„Krone“-Kommentar

Menschliches Faustpfand

Kolumnen
09.07.2021 06:00

Am Samstag entscheidet sich in einer Sitzung des Sicherheitsrates der UNO in New York das Schicksal von fast drei Millionen Flüchtlingen, die im Nordwesten Syriens festsitzen. In der Provinz Idlib, dem letzten Gebiet in Syrien, das sich noch in der Hand von Rebellen befindet - in der Hand von islamistischen und dschihadistischen Milizen, die aus einem Ableger der Terrororganisation Al-Kaida hervorgegangen sind.

Die Flüchtlinge wurden bis jetzt von der Türkei aus mit Lebensmitteln, Medikamenten und Trinkwasser versorgt. Über den Grenzübergang Bab al-Hawa brachte die UNO pro Monat rund 1000 Lastwagen mit dringend benötigten Hilfslieferungen nach Idlib. Damit könnte ab Samstag Schluss sein.

Hunger als Waffe
Da läuft das Moratorium aus, das der UNO diese grenzüberschreitende Hilfe gestattet. Und Moskau hat angekündigt, gegen eine Verlängerung sein Veto einzulegen. Mit dem Argument, die UNO könnte ihre Hilfslieferungen genauso gut über Damaskus abwickeln - also über Gebiet, das sich in den Händen von Diktator Assad befindet. Assad hat freilich in der Vergangenheit nicht davor zurückgeschreckt, Hunger als Waffe einzusetzen.

Während die USA und Europa jede Zusammenarbeit mit Assad ablehnen, sehen Russland, der Iran und zunehmend auch wieder arabische Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate in Assad einen Garanten für zumindest etwas Stabilität in Syrien. Eine sehr pragmatische und durchaus logische Sicht, da Assad den Krieg um Syrien nun einmal gewonnen hat.

Assads Abgang ist eine politische Illusion
Für dauerhafte Stabilität müsste dem Land und seinen Menschen nach mehr als zehn Jahren Krieg freilich geholfen werden. Es müsste Hilfe für den Wiederaufbau geleistet werden, die Amerikaner müssten ihre Sanktionen aufheben, die auch den Libanon schwer treffen. Der Westen müsste sich damit abfinden, dass Assad zumindest vorerst bleiben wird. Sein baldiger Abgang ist ja tatsächlich eine politische Illusion.

Russland versucht nun, durch die mögliche Sperre des Grenzüberganges Bab al-Hawa Druck auszuüben. Die leidenden Menschen in Idlib dienen dabei als Faustpfand, um den USA ein mögliches Entgegenkommen abzupressen. Es dürfe, so die russische Sicht, nicht nur den Menschen in Idlib geholfen werden, ganz Syrien müsse wieder nachhaltig auf die Beine gebracht werden. Eine Sicht, die Putin übrigens mit dem Vatikan teilt.

Tatsächlich haben im ganzen Land fast 12,5 Millionen Menschen Schwierigkeiten, sich zu ernähren. Das sind zwei Drittel der Bevölkerung. Alleine im Vorjahr sind die Lebensmittelpreise um 247 Prozent gestiegen.

Während eine Strategie der USA oder gar der EU für Syrien nicht ersichtlich ist, bleibt Putins Strategie seit Jahren ganz klar: Über kurz oder lang soll Assad wieder das ganze Land beherrschen und die islamistischen Milizen ausmerzen. Stabilität ist ihm dabei wichtiger als das Schicksal der Flüchtlinge.

Menschlichkeit aber hat im Krieg um die Macht noch nie eine Rolle gespielt.

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