeptiert wird.

Dennoch hat Maria Verständnis für die verzwickte Lage, in der sich Politiker befinden. „Ich möchte nicht mit einem Politiker tauschen und Entscheidungen treffen. Recht machen kann man es sowieso niemandem.“ 

„Unsere Gemeinde wird sehr auf die Testerei und das Impfen gedrängt“ 
Gerald Krenn ist der Mann, dem mehr als 26 Prozent der Wähler vertraut haben. Er ist in seinem Auto auf dem Weg ins Vereinslokal. Im Gasthaus Derfler in Sulzbach, sechs Kilometer vom Ortskern entfernt, wartet sein Team. Mit der neuen Kleinpartei konnte der Angestellte viele Stimmen mobilisieren, ausschlaggebend war die impfkritische Haltung. „Die Leute wollten einfach etwas Neues haben“, erklärt der Parteichef, während er den Wagen über die Landstraße lenkt, „wir von MFG sind ganz normale Leut‘.“

Er persönlich sei nicht der größte Befürworter der Impfung, aber „jeder soll sich frei entscheiden können, das ist ganz wichtig.“ Die österreichweiten Maßnahmen gegen Corona haben für den frischgebackenen Lokalpolitiker etwas Aufdringliches: „In unserer Gemeinde wurden die Leute sehr zur Testerei und zum Impfen gedrängt.“

„Man muss zugänglich sein und manchmal ein bisschen aufklären“
In Sulzbach angekommen, steigt Krenn aus dem Auto und zeigt auf das Wirtshaus Derfler. „Hier ist das alles entstanden. Auch die Wirtsleute, die Nicole und der Derfler-Leo, sind bei MFG. Bis wir Büros haben, wird alles hier am Stammtisch ausgearbeitet.“ Seinen Sieg betrachtet er ganz nüchtern: „Ab und zu hat man halt ein Glück. Man muss zugänglich sein und manchmal ein bisschen aufklären.“ Mit Flyern, Spenden, bedruckten T-Shirts und Veranstaltungen wie zum Beispiel Wandertagen konnten Wahlkampfkosten und Werbemittel erfolgreich gemeinsam finanziert werden.

„Grüß Gott! Guten Tag!“ Gerald wird von seinen Mitstreitern Nicole und Leo schon erwartet. Gegenüber vom 1998 übernommenen Gasthaus vermietet das Wirtepaar auch Ferienwohnungen. „Dass jetzt Fernsehstationen und Journalisten daherkommen, das hätten wir uns wirklich nicht gedacht.“ Leo Derfler nimmt sich kein Blatt vor den Mund. Er entpuppt sich als leidenschaftlicher Impfskeptiker. „Die Impfung ist nicht erforscht, und ich finde, das ist ein sehr gefährliches Experiment. Wir wissen nicht, was passiert. Es ist global, global sollen viele Menschen geimpft werden. Da sind natürlich Mächte dahinter.“ Welche, das kann er nicht genau benennen. „Aber wir müssen im Kleinen anfangen, hier Aufklärung zu betreiben.“

„Müssen wieder anfangen, mit Hausmitteln zu arbeiten“
Seine Frau pocht auf die Freiheit jedes Einzelnen. „Wir sind keine Impfgegner“, stellt Nicole Derfler klar. Sie wird voraussichtlich für MFG in den Gemeinderat einziehen. „Jeder, der es für notwendig befindet, sich impfen zu lassen, soll das tun. Aber es geht darum, dass man dazu nicht gezwungen wird - unter Umständen, weil mein Beruf das verlangt. Sei es eine Lehrerin, Kindergärtnerin oder Krankenschwester. Oder wir als Wirten sind genauso betroffen - wenn es heißt, 1G, ihr dürft nur mehr arbeiten, wenn ihr geimpft seid.“

Dieser Zwang sei das Furchtbare. Nicole Derfler setzt auf ein natürliches Immunsystem. „Wenn wir kein gesundes Immunsystem hätten, wären wir nicht so alt geworden. Ich brauch nicht 57 Spritzen und 17 Tabletten. Ich glaub‘, wir müssen wieder zurück zur Basis und anfangen, wieder mit Hausmitteln zu arbeiten. Das macht uns nicht gesünder, die ganze Medizin.“

Postkasten für anonyme Wünsche und Anregungen
Ob ihre Haltung im sozialen Umfeld zu Spannungen führt? „Man meidet halt dann das Thema, bzw. man kann ja konstruktiv diskutieren, wir sind ja alles erwachsene Leute.“ Wichtig ist Nicole Derfler die Nähe zu ihren Mitbürgern. „Ich möchte mich engagieren für soziale Anliegen, ich möchte, dass es für Eltern, die Fragen haben, Hilfestellung gibt.“

Darüber hinaus wird die künftige MFG-Mandatarin für Wünsche und Anregungen einen Postkasten installieren. „Vieles will die Bevölkerung nicht öffentlich preisgeben“, erklärt sie, „das werden wir dann auf den Tisch legen und darauf reagieren und schauen, dass wir da was in die Gänge bringen.“ Rückendeckung gibt es laut Krenn genug, „Viele finden das gut, was wir machen.“ Und: „Wir wollen im Ort etwas weiterbringen. Wir wollen zusammenarbeiten - auch mit der ÖVP.“ Ziel von MFG sei es, langfristig in der Politik Fuß zu fassen.

Kinder wurden wegen Maskenbefreiung gemobbt 
Gut findet das, was die Kleinpartei auf die Beine stellt, auch der Unternehmer Werner Riegler. Am Tresen des Wirtshauses erzählt der Familienvater von den Problemen in der Schule. „Meine Kinder haben unter der Maskenpflicht psychisch gelitten. Sie sind mit diversen Problemen nach Hause gekommen, bis hin zu Durchfall.“ Riegler erwirkte eine Maskenbefreiung vom Arzt. „Da ging das Theater in der Schule erst so richtig los.“

„Die Lehrer haben unsere Kinder an den Pranger gestellt, haben sie mit Abstand in den Klassenräumen sitzen lassen, im Turnsaal haben sie ganz hinten gehen müssen mit zusätzlichem Sicherheitsabstand. Auch beim Skikurs hätten die Kinder nicht mitfahren dürfen wegen der Maskenpflicht.“ Dazu sei das „Chaos mit den Corona-Maßnahmen“ gekommen: „Das alles anzusprechen, würde den Rahmen sprengen.“

An diesem Tag hat sich in der oberösterreichischen Gemeinde auch ein italienischer Fernsehsender angesagt. Gerald Krenn muss sich für ein weiteres Interview bereitmachen. Alle sind aufgeregt und machen Handyvideos zur Erinnerung. Als sich der Politiker schließlich von allen verabschiedet und zu seinem Auto geht, wird er von Vorbeifahrenden per Handzeichen gegrüßt. „Herr Bürgermeister!“ rufen sie ihm zu. Er kann es noch gar nicht glauben.

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